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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Theorie des Bindegewebes.
der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der
Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 19 B.). Henle dagegen
glaubte aus der Entwicklung schliessen zu müssen, dass ur-
sprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern in dem
Blastem nur Kerne in gewissen Abständen vertheilt seien; die
späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des
Cytoblastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich
differenzire in Fasern, sollten die Kerne sich allmählig ver-
längern und endlich aneinanderstossen, so dass daraus eigen-
thümliche Längsfasern entständen, Kernfasern (Fig. 19 C.).
Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordent-
lich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nämlich, dass aller-
dings ursprünglich Zellen in grosser Masse vorhanden sind,
zwischen welchen Intercellularmasse abgelagert werde. Zu
einer gewissen Zeit verschmölze aber die Membran der Zelle
mit dem Intercellular-Gewebe, und es komme nun ein Stadium,
dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwi-
schen der alten Zelle und der Zwischenmasse mehr existire.
Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich
verschwinden, in andern sich erhalten. Dagegen läugnete
Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von
Schwann vorkommen. Alle spindelförmigen, geschwänzten
oder gezackten Elemente wären eben so sehr Kunstprodukte,
wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe, eine
falsche Deutung des optischen Bildes.

Meine Untersuchungen haben nun gelehrt, dass sowohl
die Schwannsche, als die Reichertsche Beobachtung bis
zu einem gewissen Grade auf richtigen Anschauungen beruht.
Erstlich gegen Reichert, dass in der That spindelförmige
und sternförmige Elemente mit vollkommener Sicherheit existi-
ren (Fig. 20), dann aber gegen Schwann und mit Reichert,
dass eine direkte Zerklüftung der Zellen zu Fasern nicht ge-
schieht, dass vielmehr dasjenige, was wir nachher als Binde-
gewebe vor uns sehen, in der That der alten, mehr oder weniger
gleichmässigen Intercellularsubstanz entspricht. Ich fand fer-
ner, dass Reichert sowohl als Henle und Schwann darin
Unrecht hatten, wenn sie zuletzt im besten Falle Kerne oder
Kernfasern übrig liessen; dass vielmehr in den meisten Fällen

Theorie des Bindegewebes.
der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der
Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 19 B.). Henle dagegen
glaubte aus der Entwicklung schliessen zu müssen, dass ur-
sprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern in dem
Blastem nur Kerne in gewissen Abständen vertheilt seien; die
späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des
Cytoblastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich
differenzire in Fasern, sollten die Kerne sich allmählig ver-
längern und endlich aneinanderstossen, so dass daraus eigen-
thümliche Längsfasern entständen, Kernfasern (Fig. 19 C.).
Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordent-
lich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nämlich, dass aller-
dings ursprünglich Zellen in grosser Masse vorhanden sind,
zwischen welchen Intercellularmasse abgelagert werde. Zu
einer gewissen Zeit verschmölze aber die Membran der Zelle
mit dem Intercellular-Gewebe, und es komme nun ein Stadium,
dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwi-
schen der alten Zelle und der Zwischenmasse mehr existire.
Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich
verschwinden, in andern sich erhalten. Dagegen läugnete
Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von
Schwann vorkommen. Alle spindelförmigen, geschwänzten
oder gezackten Elemente wären eben so sehr Kunstprodukte,
wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe, eine
falsche Deutung des optischen Bildes.

Meine Untersuchungen haben nun gelehrt, dass sowohl
die Schwannsche, als die Reichertsche Beobachtung bis
zu einem gewissen Grade auf richtigen Anschauungen beruht.
Erstlich gegen Reichert, dass in der That spindelförmige
und sternförmige Elemente mit vollkommener Sicherheit existi-
ren (Fig. 20), dann aber gegen Schwann und mit Reichert,
dass eine direkte Zerklüftung der Zellen zu Fasern nicht ge-
schieht, dass vielmehr dasjenige, was wir nachher als Binde-
gewebe vor uns sehen, in der That der alten, mehr oder weniger
gleichmässigen Intercellularsubstanz entspricht. Ich fand fer-
ner, dass Reichert sowohl als Henle und Schwann darin
Unrecht hatten, wenn sie zuletzt im besten Falle Kerne oder
Kernfasern übrig liessen; dass vielmehr in den meisten Fällen

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[39/0061] Theorie des Bindegewebes. der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 19 B.). Henle dagegen glaubte aus der Entwicklung schliessen zu müssen, dass ur- sprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern in dem Blastem nur Kerne in gewissen Abständen vertheilt seien; die späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des Cytoblastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich differenzire in Fasern, sollten die Kerne sich allmählig ver- längern und endlich aneinanderstossen, so dass daraus eigen- thümliche Längsfasern entständen, Kernfasern (Fig. 19 C.). Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordent- lich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nämlich, dass aller- dings ursprünglich Zellen in grosser Masse vorhanden sind, zwischen welchen Intercellularmasse abgelagert werde. Zu einer gewissen Zeit verschmölze aber die Membran der Zelle mit dem Intercellular-Gewebe, und es komme nun ein Stadium, dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwi- schen der alten Zelle und der Zwischenmasse mehr existire. Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich verschwinden, in andern sich erhalten. Dagegen läugnete Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von Schwann vorkommen. Alle spindelförmigen, geschwänzten oder gezackten Elemente wären eben so sehr Kunstprodukte, wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe, eine falsche Deutung des optischen Bildes. Meine Untersuchungen haben nun gelehrt, dass sowohl die Schwannsche, als die Reichertsche Beobachtung bis zu einem gewissen Grade auf richtigen Anschauungen beruht. Erstlich gegen Reichert, dass in der That spindelförmige und sternförmige Elemente mit vollkommener Sicherheit existi- ren (Fig. 20), dann aber gegen Schwann und mit Reichert, dass eine direkte Zerklüftung der Zellen zu Fasern nicht ge- schieht, dass vielmehr dasjenige, was wir nachher als Binde- gewebe vor uns sehen, in der That der alten, mehr oder weniger gleichmässigen Intercellularsubstanz entspricht. Ich fand fer- ner, dass Reichert sowohl als Henle und Schwann darin Unrecht hatten, wenn sie zuletzt im besten Falle Kerne oder Kernfasern übrig liessen; dass vielmehr in den meisten Fällen

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/61>, abgerufen am 26.04.2024.