Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

weinte nur: da störte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie-
hen brachte -- man gab -- denn das geht seinen Gang --
die Vestalin. Mir waren sie ganz egal, ich hatte nun meinen
Brief. Etwas Trost hatte ich schon vorher: denn vorgestern
erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem
sie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho-
henzollern (gebornen Kurland) geschrieben, du lebest. Das
war wohl Trost, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere sei-
nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der
Freundin machten mir neue Besorgniß: da Wallmoden nur
geschrieben hatte, du lebest, und weiter nichts: und daß er
grade von dir und nur dies geschrieben hatte, ließ mich auch
auf schwere Verwundung denken. Nun ist dein Brief wieder
über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken.
Aber sei nur ruhig: ich ängstige mich über Feld, wie du weißt,
nicht besonders, sondern momentweise nur sehr selten: ich kann
meine Besorgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin-
dert mich beinah ganz an der Angst. So habe ich mich auch
nicht für Marwitz ängstigen können, bevor er ankam. Ich
habe dir schon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge-
schrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt,
als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck
gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden:
sein Pferd fiel todt auf ihn, und so hieben ihn polnische In-
fanteristen, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen
Lanzenstich; kurz acht Wunden: sie sind bereits alle heil, er
ganz gesund, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird
nur mit der Zeit mit ihr schreiben können, wie der Arzt

weinte nur: da ſtörte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie-
hen brachte — man gab — denn das geht ſeinen Gang —
die Veſtalin. Mir waren ſie ganz egal, ich hatte nun meinen
Brief. Etwas Troſt hatte ich ſchon vorher: denn vorgeſtern
erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem
ſie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho-
henzollern (gebornen Kurland) geſchrieben, du lebeſt. Das
war wohl Troſt, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere ſei-
nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der
Freundin machten mir neue Beſorgniß: da Wallmoden nur
geſchrieben hatte, du lebeſt, und weiter nichts: und daß er
grade von dir und nur dies geſchrieben hatte, ließ mich auch
auf ſchwere Verwundung denken. Nun iſt dein Brief wieder
über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken.
Aber ſei nur ruhig: ich ängſtige mich über Feld, wie du weißt,
nicht beſonders, ſondern momentweiſe nur ſehr ſelten: ich kann
meine Beſorgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin-
dert mich beinah ganz an der Angſt. So habe ich mich auch
nicht für Marwitz ängſtigen können, bevor er ankam. Ich
habe dir ſchon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge-
ſchrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt,
als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck
gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden:
ſein Pferd fiel todt auf ihn, und ſo hieben ihn polniſche In-
fanteriſten, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen
Lanzenſtich; kurz acht Wunden: ſie ſind bereits alle heil, er
ganz geſund, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird
nur mit der Zeit mit ihr ſchreiben können, wie der Arzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0131" n="123"/>
weinte nur: da &#x017F;törte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie-<lb/>
hen brachte &#x2014; man gab &#x2014; denn das geht &#x017F;einen Gang &#x2014;<lb/>
die Ve&#x017F;talin. Mir waren &#x017F;ie ganz egal, ich hatte nun meinen<lb/>
Brief. Etwas Tro&#x017F;t hatte ich &#x017F;chon vorher: denn vorge&#x017F;tern<lb/>
erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem<lb/>
&#x017F;ie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho-<lb/>
henzollern (gebornen Kurland) ge&#x017F;chrieben, du lebe&#x017F;t. Das<lb/>
war wohl Tro&#x017F;t, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere &#x017F;ei-<lb/>
nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der<lb/>
Freundin machten mir neue Be&#x017F;orgniß: da Wallmoden nur<lb/>
ge&#x017F;chrieben hatte, du lebe&#x017F;t, und weiter nichts: und <hi rendition="#g">daß</hi> er<lb/>
grade von dir und nur dies ge&#x017F;chrieben hatte, ließ mich auch<lb/>
auf &#x017F;chwere Verwundung denken. Nun i&#x017F;t dein Brief wieder<lb/>
über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken.<lb/>
Aber &#x017F;ei nur ruhig: ich äng&#x017F;tige mich über Feld, wie du weißt,<lb/>
nicht be&#x017F;onders, &#x017F;ondern momentwei&#x017F;e nur &#x017F;ehr &#x017F;elten: ich kann<lb/>
meine Be&#x017F;orgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin-<lb/>
dert mich beinah ganz an der Ang&#x017F;t. So habe ich mich auch<lb/>
nicht für Marwitz äng&#x017F;tigen können, bevor er ankam. Ich<lb/>
habe dir &#x017F;chon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt,<lb/>
als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck<lb/>
gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden:<lb/>
&#x017F;ein Pferd fiel todt <hi rendition="#g">auf</hi> ihn, und &#x017F;o hieben ihn polni&#x017F;che In-<lb/>
fanteri&#x017F;ten, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen<lb/>
Lanzen&#x017F;tich; kurz acht Wunden: &#x017F;ie &#x017F;ind bereits <hi rendition="#g">alle</hi> heil, er<lb/><hi rendition="#g">ganz</hi> ge&#x017F;und, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird<lb/>
nur <hi rendition="#g">mit der Zeit</hi> mit ihr <hi rendition="#g">&#x017F;chreiben</hi> können, wie der Arzt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0131] weinte nur: da ſtörte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie- hen brachte — man gab — denn das geht ſeinen Gang — die Veſtalin. Mir waren ſie ganz egal, ich hatte nun meinen Brief. Etwas Troſt hatte ich ſchon vorher: denn vorgeſtern erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem ſie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho- henzollern (gebornen Kurland) geſchrieben, du lebeſt. Das war wohl Troſt, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere ſei- nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der Freundin machten mir neue Beſorgniß: da Wallmoden nur geſchrieben hatte, du lebeſt, und weiter nichts: und daß er grade von dir und nur dies geſchrieben hatte, ließ mich auch auf ſchwere Verwundung denken. Nun iſt dein Brief wieder über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken. Aber ſei nur ruhig: ich ängſtige mich über Feld, wie du weißt, nicht beſonders, ſondern momentweiſe nur ſehr ſelten: ich kann meine Beſorgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin- dert mich beinah ganz an der Angſt. So habe ich mich auch nicht für Marwitz ängſtigen können, bevor er ankam. Ich habe dir ſchon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge- ſchrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt, als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden: ſein Pferd fiel todt auf ihn, und ſo hieben ihn polniſche In- fanteriſten, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen Lanzenſtich; kurz acht Wunden: ſie ſind bereits alle heil, er ganz geſund, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird nur mit der Zeit mit ihr ſchreiben können, wie der Arzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/131
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/131>, abgerufen am 26.04.2024.