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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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als Sie! Wer kann Gott nachrechnen! Menschen, und ihr
Glück sind Bestandtheile des großen Alls, warum sollten sie
zu einem glücklich-Organischen nach der größten Zerrüttung
und Trennung sich nicht auch wieder zusammen finden; zu
neuen weitern Beziehungen? Wie viel aber hier untergeht,
zeigen die Begebenheiten aller Zeiten: jedes Menschen!
Gewiß sein, daß ein vielfältigerer höherer Geist aus heilbrin-
genden guten Gründen Recht dazu hat, ist meine einzige Re-
ligion. Es ist mir auferlegt; muß ich denken; ist es doch
viel, daß ich so viel weiß; und Klarheit und Verständniß in
einem höheren Wesen zu hoffen vermag. Anfang der Gnade!
Vergeht uns oft dieser Strahl, so verzweiflen wir; aber ganz
können wir nicht verzweiflen, so wenig, als durch unsere ei-
gene Gedanken aufhören zu sein. Müssen wir doch unser
ganzes Dasein als ein Wunder annehmen; ergeben wir uns
ohne Richten über den Lauf desselben; und richten wir immer
von neuem uns selbst; unser Bestimmen. Aber alle Buße
sei Reinigung, Stärkung, Feinerung, Besserung; Reue vor
der That; und fleißige Unschuld nach jeder. Gräuelthaten
begehen nur kranke Tolle, arme unglückliche, bedaurungs-
würdige Menschen. Mich beugt übrigens der Krieg sehr.
Hab' ich innen alle Zerstörung erleben müssen, und hat mir
mein Herr die Einsicht in allen Jammer, und auch die Kin-
derfähigkeit für alles Liebliche, Freudige und Lebenswerthe ge-
lassen; so hatte ich nur noch äußere Zerstörung zu befürchten:
ich erlebe sie; und fühle es herb, ganz herb: nicht aber was
mich persönlich betrifft, beugt mich ganz; aber der Beweis,
daß wir noch inmitten des Rohesten leben, daß verwundender

Krieg,

als Sie! Wer kann Gott nachrechnen! Menſchen, und ihr
Glück ſind Beſtandtheile des großen Alls, warum ſollten ſie
zu einem glücklich-Organiſchen nach der größten Zerrüttung
und Trennung ſich nicht auch wieder zuſammen finden; zu
neuen weitern Beziehungen? Wie viel aber hier untergeht,
zeigen die Begebenheiten aller Zeiten: jedes Menſchen!
Gewiß ſein, daß ein vielfältigerer höherer Geiſt aus heilbrin-
genden guten Gründen Recht dazu hat, iſt meine einzige Re-
ligion. Es iſt mir auferlegt; muß ich denken; iſt es doch
viel, daß ich ſo viel weiß; und Klarheit und Verſtändniß in
einem höheren Weſen zu hoffen vermag. Anfang der Gnade!
Vergeht uns oft dieſer Strahl, ſo verzweiflen wir; aber ganz
können wir nicht verzweiflen, ſo wenig, als durch unſere ei-
gene Gedanken aufhören zu ſein. Müſſen wir doch unſer
ganzes Daſein als ein Wunder annehmen; ergeben wir uns
ohne Richten über den Lauf deſſelben; und richten wir immer
von neuem uns ſelbſt; unſer Beſtimmen. Aber alle Buße
ſei Reinigung, Stärkung, Feinerung, Beſſerung; Reue vor
der That; und fleißige Unſchuld nach jeder. Gräuelthaten
begehen nur kranke Tolle, arme unglückliche, bedaurungs-
würdige Menſchen. Mich beugt übrigens der Krieg ſehr.
Hab’ ich innen alle Zerſtörung erleben müſſen, und hat mir
mein Herr die Einſicht in allen Jammer, und auch die Kin-
derfähigkeit für alles Liebliche, Freudige und Lebenswerthe ge-
laſſen; ſo hatte ich nur noch äußere Zerſtörung zu befürchten:
ich erlebe ſie; und fühle es herb, ganz herb: nicht aber was
mich perſönlich betrifft, beugt mich ganz; aber der Beweis,
daß wir noch inmitten des Roheſten leben, daß verwundender

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[80/0088] als Sie! Wer kann Gott nachrechnen! Menſchen, und ihr Glück ſind Beſtandtheile des großen Alls, warum ſollten ſie zu einem glücklich-Organiſchen nach der größten Zerrüttung und Trennung ſich nicht auch wieder zuſammen finden; zu neuen weitern Beziehungen? Wie viel aber hier untergeht, zeigen die Begebenheiten aller Zeiten: jedes Menſchen! Gewiß ſein, daß ein vielfältigerer höherer Geiſt aus heilbrin- genden guten Gründen Recht dazu hat, iſt meine einzige Re- ligion. Es iſt mir auferlegt; muß ich denken; iſt es doch viel, daß ich ſo viel weiß; und Klarheit und Verſtändniß in einem höheren Weſen zu hoffen vermag. Anfang der Gnade! Vergeht uns oft dieſer Strahl, ſo verzweiflen wir; aber ganz können wir nicht verzweiflen, ſo wenig, als durch unſere ei- gene Gedanken aufhören zu ſein. Müſſen wir doch unſer ganzes Daſein als ein Wunder annehmen; ergeben wir uns ohne Richten über den Lauf deſſelben; und richten wir immer von neuem uns ſelbſt; unſer Beſtimmen. Aber alle Buße ſei Reinigung, Stärkung, Feinerung, Beſſerung; Reue vor der That; und fleißige Unſchuld nach jeder. Gräuelthaten begehen nur kranke Tolle, arme unglückliche, bedaurungs- würdige Menſchen. Mich beugt übrigens der Krieg ſehr. Hab’ ich innen alle Zerſtörung erleben müſſen, und hat mir mein Herr die Einſicht in allen Jammer, und auch die Kin- derfähigkeit für alles Liebliche, Freudige und Lebenswerthe ge- laſſen; ſo hatte ich nur noch äußere Zerſtörung zu befürchten: ich erlebe ſie; und fühle es herb, ganz herb: nicht aber was mich perſönlich betrifft, beugt mich ganz; aber der Beweis, daß wir noch inmitten des Roheſten leben, daß verwundender Krieg,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/88>, abgerufen am 27.04.2024.