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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Achte Vorlesung.
die colossalsten Austretungen von serösen Flüssigkeiten expe-
rimentell erzeugen, aber nie erfolgt dabei jene eigenthüm-
liche fibrinöse Exsudation, welche die Reizung gewisser Ge-
webe mit so grosser Leichtigkeit hervorruft.

Dass das Fibrin im Blute selbst durch eine Umsetzung
des Eiweisses entstünde, ist eine chemische Theorie, die weiter
keine Stütze für sich hat, als die, dass Eiweis und Fibrin
grosse chemische Achnlichkeit haben, und dass man sich, wenn
man die zweifelhafte Formel des Fibrins mit der ebenso zweifel-
haften Formel des Eiweisses vergleicht, durch das Ausscheiden
von ein paar Atomen den Uebergang von Albumin in Fibrin
sehr leicht denken kann. Allein diese Möglichkeit der Formel-
überführung beweist nicht das Geringste dafür, dass eine
analoge Umsetzung in der Blutmasse geschehe. Sie kann
möglicherweise im Körper erfolgen, aber dann wäre es jeden-
falls wahrscheinlicher, dass sie in den Geweben erfolgt und dass
erst von da aus eine Fortführung durch die Lymphe geschehe.
Indess ist dies um so mehr zweifelhaft, als die rationelle For-
mel für die chemische Zusammensetzung des Eiweisses und
des Faserstoffes bis jetzt noch nicht ermittelt ist, und die un-
glaublich hohen Atomzahlen der empirischen Formel auf eine
sehr zusammengesetzte Gruppirung der Atome hindeuten.

Halten wir daher an der Erfahrung fest, dass das Fibrin
nur dadurch zum Austritt auf irgend eine Oberfläche gebracht
werden kann, dass wir ausser der Störung der Circulation auch
noch einen Reiz, d. h. eine locale Veränderung setzen. Diese
locale Veränderung genügt aber erfahrungsgemäss für sich, um
den Austritt von Fibrin zu bedingen, wenn auch keine Hem-
mung der Circulation eintritt. Es bedarf daher dieser Hem-
mung gar nicht, um die Erzeugung von Fibrin an einem be-
stimmten Punkte einzuleiten. Im Gegentheil sehen wir, dass
in der besonderen Beschaffenheit der gereizten Theile die Ursache
der grössten Verschiedenheiten gegeben ist. Wenn wir z. B. ein-
fach eine reizende Substanz auf die Hautoberfläche bringen, so
gibt es bei geringeren Graden der Reizung, mag sie nun che-
mischer oder mechanischer Natur sein, eine Blase, ein seröses
Exsudat. Ist die Reizung stärker, so tritt eine Flüssigkeit
aus, welche in der Blase vollkommen flüssig erscheint, aber

Achte Vorlesung.
die colossalsten Austretungen von serösen Flüssigkeiten expe-
rimentell erzeugen, aber nie erfolgt dabei jene eigenthüm-
liche fibrinöse Exsudation, welche die Reizung gewisser Ge-
webe mit so grosser Leichtigkeit hervorruft.

Dass das Fibrin im Blute selbst durch eine Umsetzung
des Eiweisses entstünde, ist eine chemische Theorie, die weiter
keine Stütze für sich hat, als die, dass Eiweis und Fibrin
grosse chemische Achnlichkeit haben, und dass man sich, wenn
man die zweifelhafte Formel des Fibrins mit der ebenso zweifel-
haften Formel des Eiweisses vergleicht, durch das Ausscheiden
von ein paar Atomen den Uebergang von Albumin in Fibrin
sehr leicht denken kann. Allein diese Möglichkeit der Formel-
überführung beweist nicht das Geringste dafür, dass eine
analoge Umsetzung in der Blutmasse geschehe. Sie kann
möglicherweise im Körper erfolgen, aber dann wäre es jeden-
falls wahrscheinlicher, dass sie in den Geweben erfolgt und dass
erst von da aus eine Fortführung durch die Lymphe geschehe.
Indess ist dies um so mehr zweifelhaft, als die rationelle For-
mel für die chemische Zusammensetzung des Eiweisses und
des Faserstoffes bis jetzt noch nicht ermittelt ist, und die un-
glaublich hohen Atomzahlen der empirischen Formel auf eine
sehr zusammengesetzte Gruppirung der Atome hindeuten.

Halten wir daher an der Erfahrung fest, dass das Fibrin
nur dadurch zum Austritt auf irgend eine Oberfläche gebracht
werden kann, dass wir ausser der Störung der Circulation auch
noch einen Reiz, d. h. eine locale Veränderung setzen. Diese
locale Veränderung genügt aber erfahrungsgemäss für sich, um
den Austritt von Fibrin zu bedingen, wenn auch keine Hem-
mung der Circulation eintritt. Es bedarf daher dieser Hem-
mung gar nicht, um die Erzeugung von Fibrin an einem be-
stimmten Punkte einzuleiten. Im Gegentheil sehen wir, dass
in der besonderen Beschaffenheit der gereizten Theile die Ursache
der grössten Verschiedenheiten gegeben ist. Wenn wir z. B. ein-
fach eine reizende Substanz auf die Hautoberfläche bringen, so
gibt es bei geringeren Graden der Reizung, mag sie nun che-
mischer oder mechanischer Natur sein, eine Blase, ein seröses
Exsudat. Ist die Reizung stärker, so tritt eine Flüssigkeit
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[148/0170] Achte Vorlesung. die colossalsten Austretungen von serösen Flüssigkeiten expe- rimentell erzeugen, aber nie erfolgt dabei jene eigenthüm- liche fibrinöse Exsudation, welche die Reizung gewisser Ge- webe mit so grosser Leichtigkeit hervorruft. Dass das Fibrin im Blute selbst durch eine Umsetzung des Eiweisses entstünde, ist eine chemische Theorie, die weiter keine Stütze für sich hat, als die, dass Eiweis und Fibrin grosse chemische Achnlichkeit haben, und dass man sich, wenn man die zweifelhafte Formel des Fibrins mit der ebenso zweifel- haften Formel des Eiweisses vergleicht, durch das Ausscheiden von ein paar Atomen den Uebergang von Albumin in Fibrin sehr leicht denken kann. Allein diese Möglichkeit der Formel- überführung beweist nicht das Geringste dafür, dass eine analoge Umsetzung in der Blutmasse geschehe. Sie kann möglicherweise im Körper erfolgen, aber dann wäre es jeden- falls wahrscheinlicher, dass sie in den Geweben erfolgt und dass erst von da aus eine Fortführung durch die Lymphe geschehe. Indess ist dies um so mehr zweifelhaft, als die rationelle For- mel für die chemische Zusammensetzung des Eiweisses und des Faserstoffes bis jetzt noch nicht ermittelt ist, und die un- glaublich hohen Atomzahlen der empirischen Formel auf eine sehr zusammengesetzte Gruppirung der Atome hindeuten. Halten wir daher an der Erfahrung fest, dass das Fibrin nur dadurch zum Austritt auf irgend eine Oberfläche gebracht werden kann, dass wir ausser der Störung der Circulation auch noch einen Reiz, d. h. eine locale Veränderung setzen. Diese locale Veränderung genügt aber erfahrungsgemäss für sich, um den Austritt von Fibrin zu bedingen, wenn auch keine Hem- mung der Circulation eintritt. Es bedarf daher dieser Hem- mung gar nicht, um die Erzeugung von Fibrin an einem be- stimmten Punkte einzuleiten. Im Gegentheil sehen wir, dass in der besonderen Beschaffenheit der gereizten Theile die Ursache der grössten Verschiedenheiten gegeben ist. Wenn wir z. B. ein- fach eine reizende Substanz auf die Hautoberfläche bringen, so gibt es bei geringeren Graden der Reizung, mag sie nun che- mischer oder mechanischer Natur sein, eine Blase, ein seröses Exsudat. Ist die Reizung stärker, so tritt eine Flüssigkeit aus, welche in der Blase vollkommen flüssig erscheint, aber

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/170>, abgerufen am 26.04.2024.