Endlich, meine gute Schwester, kann ich dir schreiben. Der Tod, der mich schon käute -- nach langem minder offen- barem und sichtbarem Kranksein für Andre -- hat mich wie- der weggespien -- schrecklichst! -- und beim Erwachen ist Robert weg. --
Keine Worte sollen gebraucht werden: jeder mit seinen Gedanken kämpfen, und sich mit denen und durch sie versöh- nen. Ich habe ein großes Stück Leben, und von dem jüngern dadurch verloren. Viel dachte ich, viel lebte ich mit ihm in der Welt: hin ist es; mit Keinem kann ich dies sprechen, behandlen. Und ein Gegenstand meiner innigsten zärtlichsten Liebe ist mir entschwunden! nicht mehr weiß ich, wie es ihm geht. Kurz, es ist der Tod, den wir nicht verstehn, nächst dem Leben. Wenn es dir nur nicht schadet! Wenn du dich nur nicht vor der Cholera fürchtest! Ich hatte ein hartes Jahr davon: nicht grad aus Furcht: aber aus Besorgniß -- der Anstalten, des Pöbels -- und des Lufteinflusses. Laß uns leben bleiben: wir wollen suchen uns zu sehn; unsre Liebe zu pflegen; so lange wir noch oben sind; auf der Erde. Vier ganze Wochen verschwieg man mir den Verlust. Ich bin bes- ser in der Seele, als man, und ich denken sollte. Ich dachte meinen Tod nahe; und habe alles dies schon so lange be- dacht: heißt vergeblich! Ich halte mich am Wunder der Exi-
An Roſe, im Haag.
Berlin, Freitag den 16. Auguſt 1832.
Endlich, meine gute Schweſter, kann ich dir ſchreiben. Der Tod, der mich ſchon käute — nach langem minder offen- barem und ſichtbarem Krankſein für Andre — hat mich wie- der weggeſpien — ſchrecklichſt! — und beim Erwachen iſt Robert weg. —
Keine Worte ſollen gebraucht werden: jeder mit ſeinen Gedanken kämpfen, und ſich mit denen und durch ſie verſöh- nen. Ich habe ein großes Stück Leben, und von dem jüngern dadurch verloren. Viel dachte ich, viel lebte ich mit ihm in der Welt: hin iſt es; mit Keinem kann ich dies ſprechen, behandlen. Und ein Gegenſtand meiner innigſten zärtlichſten Liebe iſt mir entſchwunden! nicht mehr weiß ich, wie es ihm geht. Kurz, es iſt der Tod, den wir nicht verſtehn, nächſt dem Leben. Wenn es dir nur nicht ſchadet! Wenn du dich nur nicht vor der Cholera fürchteſt! Ich hatte ein hartes Jahr davon: nicht grad aus Furcht: aber aus Beſorgniß — der Anſtalten, des Pöbels — und des Lufteinfluſſes. Laß uns leben bleiben: wir wollen ſuchen uns zu ſehn; unſre Liebe zu pflegen; ſo lange wir noch oben ſind; auf der Erde. Vier ganze Wochen verſchwieg man mir den Verluſt. Ich bin beſ- ſer in der Seele, als man, und ich denken ſollte. Ich dachte meinen Tod nahe; und habe alles dies ſchon ſo lange be- dacht: heißt vergeblich! Ich halte mich am Wunder der Exi-
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An Roſe, im Haag.
Berlin, Freitag den 16. Auguſt 1832.
Endlich, meine gute Schweſter, kann ich dir ſchreiben.
Der Tod, der mich ſchon käute — nach langem minder offen-
barem und ſichtbarem Krankſein für Andre — hat mich wie-
der weggeſpien — ſchrecklichſt! — und beim Erwachen iſt
Robert weg. —
Keine Worte ſollen gebraucht werden: jeder mit ſeinen
Gedanken kämpfen, und ſich mit denen und durch ſie verſöh-
nen. Ich habe ein großes Stück Leben, und von dem jüngern
dadurch verloren. Viel dachte ich, viel lebte ich mit ihm in
der Welt: hin iſt es; mit Keinem kann ich dies ſprechen,
behandlen. Und ein Gegenſtand meiner innigſten zärtlichſten
Liebe iſt mir entſchwunden! nicht mehr weiß ich, wie es ihm
geht. Kurz, es iſt der Tod, den wir nicht verſtehn, nächſt
dem Leben. Wenn es dir nur nicht ſchadet! Wenn du dich
nur nicht vor der Cholera fürchteſt! Ich hatte ein hartes
Jahr davon: nicht grad aus Furcht: aber aus Beſorgniß —
der Anſtalten, des Pöbels — und des Lufteinfluſſes. Laß uns
leben bleiben: wir wollen ſuchen uns zu ſehn; unſre Liebe zu
pflegen; ſo lange wir noch oben ſind; auf der Erde. Vier
ganze Wochen verſchwieg man mir den Verluſt. Ich bin beſ-
ſer in der Seele, als man, und ich denken ſollte. Ich dachte
meinen Tod nahe; und habe alles dies ſchon ſo lange be-
dacht: heißt vergeblich! Ich halte mich am Wunder der Exi-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/592>, abgerufen am 20.11.2024.
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