Recht befriedigt, liebe Freundin, hat mich Ihr Brief! Weil er mir sagte, was ich gerne weiß. Daß es Ihnen gut geht, daß Sie anerkannt sind. Herr von Lehr hat mir das wahr- und glaubhaft bestätigt; und Ihr Leben etwas detaillirt: ich freue mich dessen, und der Achtung und Behaglichkeit, die Sie genießen. Und bin Ihrer Genesung froh! Das Beste, was ich Ihnen nun endlich jetzt von mir zu sagen weiß, ist, daß kein Jahr vergehen wird, ohne daß ich Sie entweder hier, oder in den Ländern Ihrer Nachbarschaft werde gesehen haben. Wenn bis dahin meine Augen noch sehen! Diese Hy- pochondrie entfährt mir, weil gestern vor acht Tagen meine intimste, treuste Freundin, die alles von mir kannte, und er- lebt hatte, Krankheiten, Leid, Geschichten, Inneres und Äu- ßeres, der ich treu war und beistand, fünfundvierzig Jahr alt begraben wurde. Von allen Lebenden dacht' ich mir deren Tod am wenigsten. Sieben Wochen lag sie in einem Nerven- und Schleimfieber; drei Wochen pflegte ich: dann fiel ich ein, die ich schon zwei Jahr kranke, und litt das Unendliche, und war, wie man sagt, gefährlich. Koreff machte ein Meisterstück von Fleiß, Umsicht, Glück und Weisheit. Den Tag, wo Nett- chen Markuse begraben wurde, fuhr ich schwankend und wan- kend zum erstenmal aus. Jede Blume erschrak mich. Ich wollte mich meiner Genesung freuen; und konnte nicht, ich mußte an der Freude, die mir die Vorstellungen im Bette da-
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Berlin, den 29. Juli 1821.
Recht befriedigt, liebe Freundin, hat mich Ihr Brief! Weil er mir ſagte, was ich gerne weiß. Daß es Ihnen gut geht, daß Sie anerkannt ſind. Herr von Lehr hat mir das wahr- und glaubhaft beſtätigt; und Ihr Leben etwas detaillirt: ich freue mich deſſen, und der Achtung und Behaglichkeit, die Sie genießen. Und bin Ihrer Geneſung froh! Das Beſte, was ich Ihnen nun endlich jetzt von mir zu ſagen weiß, iſt, daß kein Jahr vergehen wird, ohne daß ich Sie entweder hier, oder in den Ländern Ihrer Nachbarſchaft werde geſehen haben. Wenn bis dahin meine Augen noch ſehen! Dieſe Hy- pochondrie entfährt mir, weil geſtern vor acht Tagen meine intimſte, treuſte Freundin, die alles von mir kannte, und er- lebt hatte, Krankheiten, Leid, Geſchichten, Inneres und Äu- ßeres, der ich treu war und beiſtand, fünfundvierzig Jahr alt begraben wurde. Von allen Lebenden dacht’ ich mir deren Tod am wenigſten. Sieben Wochen lag ſie in einem Nerven- und Schleimfieber; drei Wochen pflegte ich: dann fiel ich ein, die ich ſchon zwei Jahr kranke, und litt das Unendliche, und war, wie man ſagt, gefährlich. Koreff machte ein Meiſterſtück von Fleiß, Umſicht, Glück und Weisheit. Den Tag, wo Nett- chen Markuſe begraben wurde, fuhr ich ſchwankend und wan- kend zum erſtenmal aus. Jede Blume erſchrak mich. Ich wollte mich meiner Geneſung freuen; und konnte nicht, ich mußte an der Freude, die mir die Vorſtellungen im Bette da-
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[46/0054]
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Berlin, den 29. Juli 1821.
Recht befriedigt, liebe Freundin, hat mich Ihr Brief!
Weil er mir ſagte, was ich gerne weiß. Daß es Ihnen gut
geht, daß Sie anerkannt ſind. Herr von Lehr hat mir das
wahr- und glaubhaft beſtätigt; und Ihr Leben etwas detaillirt:
ich freue mich deſſen, und der Achtung und Behaglichkeit, die
Sie genießen. Und bin Ihrer Geneſung froh! Das Beſte,
was ich Ihnen nun endlich jetzt von mir zu ſagen weiß, iſt,
daß kein Jahr vergehen wird, ohne daß ich Sie entweder
hier, oder in den Ländern Ihrer Nachbarſchaft werde geſehen
haben. Wenn bis dahin meine Augen noch ſehen! Dieſe Hy-
pochondrie entfährt mir, weil geſtern vor acht Tagen meine
intimſte, treuſte Freundin, die alles von mir kannte, und er-
lebt hatte, Krankheiten, Leid, Geſchichten, Inneres und Äu-
ßeres, der ich treu war und beiſtand, fünfundvierzig Jahr
alt begraben wurde. Von allen Lebenden dacht’ ich mir deren
Tod am wenigſten. Sieben Wochen lag ſie in einem Nerven-
und Schleimfieber; drei Wochen pflegte ich: dann fiel ich ein,
die ich ſchon zwei Jahr kranke, und litt das Unendliche, und
war, wie man ſagt, gefährlich. Koreff machte ein Meiſterſtück
von Fleiß, Umſicht, Glück und Weisheit. Den Tag, wo Nett-
chen Markuſe begraben wurde, fuhr ich ſchwankend und wan-
kend zum erſtenmal aus. Jede Blume erſchrak mich. Ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/54>, abgerufen am 20.11.2024.
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