Frühlingswetter: in diesem Augenblick nicht ganz unange- nehm: im Ganzen nicht gut, und ungesund: für die Nerven.
Lieber Dr. Troxler! Sie schreiben ja nicht ein Wort von Mad. Troxler und den Kindern? Sind sie ganz blühend? glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas davon müssen Sie immer melden. Ihre Gesichter, Mienen und Teints stehen alle vor mir! Ich meine da die Mutter in allem mit. Rahel lächelte schon, als man ihr von Ihnen las, sie würde wohl lächlen! Ich gestehe doch aber zu, für den ersten Blick haben auch meine Blätter nicht das Ansehen, von einer Frau herzurühren: aber will man sie, bei einem zweiten, einem Manne zuschreiben, so geht das noch weniger. Welch ein Dich- ter müßte das sein, eine Personnage in der Art lyrisch auf- zuführen! Selbst die ganze Polemik in ihr ist ein Seufzer, der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er sie als Nachbarn vorfand. Hier und da, that solches Goethe, und Shakespeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver- wandtschaften, Faust, sprechen manchmal so: d. h. ganz an- ders, und doch so! dies fehlt den letzterfundenen Personnagen Schillers ganz. Es ist nicht uninteressant, einen sonderbar geformten Menschen, wenn er wahrhaft ist, über sich selbst zu vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht!
Wenn Sie vergnügter lebten! Und ich auch! Käme Ihnen nur mehr Vergnügen, Aufmerksamkeit Erregendes!
28 *
An Troxler, in Beromünſter.
Karlsruhe, den 8. Januar 1817.
Frühlingswetter: in dieſem Augenblick nicht ganz unange- nehm: im Ganzen nicht gut, und ungeſund: für die Nerven.
Lieber Dr. Troxler! Sie ſchreiben ja nicht ein Wort von Mad. Troxler und den Kindern? Sind ſie ganz blühend? glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas davon müſſen Sie immer melden. Ihre Geſichter, Mienen und Teints ſtehen alle vor mir! Ich meine da die Mutter in allem mit. Rahel lächelte ſchon, als man ihr von Ihnen las, ſie würde wohl lächlen! Ich geſtehe doch aber zu, für den erſten Blick haben auch meine Blätter nicht das Anſehen, von einer Frau herzurühren: aber will man ſie, bei einem zweiten, einem Manne zuſchreiben, ſo geht das noch weniger. Welch ein Dich- ter müßte das ſein, eine Perſonnage in der Art lyriſch auf- zuführen! Selbſt die ganze Polemik in ihr iſt ein Seufzer, der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er ſie als Nachbarn vorfand. Hier und da, that ſolches Goethe, und Shakeſpeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver- wandtſchaften, Fauſt, ſprechen manchmal ſo: d. h. ganz an- ders, und doch ſo! dies fehlt den letzterfundenen Perſonnagen Schillers ganz. Es iſt nicht unintereſſant, einen ſonderbar geformten Menſchen, wenn er wahrhaft iſt, über ſich ſelbſt zu vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht!
Wenn Sie vergnügter lebten! Und ich auch! Käme Ihnen nur mehr Vergnügen, Aufmerkſamkeit Erregendes!
28 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0443"n="435"/><divn="2"><head>An Troxler, in Beromünſter.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Karlsruhe, den 8. Januar 1817.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Frühlingswetter: in dieſem Augenblick nicht ganz unange-<lb/>
nehm: im Ganzen nicht gut, und ungeſund: für<lb/>
die <hirendition="#g">Nerven</hi>.</hi></p><lb/><p>Lieber Dr. Troxler! Sie ſchreiben ja nicht ein Wort von<lb/>
Mad. Troxler und den Kindern? Sind ſie ganz blühend?<lb/>
glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas <hirendition="#g">davon</hi><lb/>
müſſen Sie immer melden. Ihre Geſichter, Mienen und Teints<lb/>ſtehen alle <hirendition="#g">vor</hi> mir! Ich meine da die Mutter in allem mit.<lb/>
Rahel lächelte ſchon, als man ihr von Ihnen las, ſie würde<lb/>
wohl lächlen! Ich geſtehe doch aber zu, für den erſten Blick<lb/>
haben auch meine Blätter nicht das Anſehen, von einer Frau<lb/>
herzurühren: aber will man ſie, bei einem zweiten, einem<lb/>
Manne zuſchreiben, ſo geht das noch weniger. Welch ein Dich-<lb/>
ter müßte <hirendition="#g">das</hi>ſein, eine Perſonnage in <hirendition="#g">der</hi> Art lyriſch auf-<lb/>
zuführen! Selbſt die ganze Polemik in ihr iſt ein Seufzer,<lb/>
der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er ſie<lb/>
als Nachbarn vorfand. Hier und da, that ſolches Goethe, und<lb/>
Shakeſpeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver-<lb/>
wandtſchaften, Fauſt, ſprechen manchmal ſo: d. h. <hirendition="#g">ganz</hi> an-<lb/>
ders, und doch ſo! dies fehlt den <hirendition="#g">letzt</hi>erfundenen Perſonnagen<lb/>
Schillers <hirendition="#g">ganz</hi>. Es iſt nicht unintereſſant, einen ſonderbar<lb/>
geformten Menſchen, wenn er wahrhaft iſt, über ſich ſelbſt zu<lb/>
vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht!</p><lb/><p>Wenn Sie <hirendition="#g">vergnügter lebten</hi>! Und ich auch! Käme<lb/>
Ihnen nur mehr <hirendition="#g">Vergnügen</hi>, Aufmerkſamkeit Erregendes!<lb/><fwplace="bottom"type="sig">28 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[435/0443]
An Troxler, in Beromünſter.
Karlsruhe, den 8. Januar 1817.
Frühlingswetter: in dieſem Augenblick nicht ganz unange-
nehm: im Ganzen nicht gut, und ungeſund: für
die Nerven.
Lieber Dr. Troxler! Sie ſchreiben ja nicht ein Wort von
Mad. Troxler und den Kindern? Sind ſie ganz blühend?
glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas davon
müſſen Sie immer melden. Ihre Geſichter, Mienen und Teints
ſtehen alle vor mir! Ich meine da die Mutter in allem mit.
Rahel lächelte ſchon, als man ihr von Ihnen las, ſie würde
wohl lächlen! Ich geſtehe doch aber zu, für den erſten Blick
haben auch meine Blätter nicht das Anſehen, von einer Frau
herzurühren: aber will man ſie, bei einem zweiten, einem
Manne zuſchreiben, ſo geht das noch weniger. Welch ein Dich-
ter müßte das ſein, eine Perſonnage in der Art lyriſch auf-
zuführen! Selbſt die ganze Polemik in ihr iſt ein Seufzer,
der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er ſie
als Nachbarn vorfand. Hier und da, that ſolches Goethe, und
Shakeſpeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver-
wandtſchaften, Fauſt, ſprechen manchmal ſo: d. h. ganz an-
ders, und doch ſo! dies fehlt den letzterfundenen Perſonnagen
Schillers ganz. Es iſt nicht unintereſſant, einen ſonderbar
geformten Menſchen, wenn er wahrhaft iſt, über ſich ſelbſt zu
vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht!
Wenn Sie vergnügter lebten! Und ich auch! Käme
Ihnen nur mehr Vergnügen, Aufmerkſamkeit Erregendes!
28 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/443>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.