Schon seit dem letzten Mittwoch, theure und sehr geehrte Freundin, will ich Ihnen nun bestimmt schreiben; diesen Tag war es, wo ich den hier für Sie einliegenden Brief erhielt. Ich war aber nur eben auf ein paar Stunden von einem harten katarrhalisch-nervösen Anfall aus meinem Bette erstan- den, und grade zum Schreiben durchaus unfähig: doch mochte ich diesen Brief mit einer bloßen Aufschrift an Sie nicht allein reisen lassen. Heute nun wanke ich menschlicher in meinem Zimmer umher, und obgleich ich noch schwer und mit Nach- theil schreibe, so will ich Ihnen Ihren Brief nicht länger vor- enthalten, da es mir scheint es sei ein Geschäftsbrief. Die einzig noch erträglichen, und einzig interessanten, wenn sie auch meist nur Unangenehmes enthalten. Denn, was soll man noch viel salbadern, und hin und her fechten mit Worten, Maximen. Meinen, Dafürhalten, und winzigen Resultätchen, Reglen, die sich nur durch Ausnahmen winden, und sich und Andern bezeugen, daß es einem am Besten, an Genuß fehlt: an dem, was unsere Natur imperios kategorisch nicht aufhört zu fordern; die äußern Sinne und der innre fordert. Men- schen von gründlichem Gemüthe -- deren alle Vierteltages- stunden im Zusammenhange aus diesem Gemüthe heraus blei-
wahr aus einem größten Geſichtspunkt; und eine Wahrheit aus der Tiefe ſeiner Meinung.
Schon ſeit dem letzten Mittwoch, theure und ſehr geehrte Freundin, will ich Ihnen nun beſtimmt ſchreiben; dieſen Tag war es, wo ich den hier für Sie einliegenden Brief erhielt. Ich war aber nur eben auf ein paar Stunden von einem harten katarrhaliſch-nervöſen Anfall aus meinem Bette erſtan- den, und grade zum Schreiben durchaus unfähig: doch mochte ich dieſen Brief mit einer bloßen Aufſchrift an Sie nicht allein reiſen laſſen. Heute nun wanke ich menſchlicher in meinem Zimmer umher, und obgleich ich noch ſchwer und mit Nach- theil ſchreibe, ſo will ich Ihnen Ihren Brief nicht länger vor- enthalten, da es mir ſcheint es ſei ein Geſchäftsbrief. Die einzig noch erträglichen, und einzig intereſſanten, wenn ſie auch meiſt nur Unangenehmes enthalten. Denn, was ſoll man noch viel ſalbadern, und hin und her fechten mit Worten, Maximen. Meinen, Dafürhalten, und winzigen Reſultätchen, Reglen, die ſich nur durch Ausnahmen winden, und ſich und Andern bezeugen, daß es einem am Beſten, an Genuß fehlt: an dem, was unſere Natur imperios kategoriſch nicht aufhört zu fordern; die äußern Sinne und der innre fordert. Men- ſchen von gründlichem Gemüthe — deren alle Vierteltages- ſtunden im Zuſammenhange aus dieſem Gemüthe heraus blei-
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[521/0529]
wahr aus einem größten Geſichtspunkt; und eine Wahrheit
aus der Tiefe ſeiner Meinung.
An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Paris.
Karlsruhe, den 6. Januar 1818.
Freitag. Helles ungeſundes, halb rauhes Frühlingswetter.
Schon ſeit dem letzten Mittwoch, theure und ſehr geehrte
Freundin, will ich Ihnen nun beſtimmt ſchreiben; dieſen Tag
war es, wo ich den hier für Sie einliegenden Brief erhielt.
Ich war aber nur eben auf ein paar Stunden von einem
harten katarrhaliſch-nervöſen Anfall aus meinem Bette erſtan-
den, und grade zum Schreiben durchaus unfähig: doch mochte
ich dieſen Brief mit einer bloßen Aufſchrift an Sie nicht allein
reiſen laſſen. Heute nun wanke ich menſchlicher in meinem
Zimmer umher, und obgleich ich noch ſchwer und mit Nach-
theil ſchreibe, ſo will ich Ihnen Ihren Brief nicht länger vor-
enthalten, da es mir ſcheint es ſei ein Geſchäftsbrief. Die
einzig noch erträglichen, und einzig intereſſanten, wenn ſie
auch meiſt nur Unangenehmes enthalten. Denn, was ſoll man
noch viel ſalbadern, und hin und her fechten mit Worten,
Maximen. Meinen, Dafürhalten, und winzigen Reſultätchen,
Reglen, die ſich nur durch Ausnahmen winden, und ſich und
Andern bezeugen, daß es einem am Beſten, an Genuß fehlt:
an dem, was unſere Natur imperios kategoriſch nicht aufhört
zu fordern; die äußern Sinne und der innre fordert. Men-
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ſtunden im Zuſammenhange aus dieſem Gemüthe heraus blei-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/529>, abgerufen am 21.11.2024.
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