Die Gewißheit, daß andre intensiv reichere Geister existi- ren müssen; aus dem unläugbaren Bewußtsein einer Zerstücke- lung in uns, eines Abgeschnittenen -- nicht nur Begränzten -- welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes kommen zu können, hervorgeht, diese Gewißheit begnügt uns durchaus nicht: und wir sind rein isolict, Mir aber zum Be- weis und Trost ist die Betrachtung unseres Verhältnisses zu den Thieren: auch sie sind absolut durch ihre Beschaffenheit von unserm Geist geschieden -- nicht in Raum und Zeit. Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das Vermögen dazu, sondern dem Vollführen stellt sich nichts ent- gegen, wenn sie nur vernunft- und gutartig genug dazu sind. Auch, finde ich, haben sie einen Vortheil vor uns voraus. Wenn sie auch ihren Gott, den Menschen, nicht verstehn, so sehn sie ihn doch; ihr gröberer Geist muß mehr unterstützt werden; kann man sagen. Ein mich sehr aufklärender Ge- danke ist der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir sie nicht in uns vorfänden -- und die der eben so kunstvollen Beschaffenheit der Thiere doch fehlt --, dies bürgt mir für wieder nicht zu imaginirende höhere Zustände, und Beschaf- fenheiten: und gelangte ich nie dazu.
Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgschaft, Bürge auf! -- Einer bürgt für den Andern; die Bürgschaft dazu ist ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver- nunft; und das sinnlose, nur Einen Sinn besitzende, alles be- lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: "Es
Den 25. December 1827.
Die Gewißheit, daß andre intenſiv reichere Geiſter exiſti- ren müſſen; aus dem unläugbaren Bewußtſein einer Zerſtücke- lung in uns, eines Abgeſchnittenen — nicht nur Begränzten — welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes kommen zu können, hervorgeht, dieſe Gewißheit begnügt uns durchaus nicht: und wir ſind rein iſolict, Mir aber zum Be- weis und Troſt iſt die Betrachtung unſeres Verhältniſſes zu den Thieren: auch ſie ſind abſolut durch ihre Beſchaffenheit von unſerm Geiſt geſchieden — nicht in Raum und Zeit. Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das Vermögen dazu, ſondern dem Vollführen ſtellt ſich nichts ent- gegen, wenn ſie nur vernunft- und gutartig genug dazu ſind. Auch, finde ich, haben ſie einen Vortheil vor uns voraus. Wenn ſie auch ihren Gott, den Menſchen, nicht verſtehn, ſo ſehn ſie ihn doch; ihr gröberer Geiſt muß mehr unterſtützt werden; kann man ſagen. Ein mich ſehr aufklärender Ge- danke iſt der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir ſie nicht in uns vorfänden — und die der eben ſo kunſtvollen Beſchaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für wieder nicht zu imaginirende höhere Zuſtände, und Beſchaf- fenheiten: und gelangte ich nie dazu.
Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgſchaft, Bürge auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgſchaft dazu iſt ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver- nunft; und das ſinnloſe, nur Einen Sinn beſitzende, alles be- lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: „Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0326"n="318"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 25. December 1827.</hi></dateline><lb/><p>Die Gewißheit, daß andre intenſiv reichere Geiſter exiſti-<lb/>
ren müſſen; aus dem unläugbaren Bewußtſein einer Zerſtücke-<lb/>
lung in uns, eines Abgeſchnittenen — nicht nur Begränzten —<lb/>
welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes<lb/>
kommen zu können, hervorgeht, dieſe Gewißheit begnügt uns<lb/>
durchaus nicht: und wir ſind rein iſolict, Mir aber zum Be-<lb/>
weis und Troſt iſt die Betrachtung unſeres Verhältniſſes zu<lb/>
den Thieren: auch ſie ſind abſolut durch ihre Beſchaffenheit<lb/>
von unſerm Geiſt geſchieden — nicht in Raum und Zeit.<lb/>
Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das<lb/>
Vermögen dazu, ſondern dem Vollführen ſtellt ſich nichts ent-<lb/>
gegen, wenn ſie nur vernunft- und gutartig genug dazu ſind.<lb/>
Auch, finde ich, haben ſie einen Vortheil vor uns voraus.<lb/>
Wenn ſie auch ihren Gott, den Menſchen, nicht verſtehn, ſo<lb/>ſehn ſie ihn doch; ihr gröberer Geiſt muß mehr unterſtützt<lb/>
werden; kann man ſagen. Ein mich ſehr aufklärender Ge-<lb/>
danke iſt der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die<lb/>
Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir<lb/>ſie nicht in uns vorfänden — und die der eben ſo kunſtvollen<lb/>
Beſchaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für<lb/><hirendition="#g">wieder</hi> nicht zu imaginirende höhere Zuſtände, und Beſchaf-<lb/>
fenheiten: und gelangte <hirendition="#g">ich</hi> nie dazu.</p><lb/><p>Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgſchaft, Bürge<lb/>
auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgſchaft dazu iſt<lb/>
ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver-<lb/>
nunft; und das ſinnloſe, nur Einen Sinn beſitzende, alles be-<lb/>
lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur <hirendition="#g">Eins</hi>: „Es<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[318/0326]
Den 25. December 1827.
Die Gewißheit, daß andre intenſiv reichere Geiſter exiſti-
ren müſſen; aus dem unläugbaren Bewußtſein einer Zerſtücke-
lung in uns, eines Abgeſchnittenen — nicht nur Begränzten —
welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes
kommen zu können, hervorgeht, dieſe Gewißheit begnügt uns
durchaus nicht: und wir ſind rein iſolict, Mir aber zum Be-
weis und Troſt iſt die Betrachtung unſeres Verhältniſſes zu
den Thieren: auch ſie ſind abſolut durch ihre Beſchaffenheit
von unſerm Geiſt geſchieden — nicht in Raum und Zeit.
Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das
Vermögen dazu, ſondern dem Vollführen ſtellt ſich nichts ent-
gegen, wenn ſie nur vernunft- und gutartig genug dazu ſind.
Auch, finde ich, haben ſie einen Vortheil vor uns voraus.
Wenn ſie auch ihren Gott, den Menſchen, nicht verſtehn, ſo
ſehn ſie ihn doch; ihr gröberer Geiſt muß mehr unterſtützt
werden; kann man ſagen. Ein mich ſehr aufklärender Ge-
danke iſt der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die
Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir
ſie nicht in uns vorfänden — und die der eben ſo kunſtvollen
Beſchaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für
wieder nicht zu imaginirende höhere Zuſtände, und Beſchaf-
fenheiten: und gelangte ich nie dazu.
Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgſchaft, Bürge
auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgſchaft dazu iſt
ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver-
nunft; und das ſinnloſe, nur Einen Sinn beſitzende, alles be-
lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: „Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/326>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.