Von allen Autoren, die ich kenne, hat keiner einen grö- ßeren, reicheren, inhaltvolleren Gedanken ausgesprochen, als Saint-Martin; durch die Worte: "Unsere künftige Glückse- ligkeit wird darin bestehen, daß wir jeden Augenblick et- was Neues erfahren werden." Dann auch nur werden wir befreit sein, und am Erschaffen Theil haben. Jetzt müssen wir nur wiederholen, in Variationen auf derselben Beschränkung: gewiß Folge einer Wahl; und Bedingung; diese aber schließt Vollkommenheit, also wirkliches, nothwen- diges Glück aus. Sonntag, noch in meinem Krankenbett, den 29. Juli 1832. 10 Uhr Morgens, Saint-Martin ist mein größter revelateur.
An Mariane Saaling.
Sonnabend, den 21. Juli 1832.
Fürchten Sie nichts, gute Freundin! Sie können mich sehn: aber niemand muß davon wissen; sonst kommen Prä- tensionen. Sie liebes Mädchen will ich wegen der Person spre- chen, die ich zu Michaelis nehmen wollte, aber nicht neh- men werde; ihr Schade wird es nicht sein.
Auch habe ich Appetit Sie zu sehn. Liebe Religions- schwester! Ewig in Gottes Güte zusammen! Rahel. Um 6 Uhr ist eine schöne Stunde.
Von allen Autoren, die ich kenne, hat keiner einen grö- ßeren, reicheren, inhaltvolleren Gedanken ausgeſprochen, als Saint-Martin; durch die Worte: „Unſere künftige Glückſe- ligkeit wird darin beſtehen, daß wir jeden Augenblick et- was Neues erfahren werden.“ Dann auch nur werden wir befreit ſein, und am Erſchaffen Theil haben. Jetzt müſſen wir nur wiederholen, in Variationen auf derſelben Beſchränkung: gewiß Folge einer Wahl; und Bedingung; dieſe aber ſchließt Vollkommenheit, alſo wirkliches, nothwen- diges Glück aus. Sonntag, noch in meinem Krankenbett, den 29. Juli 1832. 10 Uhr Morgens, Saint-Martin iſt mein größter révélateur.
An Mariane Saaling.
Sonnabend, den 21. Juli 1832.
Fürchten Sie nichts, gute Freundin! Sie können mich ſehn: aber niemand muß davon wiſſen; ſonſt kommen Prä- tenſionen. Sie liebes Mädchen will ich wegen der Perſon ſpre- chen, die ich zu Michaelis nehmen wollte, aber nicht neh- men werde; ihr Schade wird es nicht ſein.
Auch habe ich Appetit Sie zu ſehn. Liebe Religions- ſchweſter! Ewig in Gottes Güte zuſammen! Rahel. Um 6 Uhr iſt eine ſchöne Stunde.
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Von allen Autoren, die ich kenne, hat keiner einen grö-
ßeren, reicheren, inhaltvolleren Gedanken ausgeſprochen, als
Saint-Martin; durch die Worte: „Unſere künftige Glückſe-
ligkeit wird darin beſtehen, daß wir jeden Augenblick et-
was Neues erfahren werden.“ Dann auch nur werden
wir befreit ſein, und am Erſchaffen Theil haben. Jetzt
müſſen wir nur wiederholen, in Variationen auf derſelben
Beſchränkung: gewiß Folge einer Wahl; und Bedingung;
dieſe aber ſchließt Vollkommenheit, alſo wirkliches, nothwen-
diges Glück aus. Sonntag, noch in meinem Krankenbett, den
29. Juli 1832. 10 Uhr Morgens, Saint-Martin iſt mein
größter révélateur.
An Mariane Saaling.
Sonnabend, den 21. Juli 1832.
Fürchten Sie nichts, gute Freundin! Sie können mich
ſehn: aber niemand muß davon wiſſen; ſonſt kommen Prä-
tenſionen. Sie liebes Mädchen will ich wegen der Perſon ſpre-
chen, die ich zu Michaelis nehmen wollte, aber nicht neh-
men werde; ihr Schade wird es nicht ſein.
Auch habe ich Appetit Sie zu ſehn. Liebe Religions-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/589>, abgerufen am 22.12.2024.
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