mich Angelika'n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru- der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht gesund!
Ihre treue Friederike Varnhagen.
Berlin, den 26. December 1819.
Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei sie voller tiefer Untersuchungskraft ist, oder vielmehr sie ist überzeugt, ohne den mindesten Zweifel anzuknüpfen, daß die Seelen im Fegfeuer sich reinigen müssen; die Kirche aber und fromme Leute könnten ihnen Gebete nachschicken, die Gott zu ihnen ließe, und welche sie geschwinder aus diesem Feuer er- lösten. Die ganze Sache sieht sie als eine Reinigung an: was kann sie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken, -- wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen Zustand bildeten! -- Könnten nicht die Seelen in diesem Rei- nigungsfeuer erfahren, daß sehr gute, gereinigte, hochstehende Wesen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für sie sor- gen, denken, bitten, und dies sie besser machen, und ihnen Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und sie da- durch besser machen? -- Der einzige mögliche Weg, den ich erfinden kann. --
Madame Guion ist auch überzeugt, daß man Heilige anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältnisse ste- hen kann. Meint sie, in einem Versenken in die tieferen Eigenschaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen wegsallen und weichen müssen, und wir in einen dem Heili-
mich Angelika’n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru- der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht geſund!
Ihre treue Friederike Varnhagen.
Berlin, den 26. December 1819.
Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei ſie voller tiefer Unterſuchungskraft iſt, oder vielmehr ſie iſt überzeugt, ohne den mindeſten Zweifel anzuknüpfen, daß die Seelen im Fegfeuer ſich reinigen müſſen; die Kirche aber und fromme Leute könnten ihnen Gebete nachſchicken, die Gott zu ihnen ließe, und welche ſie geſchwinder aus dieſem Feuer er- löſten. Die ganze Sache ſieht ſie als eine Reinigung an: was kann ſie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken, — wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen Zuſtand bildeten! — Könnten nicht die Seelen in dieſem Rei- nigungsfeuer erfahren, daß ſehr gute, gereinigte, hochſtehende Weſen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für ſie ſor- gen, denken, bitten, und dies ſie beſſer machen, und ihnen Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und ſie da- durch beſſer machen? — Der einzige mögliche Weg, den ich erfinden kann. —
Madame Guion iſt auch überzeugt, daß man Heilige anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältniſſe ſte- hen kann. Meint ſie, in einem Verſenken in die tieferen Eigenſchaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen wegſallen und weichen müſſen, und wir in einen dem Heili-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0627"n="619"/>
mich Angelika’n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru-<lb/>
der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht geſund!</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Ihre treue Friederike Varnhagen.</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 26. December 1819.</hi></dateline><lb/><p>Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei<lb/>ſie voller tiefer Unterſuchungskraft iſt, oder vielmehr ſie iſt<lb/>
überzeugt, ohne den mindeſten Zweifel anzuknüpfen, daß die<lb/>
Seelen im Fegfeuer ſich reinigen müſſen; die Kirche aber und<lb/>
fromme Leute könnten ihnen Gebete nachſchicken, die Gott zu<lb/>
ihnen ließe, und welche ſie geſchwinder aus dieſem Feuer er-<lb/>
löſten. Die ganze Sache ſieht ſie als eine Reinigung an:<lb/>
was kann ſie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken,<lb/>— wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen<lb/>
Zuſtand bildeten! — Könnten nicht die Seelen in dieſem Rei-<lb/>
nigungsfeuer erfahren, daß ſehr gute, gereinigte, hochſtehende<lb/>
Weſen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für ſie ſor-<lb/>
gen, denken, bitten, und dies ſie beſſer machen, und ihnen<lb/>
Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und ſie da-<lb/>
durch beſſer machen? — Der einzige mögliche Weg, den ich<lb/>
erfinden kann. —</p><lb/><p>Madame Guion iſt auch überzeugt, daß man Heilige<lb/>
anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältniſſe ſte-<lb/>
hen kann. Meint ſie, in einem Verſenken in die tieferen<lb/>
Eigenſchaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen<lb/>
wegſallen und weichen müſſen, und wir in einen dem Heili-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[619/0627]
mich Angelika’n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru-
der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht geſund!
Ihre treue Friederike Varnhagen.
Berlin, den 26. December 1819.
Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei
ſie voller tiefer Unterſuchungskraft iſt, oder vielmehr ſie iſt
überzeugt, ohne den mindeſten Zweifel anzuknüpfen, daß die
Seelen im Fegfeuer ſich reinigen müſſen; die Kirche aber und
fromme Leute könnten ihnen Gebete nachſchicken, die Gott zu
ihnen ließe, und welche ſie geſchwinder aus dieſem Feuer er-
löſten. Die ganze Sache ſieht ſie als eine Reinigung an:
was kann ſie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken,
— wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen
Zuſtand bildeten! — Könnten nicht die Seelen in dieſem Rei-
nigungsfeuer erfahren, daß ſehr gute, gereinigte, hochſtehende
Weſen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für ſie ſor-
gen, denken, bitten, und dies ſie beſſer machen, und ihnen
Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und ſie da-
durch beſſer machen? — Der einzige mögliche Weg, den ich
erfinden kann. —
Madame Guion iſt auch überzeugt, daß man Heilige
anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältniſſe ſte-
hen kann. Meint ſie, in einem Verſenken in die tieferen
Eigenſchaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen
wegſallen und weichen müſſen, und wir in einen dem Heili-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/627>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.