-- -- Wenn es irgend passen will, und thunlich wird, so komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten -- von Kindheit an -- liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge- dächte ihm dann auch durch die That zu beweisen, durch einen Ball, wie schön, heilsam, erfreuend und ergötzend das Tanzen sei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raison- nement, die er mir erst erstürmen müßte. -- Die schönste Kunst! Die Kunst, wo wir selbst Kunststoff werden, wo wir uns selbst, frei, glücklich, schön, gesund, vollständig vortragen; dies faßt in sich, gewandt, bescheiden, naiv, unschuldig, richtig aus unserer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf, Beschränkung und Schwäche! Dies sollte nicht die schönste Kunst sein? Gewiß, sie, und die andre, welche entstünde, wenn die Sittlichkeit bis zur sichtlichen Darstellung ge- steigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die- sen Namen, weil sie uns selbst idealisch und frei darstellen, alle andern aber nur Ideen und Zustände unserer besten Mo- mente. So denk' ich's mir; so fühlte ich's von Kindheit an; und am reizendsten von allen Künstlererscheinungen schwebte mir die der vollkommensten idealischen Tänzerin vor! Was ist das bischen größere Dauer der andern Musenkünste? Sind sie nicht alle nur ein Auftauchen aus unsrem bedingten Zustande? -- Und ist nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll- ständigkeit der Gestalt dieses Zauberaufschwungs ein besseres Maß des Werthes der Künste, als die, zwar nützliche, Dauer derselben? --
Karlsruhe, den 9. April 1819.
— — Wenn es irgend paſſen will, und thunlich wird, ſo komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten — von Kindheit an — liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge- dächte ihm dann auch durch die That zu beweiſen, durch einen Ball, wie ſchön, heilſam, erfreuend und ergötzend das Tanzen ſei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raiſon- nement, die er mir erſt erſtürmen müßte. — Die ſchönſte Kunſt! Die Kunſt, wo wir ſelbſt Kunſtſtoff werden, wo wir uns ſelbſt, frei, glücklich, ſchön, geſund, vollſtändig vortragen; dies faßt in ſich, gewandt, beſcheiden, naiv, unſchuldig, richtig aus unſerer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf, Beſchränkung und Schwäche! Dies ſollte nicht die ſchönſte Kunſt ſein? Gewiß, ſie, und die andre, welche entſtünde, wenn die Sittlichkeit bis zur ſichtlichen Darſtellung ge- ſteigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die- ſen Namen, weil ſie uns ſelbſt idealiſch und frei darſtellen, alle andern aber nur Ideen und Zuſtände unſerer beſten Mo- mente. So denk’ ich’s mir; ſo fühlte ich’s von Kindheit an; und am reizendſten von allen Künſtlererſcheinungen ſchwebte mir die der vollkommenſten idealiſchen Tänzerin vor! Was iſt das bischen größere Dauer der andern Muſenkünſte? Sind ſie nicht alle nur ein Auftauchen aus unſrem bedingten Zuſtande? — Und iſt nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll- ſtändigkeit der Geſtalt dieſes Zauberaufſchwungs ein beſſeres Maß des Werthes der Künſte, als die, zwar nützliche, Dauer derſelben? —
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Karlsruhe, den 9. April 1819.
— — Wenn es irgend paſſen will, und thunlich wird,
ſo komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten —
von Kindheit an — liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge-
dächte ihm dann auch durch die That zu beweiſen, durch
einen Ball, wie ſchön, heilſam, erfreuend und ergötzend das
Tanzen ſei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raiſon-
nement, die er mir erſt erſtürmen müßte. — Die ſchönſte
Kunſt! Die Kunſt, wo wir ſelbſt Kunſtſtoff werden, wo wir
uns ſelbſt, frei, glücklich, ſchön, geſund, vollſtändig vortragen;
dies faßt in ſich, gewandt, beſcheiden, naiv, unſchuldig, richtig
aus unſerer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf,
Beſchränkung und Schwäche! Dies ſollte nicht die ſchönſte
Kunſt ſein? Gewiß, ſie, und die andre, welche entſtünde,
wenn die Sittlichkeit bis zur ſichtlichen Darſtellung ge-
ſteigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die-
ſen Namen, weil ſie uns ſelbſt idealiſch und frei darſtellen,
alle andern aber nur Ideen und Zuſtände unſerer beſten Mo-
mente. So denk’ ich’s mir; ſo fühlte ich’s von Kindheit an;
und am reizendſten von allen Künſtlererſcheinungen ſchwebte
mir die der vollkommenſten idealiſchen Tänzerin vor! Was
iſt das bischen größere Dauer der andern Muſenkünſte?
Sind ſie nicht alle nur ein Auftauchen aus unſrem bedingten
Zuſtande? — Und iſt nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll-
ſtändigkeit der Geſtalt dieſes Zauberaufſchwungs ein beſſeres
Maß des Werthes der Künſte, als die, zwar nützliche, Dauer
derſelben? —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/580>, abgerufen am 21.12.2024.
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