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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Vierte Vorlesung.
gewöhnlich bei auffallendem Lichte schwarz erscheinende Kör-
per, die mit Zacken versehen sind. Nach der ursprünglichen
Bezeichnung nannte man sie Knochenkörperchen, und ihre
Zacken oder Ausläufer Knochenkanälchen, Canaliculi ossei;
da man anfänglich die Ansicht hegte, dass die Kalksubstanz
eigentlich in diesen Elementen abgelagert sei und dass das
dunklere Aussehen, welches die Körper bei durchfallendem
Lichte darzubieten pflegen, eben von dem Kalkgehalte herrühre,
so hat man die Kanäle auch als Canaliculi chalicophori bezeich-
net, ein Name, der heut zu Tage ganz gestrichen ist, weil
man sich überzeugt hat, dass in ihnen der Kalk gerade nicht
enthalten ist, sondern derselbe überall sich findet in der homo-
genen Grundsubstanz, welche zwischen ihnen liegt.

Als man diese Entdeckung machte, dass gerade umgekehrt,
wie man geglaubt hatte, die Vertheilung des Kalkes in dem
Knochengewebe stattfindet, so ging man alsbald in das
andere Extrem über, indem man an die Stelle des Na-
mens der Knochenkörperchen den der Knochen-Lücken
(Lacunen) setzte und annahm, der Knochen enthalte
nur eine Reihe von leeren Höhlen und Kanälen, in welche
allenfalls eine Flüssigkeit eindringe, welche aber eigentlich
doch nur Spalten innerhalb des Knochens darstellten. Einzelne
nannten sie auch geradezu Knochenspältchen. Ich habe mich
nun bemüht, auf verschiedene Weise den Nachweis zu führen,
dass sie wirkliche Körperchen seien und nicht blosse Höhlen
darstellen in einem dichten Grundgewebe, dass sie mit
besonderen Wandungen und eigenen Grenzen versehene
Gebilde vorstellen, welche sich von der Zwischensubstanz tren-
nen lassen. Denn man kann durch chemische Einwirkung
es dahin bringen, dass man die Körperchen aus der Grund-
substanz frei macht, indem man diese auflöst. Dadurch ist
wohl am sichersten der Nachweis geliefert, dass es wirklich
für sich bestehende Gebilde seien. Ueberdiess findet man in-
nerhalb dieser Körper einen Kern und auch ohne auf die Ent-
wicklungsgeschichte überzugehen, ergibt sich, dass man es auch
hier wieder mit zelligen Elementen sternförmiger Art zu
thun hat. Die Zusammensetzung des Knochens zeigt uns dem-
nach ein Gewebe, welches sich zusammensetzt aus einer schein-

Vierte Vorlesung.
gewöhnlich bei auffallendem Lichte schwarz erscheinende Kör-
per, die mit Zacken versehen sind. Nach der ursprünglichen
Bezeichnung nannte man sie Knochenkörperchen, und ihre
Zacken oder Ausläufer Knochenkanälchen, Canaliculi ossei;
da man anfänglich die Ansicht hegte, dass die Kalksubstanz
eigentlich in diesen Elementen abgelagert sei und dass das
dunklere Aussehen, welches die Körper bei durchfallendem
Lichte darzubieten pflegen, eben von dem Kalkgehalte herrühre,
so hat man die Kanäle auch als Canaliculi chalicophori bezeich-
net, ein Name, der heut zu Tage ganz gestrichen ist, weil
man sich überzeugt hat, dass in ihnen der Kalk gerade nicht
enthalten ist, sondern derselbe überall sich findet in der homo-
genen Grundsubstanz, welche zwischen ihnen liegt.

Als man diese Entdeckung machte, dass gerade umgekehrt,
wie man geglaubt hatte, die Vertheilung des Kalkes in dem
Knochengewebe stattfindet, so ging man alsbald in das
andere Extrem über, indem man an die Stelle des Na-
mens der Knochenkörperchen den der Knochen-Lücken
(Lacunen) setzte und annahm, der Knochen enthalte
nur eine Reihe von leeren Höhlen und Kanälen, in welche
allenfalls eine Flüssigkeit eindringe, welche aber eigentlich
doch nur Spalten innerhalb des Knochens darstellten. Einzelne
nannten sie auch geradezu Knochenspältchen. Ich habe mich
nun bemüht, auf verschiedene Weise den Nachweis zu führen,
dass sie wirkliche Körperchen seien und nicht blosse Höhlen
darstellen in einem dichten Grundgewebe, dass sie mit
besonderen Wandungen und eigenen Grenzen versehene
Gebilde vorstellen, welche sich von der Zwischensubstanz tren-
nen lassen. Denn man kann durch chemische Einwirkung
es dahin bringen, dass man die Körperchen aus der Grund-
substanz frei macht, indem man diese auflöst. Dadurch ist
wohl am sichersten der Nachweis geliefert, dass es wirklich
für sich bestehende Gebilde seien. Ueberdiess findet man in-
nerhalb dieser Körper einen Kern und auch ohne auf die Ent-
wicklungsgeschichte überzugehen, ergibt sich, dass man es auch
hier wieder mit zelligen Elementen sternförmiger Art zu
thun hat. Die Zusammensetzung des Knochens zeigt uns dem-
nach ein Gewebe, welches sich zusammensetzt aus einer schein-

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[74/0096] Vierte Vorlesung. gewöhnlich bei auffallendem Lichte schwarz erscheinende Kör- per, die mit Zacken versehen sind. Nach der ursprünglichen Bezeichnung nannte man sie Knochenkörperchen, und ihre Zacken oder Ausläufer Knochenkanälchen, Canaliculi ossei; da man anfänglich die Ansicht hegte, dass die Kalksubstanz eigentlich in diesen Elementen abgelagert sei und dass das dunklere Aussehen, welches die Körper bei durchfallendem Lichte darzubieten pflegen, eben von dem Kalkgehalte herrühre, so hat man die Kanäle auch als Canaliculi chalicophori bezeich- net, ein Name, der heut zu Tage ganz gestrichen ist, weil man sich überzeugt hat, dass in ihnen der Kalk gerade nicht enthalten ist, sondern derselbe überall sich findet in der homo- genen Grundsubstanz, welche zwischen ihnen liegt. Als man diese Entdeckung machte, dass gerade umgekehrt, wie man geglaubt hatte, die Vertheilung des Kalkes in dem Knochengewebe stattfindet, so ging man alsbald in das andere Extrem über, indem man an die Stelle des Na- mens der Knochenkörperchen den der Knochen-Lücken (Lacunen) setzte und annahm, der Knochen enthalte nur eine Reihe von leeren Höhlen und Kanälen, in welche allenfalls eine Flüssigkeit eindringe, welche aber eigentlich doch nur Spalten innerhalb des Knochens darstellten. Einzelne nannten sie auch geradezu Knochenspältchen. Ich habe mich nun bemüht, auf verschiedene Weise den Nachweis zu führen, dass sie wirkliche Körperchen seien und nicht blosse Höhlen darstellen in einem dichten Grundgewebe, dass sie mit besonderen Wandungen und eigenen Grenzen versehene Gebilde vorstellen, welche sich von der Zwischensubstanz tren- nen lassen. Denn man kann durch chemische Einwirkung es dahin bringen, dass man die Körperchen aus der Grund- substanz frei macht, indem man diese auflöst. Dadurch ist wohl am sichersten der Nachweis geliefert, dass es wirklich für sich bestehende Gebilde seien. Ueberdiess findet man in- nerhalb dieser Körper einen Kern und auch ohne auf die Ent- wicklungsgeschichte überzugehen, ergibt sich, dass man es auch hier wieder mit zelligen Elementen sternförmiger Art zu thun hat. Die Zusammensetzung des Knochens zeigt uns dem- nach ein Gewebe, welches sich zusammensetzt aus einer schein-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/96>, abgerufen am 26.04.2024.