Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

dern Frauen behandeln; Neigung scheint ihn zu mir zu füh-
ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge-
wachsen. Ich stehe auch als Freund hoch über allen bei dir. --

-- So irrst du auch, mein lieber Freund, und sagst dir
durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorsagst:
"Man lebt unwachsam in die Jugendjahre hinein, und sieht
sich unerwartet zum Bösewicht geworden aus einem guten
Kinde." Ein Kind ist ein unentwickelt unberührtes Ding, und
immer gut, weil sein Toben gegen Tische, Stühle und Spiel-
zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerstörung
man ihm nicht anrechnet; so ist's nicht schlecht, im Mangel
der Begriffe höchstens! Aber die Jugendjahre sind die tugend-
samsten, schönsten, aufflammendsten; ich verzeihe grade der
Jugend nichts Schlechtes. Das ist gewiß ein faules Pro-
dukt: wo die höchste Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht-
sinnig kann tobende Jugend wohl sein, aber nur gegen sich
selbst. Ja, eine edle glaubt gar nicht, daß man Andere
beeinträchtigen, verletzen kann. Erst spät, wenn man selbst
dahin ist; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum
finden kann, noch Stelle zum Bleiben, ist es möglich, daß
man endlich sich entschließt, sich Platz zu machen, und sollten
auch Andere -- doch Verwundete und Verwunder -- eine
Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er
selbst die wahre Jugend durch solche Handlung von sich ab-
streift. Wenn ich Staatsgesetze zu geben hätte: so schützte
Tollheit keinen Verbrecher vor Todesstrafe, wenn sich seine
Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene steht, anhöbe; wenn
er sich selbst verletzt, kann er nach dem Tollhause.


dern Frauen behandeln; Neigung ſcheint ihn zu mir zu füh-
ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge-
wachſen. Ich ſtehe auch als Freund hoch über allen bei dir. —

— So irrſt du auch, mein lieber Freund, und ſagſt dir
durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorſagſt:
„Man lebt unwachſam in die Jugendjahre hinein, und ſieht
ſich unerwartet zum Böſewicht geworden aus einem guten
Kinde.“ Ein Kind iſt ein unentwickelt unberührtes Ding, und
immer gut, weil ſein Toben gegen Tiſche, Stühle und Spiel-
zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerſtörung
man ihm nicht anrechnet; ſo iſt’s nicht ſchlecht, im Mangel
der Begriffe höchſtens! Aber die Jugendjahre ſind die tugend-
ſamſten, ſchönſten, aufflammendſten; ich verzeihe grade der
Jugend nichts Schlechtes. Das iſt gewiß ein faules Pro-
dukt: wo die höchſte Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht-
ſinnig kann tobende Jugend wohl ſein, aber nur gegen ſich
ſelbſt. Ja, eine edle glaubt gar nicht, daß man Andere
beeinträchtigen, verletzen kann. Erſt ſpät, wenn man ſelbſt
dahin iſt; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum
finden kann, noch Stelle zum Bleiben, iſt es möglich, daß
man endlich ſich entſchließt, ſich Platz zu machen, und ſollten
auch Andere — doch Verwundete und Verwunder — eine
Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er
ſelbſt die wahre Jugend durch ſolche Handlung von ſich ab-
ſtreift. Wenn ich Staatsgeſetze zu geben hätte: ſo ſchützte
Tollheit keinen Verbrecher vor Todesſtrafe, wenn ſich ſeine
Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene ſteht, anhöbe; wenn
er ſich ſelbſt verletzt, kann er nach dem Tollhauſe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="18"/>
dern Frauen behandeln; Neigung &#x017F;cheint ihn zu mir zu füh-<lb/>
ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge-<lb/>
wach&#x017F;en. Ich &#x017F;tehe auch als Freund hoch über allen bei dir. &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x2014; So irr&#x017F;t du auch, mein lieber Freund, und &#x017F;ag&#x017F;t dir<lb/>
durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vor&#x017F;ag&#x017F;t:<lb/>
&#x201E;Man lebt unwach&#x017F;am in die Jugendjahre hinein, und &#x017F;ieht<lb/>
&#x017F;ich unerwartet zum Bö&#x017F;ewicht geworden aus einem guten<lb/>
Kinde.&#x201C; Ein Kind i&#x017F;t ein unentwickelt unberührtes Ding, und<lb/>
immer gut, weil &#x017F;ein Toben gegen Ti&#x017F;che, Stühle und Spiel-<lb/>
zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zer&#x017F;törung<lb/>
man ihm nicht anrechnet; &#x017F;o i&#x017F;t&#x2019;s nicht <hi rendition="#g">&#x017F;chlecht</hi>, im Mangel<lb/>
der Begriffe höch&#x017F;tens! Aber die Jugendjahre &#x017F;ind die tugend-<lb/>
&#x017F;am&#x017F;ten, &#x017F;chön&#x017F;ten, aufflammend&#x017F;ten; <hi rendition="#g">ich</hi> verzeihe grade der<lb/><hi rendition="#g">Jugend</hi> nichts Schlechtes. Das i&#x017F;t gewiß ein faules Pro-<lb/>
dukt: wo die höch&#x017F;te Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht-<lb/>
&#x017F;innig kann tobende Jugend wohl &#x017F;ein, aber nur gegen &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Ja, eine edle glaubt <hi rendition="#g">gar nicht</hi>, daß man Andere<lb/>
beeinträchtigen, verletzen kann. Er&#x017F;t &#x017F;pät, wenn man &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dahin i&#x017F;t; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum<lb/>
finden kann, noch Stelle zum Bleiben, i&#x017F;t es möglich, daß<lb/>
man endlich &#x017F;ich ent&#x017F;chließt, &#x017F;ich Platz zu machen, und &#x017F;ollten<lb/>
auch Andere &#x2014; <hi rendition="#g">doch</hi> Verwundete und Verwunder &#x2014; eine<lb/>
Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die wahre Jugend durch &#x017F;olche Handlung von &#x017F;ich ab-<lb/>
&#x017F;treift. Wenn ich Staatsge&#x017F;etze zu geben hätte: &#x017F;o &#x017F;chützte<lb/>
Tollheit keinen Verbrecher vor Todes&#x017F;trafe, wenn &#x017F;ich &#x017F;eine<lb/>
Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene &#x017F;teht, anhöbe; wenn<lb/>
er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verletzt, kann er nach dem Tollhau&#x017F;e.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0026] dern Frauen behandeln; Neigung ſcheint ihn zu mir zu füh- ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge- wachſen. Ich ſtehe auch als Freund hoch über allen bei dir. — — So irrſt du auch, mein lieber Freund, und ſagſt dir durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorſagſt: „Man lebt unwachſam in die Jugendjahre hinein, und ſieht ſich unerwartet zum Böſewicht geworden aus einem guten Kinde.“ Ein Kind iſt ein unentwickelt unberührtes Ding, und immer gut, weil ſein Toben gegen Tiſche, Stühle und Spiel- zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerſtörung man ihm nicht anrechnet; ſo iſt’s nicht ſchlecht, im Mangel der Begriffe höchſtens! Aber die Jugendjahre ſind die tugend- ſamſten, ſchönſten, aufflammendſten; ich verzeihe grade der Jugend nichts Schlechtes. Das iſt gewiß ein faules Pro- dukt: wo die höchſte Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht- ſinnig kann tobende Jugend wohl ſein, aber nur gegen ſich ſelbſt. Ja, eine edle glaubt gar nicht, daß man Andere beeinträchtigen, verletzen kann. Erſt ſpät, wenn man ſelbſt dahin iſt; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum finden kann, noch Stelle zum Bleiben, iſt es möglich, daß man endlich ſich entſchließt, ſich Platz zu machen, und ſollten auch Andere — doch Verwundete und Verwunder — eine Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er ſelbſt die wahre Jugend durch ſolche Handlung von ſich ab- ſtreift. Wenn ich Staatsgeſetze zu geben hätte: ſo ſchützte Tollheit keinen Verbrecher vor Todesſtrafe, wenn ſich ſeine Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene ſteht, anhöbe; wenn er ſich ſelbſt verletzt, kann er nach dem Tollhauſe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/26
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/26>, abgerufen am 26.04.2024.