Handlen ist an und für sich sittlich: da hebt es an. Man kann gar nicht unsittlich handlen. Im Zustand der größten Leidenschaftlichkeit schieben wir uns Rechtsmotive un- ter -- alles andre ist Leiden. -- Bei Handlen ist, im Hand- len, Wählen, Richten, Wollen. Wollen ist geistiges Handlen. Klar sein, oder es nicht sein, ist ein Zustand, ist die unver- standene Welt. Wir verstehen nichts, auch gar nichts, als unsern Willen. Wir wollen es gut machen; richtig; konse- quent; uns selbst verständlich. Boshafte Gemüther, wie es denn wirklich welche giebt, sind unklar; in einem unrichtigen Zustand; durch die Saiten auf ihrem Herzen; die natürliche Bewegung desselben haben sie schwer; es bewegt sich schwerer; eine stärkere erst macht sie ihr Leben fühlen: sie müssen auf Andere agiren wie wir, und müssen sehen, daß sie Bewegung hervorbringen; das zeigt ihnen der Andern Ärger, Scham, Zorn leichter; dann glauben die Boshaften, sie haben etwas bewirkt: wie sie anderes Zusammenhängenderes, Sanftes be- wirken konnten, ist ihnen nicht klar, und nicht leicht; und ih- rem schwerbesaiteten Herzen nicht leicht vernehmlich: so sagt es ihnen wieder nichts. Aber jede Bosheit, jeder Boshafte, kann klar gemacht werden: ist die Bosheit erhellt, dargethan, daß sie eine Schiefheit ist, einen Mangel zum Grunde hat, so wählt kein Mensch -- heißt kein vernunftbegabtes Wesen, kein sich fortentwicklendes Vernunftprinzip -- sie aus ganz unzubegründender Liebhaberei. Und Fichte beweist es; und mir ist es lange bewiesen, man kann jedes verständige Ge-
Mittwoch, den 14. November 1821.
Handlen iſt an und für ſich ſittlich: da hebt es an. Man kann gar nicht unſittlich handlen. Im Zuſtand der größten Leidenſchaftlichkeit ſchieben wir uns Rechtsmotive un- ter — alles andre iſt Leiden. — Bei Handlen iſt, im Hand- len, Wählen, Richten, Wollen. Wollen iſt geiſtiges Handlen. Klar ſein, oder es nicht ſein, iſt ein Zuſtand, iſt die unver- ſtandene Welt. Wir verſtehen nichts, auch gar nichts, als unſern Willen. Wir wollen es gut machen; richtig; konſe- quent; uns ſelbſt verſtändlich. Boshafte Gemüther, wie es denn wirklich welche giebt, ſind unklar; in einem unrichtigen Zuſtand; durch die Saiten auf ihrem Herzen; die natürliche Bewegung deſſelben haben ſie ſchwer; es bewegt ſich ſchwerer; eine ſtärkere erſt macht ſie ihr Leben fühlen: ſie müſſen auf Andere agiren wie wir, und müſſen ſehen, daß ſie Bewegung hervorbringen; das zeigt ihnen der Andern Ärger, Scham, Zorn leichter; dann glauben die Boshaften, ſie haben etwas bewirkt: wie ſie anderes Zuſammenhängenderes, Sanftes be- wirken konnten, iſt ihnen nicht klar, und nicht leicht; und ih- rem ſchwerbeſaiteten Herzen nicht leicht vernehmlich: ſo ſagt es ihnen wieder nichts. Aber jede Bosheit, jeder Boshafte, kann klar gemacht werden: iſt die Bosheit erhellt, dargethan, daß ſie eine Schiefheit iſt, einen Mangel zum Grunde hat, ſo wählt kein Menſch — heißt kein vernunftbegabtes Weſen, kein ſich fortentwicklendes Vernunftprinzip — ſie aus ganz unzubegründender Liebhaberei. Und Fichte beweiſt es; und mir iſt es lange bewieſen, man kann jedes verſtändige Ge-
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Mittwoch, den 14. November 1821.
Handlen iſt an und für ſich ſittlich: da hebt es an.
Man kann gar nicht unſittlich handlen. Im Zuſtand der
größten Leidenſchaftlichkeit ſchieben wir uns Rechtsmotive un-
ter — alles andre iſt Leiden. — Bei Handlen iſt, im Hand-
len, Wählen, Richten, Wollen. Wollen iſt geiſtiges Handlen.
Klar ſein, oder es nicht ſein, iſt ein Zuſtand, iſt die unver-
ſtandene Welt. Wir verſtehen nichts, auch gar nichts, als
unſern Willen. Wir wollen es gut machen; richtig; konſe-
quent; uns ſelbſt verſtändlich. Boshafte Gemüther, wie es
denn wirklich welche giebt, ſind unklar; in einem unrichtigen
Zuſtand; durch die Saiten auf ihrem Herzen; die natürliche
Bewegung deſſelben haben ſie ſchwer; es bewegt ſich ſchwerer;
eine ſtärkere erſt macht ſie ihr Leben fühlen: ſie müſſen auf
Andere agiren wie wir, und müſſen ſehen, daß ſie Bewegung
hervorbringen; das zeigt ihnen der Andern Ärger, Scham,
Zorn leichter; dann glauben die Boshaften, ſie haben etwas
bewirkt: wie ſie anderes Zuſammenhängenderes, Sanftes be-
wirken konnten, iſt ihnen nicht klar, und nicht leicht; und ih-
rem ſchwerbeſaiteten Herzen nicht leicht vernehmlich: ſo ſagt
es ihnen wieder nichts. Aber jede Bosheit, jeder Boshafte,
kann klar gemacht werden: iſt die Bosheit erhellt, dargethan,
daß ſie eine Schiefheit iſt, einen Mangel zum Grunde hat,
ſo wählt kein Menſch — heißt kein vernunftbegabtes Weſen,
kein ſich fortentwicklendes Vernunftprinzip — ſie aus ganz
unzubegründender Liebhaberei. Und Fichte beweiſt es; und
mir iſt es lange bewieſen, man kann jedes verſtändige Ge-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/60>, abgerufen am 20.11.2024.
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