Jungfrau dies: "es ist nicht meine Wahl." Ich hütete lieber Schafe. Mad. Beer ist in Mlle. Sontag, und etwas in mich verliebt; und nimmt mich mit. -- Von unserm Willisen hatte ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig und seine schöne Frau viel sah: sie fuhren mit ihm und dem Grafen Yorck spaziren, loben den sehr, und auch Willisens Munterkeit und mittheilungsvolles Wesen. Der Mensch muß reisen; "da wird es ihm angestrichen," sagen sie bei uns; heißt: nichts nachgegeben! "Der Mensch" hat aber doch Recht; nur in der Fremde ist er er; zu Hause muß er seine Ver- gangenheit repräsentiren: und die wird in der Gegenwart eine Maske; schwer zu tragen und das Gesicht verdeckend. -- Be- schämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geistreich. Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu sein; und Klär- chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue Anhänglichkeit beweisen zu dürfen: dann muß ich Ihnen danken. --
An Ludwig Robert, in Paris.
Berlin, den 19. September 1825.
Die vorige Woche sah' ich, wie alle hiesigen Einwohner, die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün- stigsten Meinung hin: für Rossini, für die Mimen, und Sän- ger; ganz unbefangen wenigstens. Solche reine Langeweile, bloß mit höchster Ungeduld bis zum Aufspringen -- (wenn
Jungfrau dies: „es iſt nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber Schafe. Mad. Beer iſt in Mlle. Sontag, und etwas in mich verliebt; und nimmt mich mit. — Von unſerm Williſen hatte ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig und ſeine ſchöne Frau viel ſah: ſie fuhren mit ihm und dem Grafen Yorck ſpaziren, loben den ſehr, und auch Williſens Munterkeit und mittheilungsvolles Weſen. Der Menſch muß reiſen; „da wird es ihm angeſtrichen,“ ſagen ſie bei uns; heißt: nichts nachgegeben! „Der Menſch“ hat aber doch Recht; nur in der Fremde iſt er er; zu Hauſe muß er ſeine Ver- gangenheit repräſentiren: und die wird in der Gegenwart eine Maske; ſchwer zu tragen und das Geſicht verdeckend. — Be- ſchämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geiſtreich. Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu ſein; und Klär- chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue Anhänglichkeit beweiſen zu dürfen: dann muß ich Ihnen danken. —
An Ludwig Robert, in Paris.
Berlin, den 19. September 1825.
Die vorige Woche ſah’ ich, wie alle hieſigen Einwohner, die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün- ſtigſten Meinung hin: für Roſſini, für die Mimen, und Sän- ger; ganz unbefangen wenigſtens. Solche reine Langeweile, bloß mit höchſter Ungeduld bis zum Aufſpringen — (wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0224"n="216"/>
Jungfrau dies: „es iſt nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber<lb/>
Schafe. Mad. Beer iſt in Mlle. Sontag, und etwas in mich<lb/>
verliebt; und nimmt mich mit. — Von unſerm Williſen hatte<lb/>
ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig<lb/>
und ſeine ſchöne Frau viel ſah: ſie fuhren mit ihm und dem<lb/>
Grafen Yorck ſpaziren, loben den ſehr, und auch Williſens<lb/>
Munterkeit und mittheilungsvolles Weſen. Der Menſch muß<lb/>
reiſen; „da wird es ihm angeſtrichen,“ſagen ſie bei uns;<lb/>
heißt: nichts nachgegeben! „Der Menſch“ hat aber doch Recht;<lb/>
nur in der Fremde iſt er <hirendition="#g">er</hi>; zu Hauſe muß er ſeine Ver-<lb/>
gangenheit repräſentiren: und die wird in der Gegenwart eine<lb/>
Maske; ſchwer zu tragen und das Geſicht verdeckend. — Be-<lb/>ſchämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen<lb/>
Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geiſtreich.<lb/>
Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu ſein; und Klär-<lb/>
chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue<lb/>
Anhänglichkeit beweiſen zu dürfen: dann muß ich <hirendition="#g">Ihnen</hi><lb/>
danken. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Ludwig Robert, in Paris.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 19. September 1825.</hi></dateline><lb/><p>Die vorige Woche ſah’ ich, wie alle hieſigen Einwohner,<lb/>
die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün-<lb/>ſtigſten Meinung hin: für Roſſini, für die Mimen, und Sän-<lb/>
ger; ganz unbefangen wenigſtens. Solche reine Langeweile,<lb/>
bloß mit höchſter Ungeduld bis zum Aufſpringen — (wenn<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[216/0224]
Jungfrau dies: „es iſt nicht meine Wahl.“ Ich hütete lieber
Schafe. Mad. Beer iſt in Mlle. Sontag, und etwas in mich
verliebt; und nimmt mich mit. — Von unſerm Williſen hatte
ich in Baden die letzte Spur, wo er meinen Bruder Ludwig
und ſeine ſchöne Frau viel ſah: ſie fuhren mit ihm und dem
Grafen Yorck ſpaziren, loben den ſehr, und auch Williſens
Munterkeit und mittheilungsvolles Weſen. Der Menſch muß
reiſen; „da wird es ihm angeſtrichen,“ ſagen ſie bei uns;
heißt: nichts nachgegeben! „Der Menſch“ hat aber doch Recht;
nur in der Fremde iſt er er; zu Hauſe muß er ſeine Ver-
gangenheit repräſentiren: und die wird in der Gegenwart eine
Maske; ſchwer zu tragen und das Geſicht verdeckend. — Be-
ſchämen Sie mich nicht, werthe Frau von Steffens. Nehmen
Sie mich, wie ich bin; und nennen Sie mich nicht geiſtreich.
Erlauben Sie mir lebendig und beweglich zu ſein; und Klär-
chen und Sie herzlich zu umarmen, und Ihnen meine treue
Anhänglichkeit beweiſen zu dürfen: dann muß ich Ihnen
danken. —
An Ludwig Robert, in Paris.
Berlin, den 19. September 1825.
Die vorige Woche ſah’ ich, wie alle hieſigen Einwohner,
die Italiänerin in Algier; du weißt es, ich ging mit der gün-
ſtigſten Meinung hin: für Roſſini, für die Mimen, und Sän-
ger; ganz unbefangen wenigſtens. Solche reine Langeweile,
bloß mit höchſter Ungeduld bis zum Aufſpringen — (wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/224>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.