hatte ihm ein paar Zeilen, mich kennen zu lernen, mitgegeben. Ich glaub' es ist ein braver, wahrhafter Mensch. Etwas rustre: du weißt, ich liebe das nicht: mit ihm aber bin ich doch zufrieden. Noch dazu, ich wußte, er ist ein neumodisch Deutscher: seine Gesinnung scheint mir aber sehr redlich, und naiv.
Ich habe gräßlichen Büchermangel: gar kein Buch: da nahm ich gestern spät die Bibel. Herr Jesus Verrath und Tod las ich; und weinte sehr. Ich kann es mir so lebhaft denken; und wie er wußte, daß ihn Petrus verrathen mußte; so natürlich: gewiß wahr! und wie Petrus selbst weinte, als der Hahn zum zweitenmal krähte. Es gefiel mir sehr! -- Das Evangelium Johannis las ich heute etwas: das find' ich wieder schön. Mir gefallen nur jetzt ganz großartige, groß- gezeichnete biblische Karaktere; alles wird mir zu klein. Nur Eingebungen, Patriarchen, wie sie Goethe uns auffrischt, und deren einfach großes Zusammensein mit den Gegenständen der Natur, und nicht dem frikassirt Römischen, Römischmodernen, gefällt mir noch einigermaßen. Neulich konnt' ich dies Mar- witz sehr gut und kurz sagen. --
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, den 5. April 1813.
12 Uhr Mittags, bei schönstem, hellsten Sonnen- schein, erquickender Luft.
-- Ich bin in allem deiner Meinung, und auch ganz des Sinnes, das Leben eher zu verlieren, als ein solches
hatte ihm ein paar Zeilen, mich kennen zu lernen, mitgegeben. Ich glaub’ es iſt ein braver, wahrhafter Menſch. Etwas rustre: du weißt, ich liebe das nicht: mit ihm aber bin ich doch zufrieden. Noch dazu, ich wußte, er iſt ein neumodiſch Deutſcher: ſeine Geſinnung ſcheint mir aber ſehr redlich, und naiv.
Ich habe gräßlichen Büchermangel: gar kein Buch: da nahm ich geſtern ſpät die Bibel. Herr Jeſus Verrath und Tod las ich; und weinte ſehr. Ich kann es mir ſo lebhaft denken; und wie er wußte, daß ihn Petrus verrathen mußte; ſo natürlich: gewiß wahr! und wie Petrus ſelbſt weinte, als der Hahn zum zweitenmal krähte. Es gefiel mir ſehr! — Das Evangelium Johannis las ich heute etwas: das find’ ich wieder ſchön. Mir gefallen nur jetzt ganz großartige, groß- gezeichnete bibliſche Karaktere; alles wird mir zu klein. Nur Eingebungen, Patriarchen, wie ſie Goethe uns auffriſcht, und deren einfach großes Zuſammenſein mit den Gegenſtänden der Natur, und nicht dem frikaſſirt Römiſchen, Römiſchmodernen, gefällt mir noch einigermaßen. Neulich konnt’ ich dies Mar- witz ſehr gut und kurz ſagen. —
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, den 5. April 1813.
12 Uhr Mittags, bei ſchönſtem, hellſten Sonnen- ſchein, erquickender Luft.
— Ich bin in allem deiner Meinung, und auch ganz des Sinnes, das Leben eher zu verlieren, als ein ſolches
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hatte ihm ein paar Zeilen, mich kennen zu lernen, mitgegeben.
Ich glaub’ es iſt ein braver, wahrhafter Menſch. Etwas
rustre: du weißt, ich liebe das nicht: mit ihm aber bin ich
doch zufrieden. Noch dazu, ich wußte, er iſt ein neumodiſch
Deutſcher: ſeine Geſinnung ſcheint mir aber ſehr redlich,
und naiv.
Ich habe gräßlichen Büchermangel: gar kein Buch: da
nahm ich geſtern ſpät die Bibel. Herr Jeſus Verrath und
Tod las ich; und weinte ſehr. Ich kann es mir ſo lebhaft
denken; und wie er wußte, daß ihn Petrus verrathen mußte;
ſo natürlich: gewiß wahr! und wie Petrus ſelbſt weinte, als
der Hahn zum zweitenmal krähte. Es gefiel mir ſehr! —
Das Evangelium Johannis las ich heute etwas: das find’ ich
wieder ſchön. Mir gefallen nur jetzt ganz großartige, groß-
gezeichnete bibliſche Karaktere; alles wird mir zu klein. Nur
Eingebungen, Patriarchen, wie ſie Goethe uns auffriſcht, und
deren einfach großes Zuſammenſein mit den Gegenſtänden der
Natur, und nicht dem frikaſſirt Römiſchen, Römiſchmodernen,
gefällt mir noch einigermaßen. Neulich konnt’ ich dies Mar-
witz ſehr gut und kurz ſagen. —
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, den 5. April 1813.
12 Uhr Mittags, bei ſchönſtem, hellſten Sonnen-
ſchein, erquickender Luft.
— Ich bin in allem deiner Meinung, und auch ganz
des Sinnes, das Leben eher zu verlieren, als ein ſolches
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/95>, abgerufen am 21.11.2024.
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