Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn er da ist; und muß mir das ersetzen! -- Adieu, Herzens-
tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Besten, beim Alten!

Ihre R.

Ich grüße Lindner! und bin sehr böse über Mad. Huber,
daß sie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den Morgen
in ihrem -- Blatt verdirbt. Was soll das vorstellen? Soll
ich ihr Börne schicken? Adieu!




Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, also
als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all seiner
Bedingungen, ist auch schon wahr, und wie in Samen und
Knospe enthalten da. Und es ist kein Unterschied zwischen
Denken, Produziren des Geistes, oder Wirkungen des Mate-
riellen: wir können den Zusammenhang nur nicht finden, wo-
durch es eines dieser, bestimmt wird. Nach allen Richtungen
hin kann man den suchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das
heißt, an den Gesetzen unsres Denkens entwicklen, oder durch
unser Denken, an Gegenständen der Sinne. Auch diese, so
"kategorisch sie rufen", so einfach ihre Wirkung scheint, sind
unendlich komplizirt, und ein Resultat, ein Zusammenwirken
unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So ist gewiß
ein Fortschreiten! All unsere jetzigen verschiedenen Fertigkeiten
werden eine bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al-
les dies, um uns persönlich zu fühlen. Wir erkennen nichts
Absolutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den-
ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine
haben müssen, so verstehen wir doch auch diesen wieder nicht;

wenn er da iſt; und muß mir das erſetzen! — Adieu, Herzens-
tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Beſten, beim Alten!

Ihre R.

Ich grüße Lindner! und bin ſehr böſe über Mad. Huber,
daß ſie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den Morgen
in ihrem — Blatt verdirbt. Was ſoll das vorſtellen? Soll
ich ihr Börne ſchicken? Adieu!




Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, alſo
als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all ſeiner
Bedingungen, iſt auch ſchon wahr, und wie in Samen und
Knospe enthalten da. Und es iſt kein Unterſchied zwiſchen
Denken, Produziren des Geiſtes, oder Wirkungen des Mate-
riellen: wir können den Zuſammenhang nur nicht finden, wo-
durch es eines dieſer, beſtimmt wird. Nach allen Richtungen
hin kann man den ſuchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das
heißt, an den Geſetzen unſres Denkens entwicklen, oder durch
unſer Denken, an Gegenſtänden der Sinne. Auch dieſe, ſo
„kategoriſch ſie rufen“, ſo einfach ihre Wirkung ſcheint, ſind
unendlich komplizirt, und ein Reſultat, ein Zuſammenwirken
unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So iſt gewiß
ein Fortſchreiten! All unſere jetzigen verſchiedenen Fertigkeiten
werden eine bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al-
les dies, um uns perſönlich zu fühlen. Wir erkennen nichts
Abſolutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den-
ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine
haben müſſen, ſo verſtehen wir doch auch dieſen wieder nicht;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0586" n="578"/>
wenn er da i&#x017F;t; und muß mir das er&#x017F;etzen! &#x2014; Adieu, Herzens-<lb/>
tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Be&#x017F;ten, beim Alten!</p><lb/>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">Ihre R.</hi> </salute>
            </closer><lb/>
            <postscript>
              <p>Ich grüße Lindner! und bin &#x017F;ehr bö&#x017F;e über Mad. Huber,<lb/>
daß &#x017F;ie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den <hi rendition="#g">Morgen</hi><lb/>
in ihrem &#x2014; Blatt verdirbt. Was &#x017F;oll das vor&#x017F;tellen? Soll<lb/>
ich ihr Börne &#x017F;chicken? Adieu!</p>
            </postscript>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Karlsruhe, Dienstag, den 31. Mai 1819.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, al&#x017F;o<lb/>
als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all &#x017F;einer<lb/>
Bedingungen, i&#x017F;t auch &#x017F;chon wahr, und wie in Samen und<lb/>
Knospe enthalten da. Und es i&#x017F;t kein Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen<lb/>
Denken, Produziren des Gei&#x017F;tes, oder Wirkungen des Mate-<lb/>
riellen: wir können den Zu&#x017F;ammenhang nur nicht finden, wo-<lb/>
durch es eines die&#x017F;er, be&#x017F;timmt wird. Nach allen Richtungen<lb/>
hin kann man den &#x017F;uchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das<lb/>
heißt, an den Ge&#x017F;etzen un&#x017F;res Denkens entwicklen, oder durch<lb/>
un&#x017F;er Denken, an Gegen&#x017F;tänden der Sinne. Auch die&#x017F;e, &#x017F;o<lb/>
&#x201E;kategori&#x017F;ch &#x017F;ie rufen&#x201C;, &#x017F;o einfach ihre Wirkung &#x017F;cheint, &#x017F;ind<lb/>
unendlich komplizirt, und ein Re&#x017F;ultat, ein Zu&#x017F;ammenwirken<lb/>
unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So i&#x017F;t gewiß<lb/>
ein Fort&#x017F;chreiten! All un&#x017F;ere jetzigen ver&#x017F;chiedenen Fertigkeiten<lb/>
werden <hi rendition="#g">eine</hi> bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al-<lb/>
les dies, um uns <hi rendition="#g">per&#x017F;önlich</hi> zu fühlen. Wir erkennen nichts<lb/>
Ab&#x017F;olutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den-<lb/>
ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine<lb/>
haben mü&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o ver&#x017F;tehen wir doch auch die&#x017F;en wieder nicht;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[578/0586] wenn er da iſt; und muß mir das erſetzen! — Adieu, Herzens- tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Beſten, beim Alten! Ihre R. Ich grüße Lindner! und bin ſehr böſe über Mad. Huber, daß ſie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den Morgen in ihrem — Blatt verdirbt. Was ſoll das vorſtellen? Soll ich ihr Börne ſchicken? Adieu! Karlsruhe, Dienstag, den 31. Mai 1819. Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, alſo als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all ſeiner Bedingungen, iſt auch ſchon wahr, und wie in Samen und Knospe enthalten da. Und es iſt kein Unterſchied zwiſchen Denken, Produziren des Geiſtes, oder Wirkungen des Mate- riellen: wir können den Zuſammenhang nur nicht finden, wo- durch es eines dieſer, beſtimmt wird. Nach allen Richtungen hin kann man den ſuchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das heißt, an den Geſetzen unſres Denkens entwicklen, oder durch unſer Denken, an Gegenſtänden der Sinne. Auch dieſe, ſo „kategoriſch ſie rufen“, ſo einfach ihre Wirkung ſcheint, ſind unendlich komplizirt, und ein Reſultat, ein Zuſammenwirken unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So iſt gewiß ein Fortſchreiten! All unſere jetzigen verſchiedenen Fertigkeiten werden eine bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al- les dies, um uns perſönlich zu fühlen. Wir erkennen nichts Abſolutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den- ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine haben müſſen, ſo verſtehen wir doch auch dieſen wieder nicht;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/586
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/586>, abgerufen am 03.12.2024.