schien; dem wir alle Künste seines Jahrhunderts zuschrieben, weil er in's Schauspiel ging, und sich seine Vergötterung ge- fallen ließ, der auf den Thron kam, als eine Menge regie- render Vasallen gebändigt, und ihr Land seinem Reiche ein- verleibt war, der, weil er nie allein sein konnte, und alles gesprächsweise abmachte, die Nationalgeselligkeit auf den höch- sten Punkt trieb, wohin der Letzte im Volk mit hinan gezo- gen, und geschickt dazu ward; einen Mann, bei dessen Re- gierung die Welt gleichsam nach Luft schnappte, weil die kul- tivirten Gräuel bis auf den äußersten Gipfel gekommen wa- ren; aber doch noch oft von neuem wütheten; der sie ganz gottselig selbst befahl: und sie von Geistlichen und weltlichen Gelehrten sanktioniren, und rein waschen ließ. Wir brauch- ten auch keinen Helden, der sein eigen Land besiegen mußte, wie Heinrich der Vierte: wir haben eine ganz andere Ge- schichte; und streben doch nach den Fehlern, die jene Geschichte der Nation aufprägen muß: könnten wir ihre Tugenden ohne ihr Unglück uns eigen machen! -- Montag den 5. Novem- ber 1822, nachdem Mad. Boucher gesagt hatte, Goethens Tasso "c'est un hypochondre!" --
November 1822.
Es kommt mir sehr gelegen, an Rossini's tanti palpiti und Karl Maria Webers Jungfernkranz eine alte Behauptung bewähren zu können; daß nämlich nicht alle Melodieen, die vom Volke leicht aufgefaßt und gesungen werden, dadurch allein für schön erklärt werden können. Es giebt Melodieen mit einem bequemen Rhythmus, die zu keiner besondern, und
ſchien; dem wir alle Künſte ſeines Jahrhunderts zuſchrieben, weil er in’s Schauſpiel ging, und ſich ſeine Vergötterung ge- fallen ließ, der auf den Thron kam, als eine Menge regie- render Vaſallen gebändigt, und ihr Land ſeinem Reiche ein- verleibt war, der, weil er nie allein ſein konnte, und alles geſprächsweiſe abmachte, die Nationalgeſelligkeit auf den höch- ſten Punkt trieb, wohin der Letzte im Volk mit hinan gezo- gen, und geſchickt dazu ward; einen Mann, bei deſſen Re- gierung die Welt gleichſam nach Luft ſchnappte, weil die kul- tivirten Gräuel bis auf den äußerſten Gipfel gekommen wa- ren; aber doch noch oft von neuem wütheten; der ſie ganz gottſelig ſelbſt befahl: und ſie von Geiſtlichen und weltlichen Gelehrten ſanktioniren, und rein waſchen ließ. Wir brauch- ten auch keinen Helden, der ſein eigen Land beſiegen mußte, wie Heinrich der Vierte: wir haben eine ganz andere Ge- ſchichte; und ſtreben doch nach den Fehlern, die jene Geſchichte der Nation aufprägen muß: könnten wir ihre Tugenden ohne ihr Unglück uns eigen machen! — Montag den 5. Novem- ber 1822, nachdem Mad. Boucher geſagt hatte, Goethens Taſſo „c’est un hypochondre!“ —
November 1822.
Es kommt mir ſehr gelegen, an Roſſini’s tanti palpiti und Karl Maria Webers Jungfernkranz eine alte Behauptung bewähren zu können; daß nämlich nicht alle Melodieen, die vom Volke leicht aufgefaßt und geſungen werden, dadurch allein für ſchön erklärt werden können. Es giebt Melodieen mit einem bequemen Rhythmus, die zu keiner beſondern, und
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ſchien; dem wir alle Künſte ſeines Jahrhunderts zuſchrieben,
weil er in’s Schauſpiel ging, und ſich ſeine Vergötterung ge-
fallen ließ, der auf den Thron kam, als eine Menge regie-
render Vaſallen gebändigt, und ihr Land ſeinem Reiche ein-
verleibt war, der, weil er nie allein ſein konnte, und alles
geſprächsweiſe abmachte, die Nationalgeſelligkeit auf den höch-
ſten Punkt trieb, wohin der Letzte im Volk mit hinan gezo-
gen, und geſchickt dazu ward; einen Mann, bei deſſen Re-
gierung die Welt gleichſam nach Luft ſchnappte, weil die kul-
tivirten Gräuel bis auf den äußerſten Gipfel gekommen wa-
ren; aber doch noch oft von neuem wütheten; der ſie ganz
gottſelig ſelbſt befahl: und ſie von Geiſtlichen und weltlichen
Gelehrten ſanktioniren, und rein waſchen ließ. Wir brauch-
ten auch keinen Helden, der ſein eigen Land beſiegen mußte,
wie Heinrich der Vierte: wir haben eine ganz andere Ge-
ſchichte; und ſtreben doch nach den Fehlern, die jene Geſchichte
der Nation aufprägen muß: könnten wir ihre Tugenden ohne
ihr Unglück uns eigen machen! — Montag den 5. Novem-
ber 1822, nachdem Mad. Boucher geſagt hatte, Goethens
Taſſo „c’est un hypochondre!“ —
November 1822.
Es kommt mir ſehr gelegen, an Roſſini’s tanti palpiti
und Karl Maria Webers Jungfernkranz eine alte Behauptung
bewähren zu können; daß nämlich nicht alle Melodieen, die
vom Volke leicht aufgefaßt und geſungen werden, dadurch
allein für ſchön erklärt werden können. Es giebt Melodieen
mit einem bequemen Rhythmus, die zu keiner beſondern, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/83>, abgerufen am 22.12.2024.
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