Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens.
Regenwetter; grau stöberig.
Noch mehr geliebte Freundin!
Weil ich vorgestern den liebenswürdigsten, einen vortreff- lichen Brief von Ihnen sah; völlig urban; durchaus gebildet. Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men- schenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürstin, daß ich ein We- sen daraus machen will, und Sie nun herausloben will. Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in allen Menschen ist, was ich ehre und liebe. Das ist: die ge- rechte, fromme, reinseelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich- stellung der Menschen: der Kreaturen, die allein, und Alle einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit. Diese Gleichstellung, schöne Freundin, zeigte sich auf das liebenswürdigste in unbewußter Unschuld, in einem Briefe, an eine -- arme! -- Karoline Fischer (so, glaub' ich, ist ihr Name: ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addresse nicht abzuschreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle- gen war), der Sie eine Geldsumme vorläufige Hülfe mit der Post hieherschicken; und in welchem Sie mich so ehrend und herzerhebend erwähnen: für welches und solches der Mensch nur mit seinem ganzen Wesen, aber nicht mit Worten dan- ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch so sehr möchte!
Mit diesem Briefe und dessen Inhalt, verkehrt vorgetra- gen, wurde ein Postbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil diese Mad. Fischer richtig in der angegebenen Straße und Haus-
An Adelheid Fürſtin von Carolath.
Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens.
Regenwetter; grau ſtöberig.
Noch mehr geliebte Freundin!
Weil ich vorgeſtern den liebenswürdigſten, einen vortreff- lichen Brief von Ihnen ſah; völlig urban; durchaus gebildet. Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men- ſchenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürſtin, daß ich ein We- ſen daraus machen will, und Sie nun herausloben will. Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in allen Menſchen iſt, was ich ehre und liebe. Das iſt: die ge- rechte, fromme, reinſeelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich- ſtellung der Menſchen: der Kreaturen, die allein, und Alle einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit. Dieſe Gleichſtellung, ſchöne Freundin, zeigte ſich auf das liebenswürdigſte in unbewußter Unſchuld, in einem Briefe, an eine — arme! — Karoline Fiſcher (ſo, glaub’ ich, iſt ihr Name: ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addreſſe nicht abzuſchreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle- gen war), der Sie eine Geldſumme vorläufige Hülfe mit der Poſt hieherſchicken; und in welchem Sie mich ſo ehrend und herzerhebend erwähnen: für welches und ſolches der Menſch nur mit ſeinem ganzen Weſen, aber nicht mit Worten dan- ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch ſo ſehr möchte!
Mit dieſem Briefe und deſſen Inhalt, verkehrt vorgetra- gen, wurde ein Poſtbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil dieſe Mad. Fiſcher richtig in der angegebenen Straße und Haus-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0350"n="342"/><divn="2"><head>An Adelheid Fürſtin von Carolath.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Regenwetter; grau ſtöberig.</hi></p><lb/><p>Noch mehr geliebte Freundin!</p><lb/><p>Weil ich vorgeſtern den liebenswürdigſten, einen vortreff-<lb/>
lichen Brief von Ihnen ſah; völlig urban; durchaus gebildet.<lb/>
Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men-<lb/>ſchenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürſtin, daß ich ein We-<lb/>ſen daraus machen will, und Sie nun herausloben will.<lb/>
Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen <hirendition="#g">was</hi> es in Ihnen, und in<lb/>
allen Menſchen iſt, was ich ehre und liebe. Das iſt: die <hirendition="#g">ge-<lb/>
rechte</hi>, fromme, reinſeelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich-<lb/>ſtellung der Menſchen: <hirendition="#g">der</hi> Kreaturen, die allein, und <hirendition="#g">Alle</hi><lb/>
einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit.<lb/>
Dieſe Gleichſtellung, <hirendition="#g">ſchöne</hi> Freundin, zeigte ſich auf das<lb/>
liebenswürdigſte in unbewußter Unſchuld, in einem Briefe, an<lb/>
eine — arme! — Karoline Fiſcher (ſo, glaub’ ich, iſt ihr Name:<lb/>
ich habe den <hirendition="#g">großen</hi> Fehler begangen, mir die Addreſſe nicht<lb/>
abzuſchreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle-<lb/>
gen war), der Sie eine Geldſumme vorläufige Hülfe mit der<lb/>
Poſt hieherſchicken; und in welchem Sie mich ſo ehrend und<lb/>
herzerhebend erwähnen: für welches und ſolches der Menſch<lb/>
nur mit ſeinem ganzen Weſen, aber nicht mit Worten dan-<lb/>
ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch ſo ſehr möchte!</p><lb/><p>Mit dieſem Briefe und deſſen Inhalt, verkehrt vorgetra-<lb/>
gen, wurde ein Poſtbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor<lb/>
mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil dieſe<lb/>
Mad. Fiſcher richtig in der angegebenen Straße und Haus-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[342/0350]
An Adelheid Fürſtin von Carolath.
Montag, den 13. Oktober 1828. halb 11 Uhr Morgens.
Regenwetter; grau ſtöberig.
Noch mehr geliebte Freundin!
Weil ich vorgeſtern den liebenswürdigſten, einen vortreff-
lichen Brief von Ihnen ſah; völlig urban; durchaus gebildet.
Vornehm, im wahren Sinn: gottesfürchtig; denn, voller Men-
ſchenliebe. Glauben Sie nicht, liebe Fürſtin, daß ich ein We-
ſen daraus machen will, und Sie nun herausloben will.
Nicht, nicht; ich will Ihnen zeigen was es in Ihnen, und in
allen Menſchen iſt, was ich ehre und liebe. Das iſt: die ge-
rechte, fromme, reinſeelige, wahrhaft- und ächt innre Gleich-
ſtellung der Menſchen: der Kreaturen, die allein, und Alle
einen Begriff von Gott haben können, und von Gerechtigkeit.
Dieſe Gleichſtellung, ſchöne Freundin, zeigte ſich auf das
liebenswürdigſte in unbewußter Unſchuld, in einem Briefe, an
eine — arme! — Karoline Fiſcher (ſo, glaub’ ich, iſt ihr Name:
ich habe den großen Fehler begangen, mir die Addreſſe nicht
abzuſchreiben: weil ich noch im Bette, eilig und etwas verle-
gen war), der Sie eine Geldſumme vorläufige Hülfe mit der
Poſt hieherſchicken; und in welchem Sie mich ſo ehrend und
herzerhebend erwähnen: für welches und ſolches der Menſch
nur mit ſeinem ganzen Weſen, aber nicht mit Worten dan-
ken kann; wenn er auch, wie ich, es noch ſo ſehr möchte!
Mit dieſem Briefe und deſſen Inhalt, verkehrt vorgetra-
gen, wurde ein Poſtbote bei mir angemeldet; ich ließ ihn vor
mein Bette kommen. Der Brief war erbrochen: weil dieſe
Mad. Fiſcher richtig in der angegebenen Straße und Haus-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/350>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.