Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

kommene Abstraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk-
samkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet ist. --




Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823.
steht von Doktor Börne ein Aufsatz: "Altes Wissen, neues
Leben
." Jean-Paul'scher Anfang; ohne Nachahmung, sehr
schön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil
er viel getroffener ist, von den wirklichen Vorfällen; berührter,
von den herrschenden Einrichtungen; und schwingt er sich ab
von diesem Zustand zur Natur, so weiß er, daß die allein
nicht aushilft, verliert sich nicht an ihrer Größe; nicht in ih-
ren Einzelheiten; bald ist sie schlagender Stahl bei ihm; bald
der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen,
hervorleuchten müssen; die Fälle miteingerechnet, wo sie der
Gesang wird, der die wehmüthigsten Töne aus den Saiten des
Busens reißt; nicht so, als ob dann noch der Geist witzige
Manieren hinein akkompagnirte; sondern die Wendung selbst,
sich dann an Natur zu verlieren, ist da witzig.

Dieser Aufsatz ist voller Gedanken, und Gedankenanlässe.
Mit ungestörtem Blick sieht er nach Jetzt, und Sonst. Mie
zwanzig ihm zuströmenden Vergleichen und Witzworten schil-
dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zustand der
Alten, giebt Definitionen, die allein schon einen Band zum
Buche machen könnten. "Um einer Wahrheit Dasein wird
selten gestritten, auch nicht zwischen den feindlichsten Gesin-
nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr-
heit." Abschluß der meisten Verwirrung: Bezeichnung fast

kommene Abſtraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk-
ſamkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet iſt. —




Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823.
ſteht von Doktor Börne ein Aufſatz: „Altes Wiſſen, neues
Leben
.“ Jean-Paul’ſcher Anfang; ohne Nachahmung, ſehr
ſchön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil
er viel getroffener iſt, von den wirklichen Vorfällen; berührter,
von den herrſchenden Einrichtungen; und ſchwingt er ſich ab
von dieſem Zuſtand zur Natur, ſo weiß er, daß die allein
nicht aushilft, verliert ſich nicht an ihrer Größe; nicht in ih-
ren Einzelheiten; bald iſt ſie ſchlagender Stahl bei ihm; bald
der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen,
hervorleuchten müſſen; die Fälle miteingerechnet, wo ſie der
Geſang wird, der die wehmüthigſten Töne aus den Saiten des
Buſens reißt; nicht ſo, als ob dann noch der Geiſt witzige
Manieren hinein akkompagnirte; ſondern die Wendung ſelbſt,
ſich dann an Natur zu verlieren, iſt da witzig.

Dieſer Aufſatz iſt voller Gedanken, und Gedankenanläſſe.
Mit ungeſtörtem Blick ſieht er nach Jetzt, und Sonſt. Mie
zwanzig ihm zuſtrömenden Vergleichen und Witzworten ſchil-
dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zuſtand der
Alten, giebt Definitionen, die allein ſchon einen Band zum
Buche machen könnten. „Um einer Wahrheit Daſein wird
ſelten geſtritten, auch nicht zwiſchen den feindlichſten Geſin-
nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr-
heit.“ Abſchluß der meiſten Verwirrung: Bezeichnung faſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0159" n="151"/>
kommene Ab&#x017F;traktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet i&#x017F;t. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag, den 18. April 1824.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823.<lb/>
&#x017F;teht von Doktor Börne ein Auf&#x017F;atz: &#x201E;<hi rendition="#g">Altes Wi&#x017F;&#x017F;en, neues<lb/>
Leben</hi>.&#x201C; Jean-Paul&#x2019;&#x017F;cher Anfang; ohne Nachahmung, &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil<lb/>
er viel getroffener i&#x017F;t, von den wirklichen Vorfällen; berührter,<lb/>
von den herr&#x017F;chenden Einrichtungen; und &#x017F;chwingt er &#x017F;ich ab<lb/>
von die&#x017F;em Zu&#x017F;tand zur Natur, &#x017F;o weiß er, daß die allein<lb/>
nicht aushilft, verliert &#x017F;ich nicht an ihrer Größe; nicht in ih-<lb/>
ren Einzelheiten; bald i&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;chlagender Stahl bei ihm; bald<lb/>
der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen,<lb/>
hervorleuchten mü&#x017F;&#x017F;en; die Fälle miteingerechnet, wo &#x017F;ie der<lb/>
Ge&#x017F;ang wird, der die wehmüthig&#x017F;ten Töne aus den Saiten des<lb/>
Bu&#x017F;ens reißt; nicht &#x017F;o, als ob dann noch der Gei&#x017F;t witzige<lb/>
Manieren hinein akkompagnirte; &#x017F;ondern die Wendung &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ich dann an Natur zu verlieren, i&#x017F;t da witzig.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Auf&#x017F;atz i&#x017F;t voller Gedanken, und Gedankenanlä&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Mit unge&#x017F;törtem Blick &#x017F;ieht er nach Jetzt, und Son&#x017F;t. Mie<lb/>
zwanzig ihm zu&#x017F;trömenden Vergleichen und Witzworten &#x017F;chil-<lb/>
dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zu&#x017F;tand der<lb/>
Alten, giebt Definitionen, die allein &#x017F;chon einen Band zum<lb/>
Buche machen könnten. &#x201E;Um einer Wahrheit <hi rendition="#g">Da&#x017F;ein</hi> wird<lb/>
&#x017F;elten ge&#x017F;tritten, auch nicht zwi&#x017F;chen den feindlich&#x017F;ten Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr-<lb/>
heit.&#x201C; Ab&#x017F;chluß der mei&#x017F;ten Verwirrung: Bezeichnung fa&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0159] kommene Abſtraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk- ſamkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet iſt. — Sonntag, den 18. April 1824. Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823. ſteht von Doktor Börne ein Aufſatz: „Altes Wiſſen, neues Leben.“ Jean-Paul’ſcher Anfang; ohne Nachahmung, ſehr ſchön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil er viel getroffener iſt, von den wirklichen Vorfällen; berührter, von den herrſchenden Einrichtungen; und ſchwingt er ſich ab von dieſem Zuſtand zur Natur, ſo weiß er, daß die allein nicht aushilft, verliert ſich nicht an ihrer Größe; nicht in ih- ren Einzelheiten; bald iſt ſie ſchlagender Stahl bei ihm; bald der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen, hervorleuchten müſſen; die Fälle miteingerechnet, wo ſie der Geſang wird, der die wehmüthigſten Töne aus den Saiten des Buſens reißt; nicht ſo, als ob dann noch der Geiſt witzige Manieren hinein akkompagnirte; ſondern die Wendung ſelbſt, ſich dann an Natur zu verlieren, iſt da witzig. Dieſer Aufſatz iſt voller Gedanken, und Gedankenanläſſe. Mit ungeſtörtem Blick ſieht er nach Jetzt, und Sonſt. Mie zwanzig ihm zuſtrömenden Vergleichen und Witzworten ſchil- dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zuſtand der Alten, giebt Definitionen, die allein ſchon einen Band zum Buche machen könnten. „Um einer Wahrheit Daſein wird ſelten geſtritten, auch nicht zwiſchen den feindlichſten Geſin- nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr- heit.“ Abſchluß der meiſten Verwirrung: Bezeichnung faſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/159
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/159>, abgerufen am 20.11.2024.