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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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sich ein jeder bei einem andern Nichtwissen beruhigt; entweder
aus einem solchen seine Deduktion anfängt, oder sie dahin-
führt, oder, weniger streng, es mit drunter laufen läßt. Spi-
noza gefällt mir sehr; er denkt sehr ehrlich, und kommt bis
zum tiefsten Absolutesten und drückt es aus; und hat den
schönen Karakter des Denkers; unpersönlich, mild, still; in der
Tiefe beschäftigt, und davon geschickt. "Von den Gemüths-
bewegungen" ennuyirt mich; weil das Wichtige im "vom
Geiste" schon vorkommt, und wie sich's weiter fortbewegt mir
und uns Allen genug bekannt ist; den abstrakten, einsamen
Mann aber unterhielt, wie es scheint. So viel ich von Spi-
noza! Ich lieb' ihn aber sehr, den Mann. Wissen Sie, was
Faust Gretchen antwortet, als sie ihn frägt: "Glaubst du an
Gott?" Das schönste Gebet! Welch schöne Gebete strömten
schon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der
Geist schon Gedanken empor! -- Über -- ch haben Sie Recht.
Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beschrieben; wie
unschuldig, wie ehrlich, und wie wirklich gesehen: das erfindet
man noch schwerer, als man's sieht. Das Abspeisen, neumo-
discher Art, mit dem Glaubenswesen, ist meiner tiefsten Seele
zuwider. Einzeln steht dieser Behelf: auf keinem Grund
und Boden erwachsen; nicht auf Güte, nicht auf keuschem
Auffassen der Geschichte, nicht auf Enthusiasmus des göttlich-
sten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was
Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf schlechte Weise,
wie Theater und Galerien besucht werden, hausen sie und dis-
putiren, und verschanzen sie sich gegen les ennuis (den "gro-
ßen Verdruß") in's neuerfundene Glaubenswesen hinein und

ſich ein jeder bei einem andern Nichtwiſſen beruhigt; entweder
aus einem ſolchen ſeine Deduktion anfängt, oder ſie dahin-
führt, oder, weniger ſtreng, es mit drunter laufen läßt. Spi-
noza gefällt mir ſehr; er denkt ſehr ehrlich, und kommt bis
zum tiefſten Abſoluteſten und drückt es aus; und hat den
ſchönen Karakter des Denkers; unperſönlich, mild, ſtill; in der
Tiefe beſchäftigt, und davon geſchickt. „Von den Gemüths-
bewegungen“ ennuyirt mich; weil das Wichtige im „vom
Geiſte“ ſchon vorkommt, und wie ſich’s weiter fortbewegt mir
und uns Allen genug bekannt iſt; den abſtrakten, einſamen
Mann aber unterhielt, wie es ſcheint. So viel ich von Spi-
noza! Ich lieb’ ihn aber ſehr, den Mann. Wiſſen Sie, was
Fauſt Gretchen antwortet, als ſie ihn frägt: „Glaubſt du an
Gott?“ Das ſchönſte Gebet! Welch ſchöne Gebete ſtrömten
ſchon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der
Geiſt ſchon Gedanken empor! — Über — ch haben Sie Recht.
Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beſchrieben; wie
unſchuldig, wie ehrlich, und wie wirklich geſehen: das erfindet
man noch ſchwerer, als man’s ſieht. Das Abſpeiſen, neumo-
diſcher Art, mit dem Glaubensweſen, iſt meiner tiefſten Seele
zuwider. Einzeln ſteht dieſer Behelf: auf keinem Grund
und Boden erwachſen; nicht auf Güte, nicht auf keuſchem
Auffaſſen der Geſchichte, nicht auf Enthuſiasmus des göttlich-
ſten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was
Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf ſchlechte Weiſe,
wie Theater und Galerien beſucht werden, hauſen ſie und dis-
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ßen Verdruß“) in’s neuerfundene Glaubensweſen hinein und

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[39/0047] ſich ein jeder bei einem andern Nichtwiſſen beruhigt; entweder aus einem ſolchen ſeine Deduktion anfängt, oder ſie dahin- führt, oder, weniger ſtreng, es mit drunter laufen läßt. Spi- noza gefällt mir ſehr; er denkt ſehr ehrlich, und kommt bis zum tiefſten Abſoluteſten und drückt es aus; und hat den ſchönen Karakter des Denkers; unperſönlich, mild, ſtill; in der Tiefe beſchäftigt, und davon geſchickt. „Von den Gemüths- bewegungen“ ennuyirt mich; weil das Wichtige im „vom Geiſte“ ſchon vorkommt, und wie ſich’s weiter fortbewegt mir und uns Allen genug bekannt iſt; den abſtrakten, einſamen Mann aber unterhielt, wie es ſcheint. So viel ich von Spi- noza! Ich lieb’ ihn aber ſehr, den Mann. Wiſſen Sie, was Fauſt Gretchen antwortet, als ſie ihn frägt: „Glaubſt du an Gott?“ Das ſchönſte Gebet! Welch ſchöne Gebete ſtrömten ſchon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der Geiſt ſchon Gedanken empor! — Über — ch haben Sie Recht. Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beſchrieben; wie unſchuldig, wie ehrlich, und wie wirklich geſehen: das erfindet man noch ſchwerer, als man’s ſieht. Das Abſpeiſen, neumo- diſcher Art, mit dem Glaubensweſen, iſt meiner tiefſten Seele zuwider. Einzeln ſteht dieſer Behelf: auf keinem Grund und Boden erwachſen; nicht auf Güte, nicht auf keuſchem Auffaſſen der Geſchichte, nicht auf Enthuſiasmus des göttlich- ſten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf ſchlechte Weiſe, wie Theater und Galerien beſucht werden, hauſen ſie und dis- putiren, und verſchanzen ſie ſich gegen les ennuis (den „gro- ßen Verdruß“) in’s neuerfundene Glaubensweſen hinein und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/47>, abgerufen am 26.04.2024.