ihn schon so geschält. Er beherrschte ganz allein, und nöthig, und mild das Gespräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes aufkommen: ist in gleichem Ton mit Hausleuten, Gästen und Kindern; sagte unaufhörlich komisch-Frappantes, aber nicht wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; diese alte Überzeu- gung der Dinge hat bei ihm eine wieder neue Wendung genommen; er ist von der tiefsten, sorgenlosesten Aufrichtig- keit über alle Gegenstände, und dies' giebt seinem Benehmen und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. -- Mich dünkt, er hat mehr Verstand als je. Oder hab' ich mehr. Wir beide sind auch ganz weich, ganz leise, ganz milde, ganz wahr, und ganz weit, weit vorwärts in unsern Äußerungen mit einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin Custine: eben so. --
An Varnhagen, in Mannheim.
Karlsruhe, den 19. Oktober 1816. Morgens 10. Uhr.
-- -- Ich habe alle Besuche endlich sitzen lassen, mich angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo alle Thüren zu, und keine Klingel waren!! -- -- Sie machte mir einen unverständlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie hatte mir aber die vortrefflichsten, in des hannöverschen Ge- sandten Loge sehr gute, verschafft; vordere im ersten Rang. Nachher sollte sie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber sie ließ mir absagen: sie läge schon mit Migraine. Dore sah
ihn ſchon ſo geſchält. Er beherrſchte ganz allein, und nöthig, und mild das Geſpräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes aufkommen: iſt in gleichem Ton mit Hausleuten, Gäſten und Kindern; ſagte unaufhörlich komiſch-Frappantes, aber nicht wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; dieſe alte Überzeu- gung der Dinge hat bei ihm eine wieder neue Wendung genommen; er iſt von der tiefſten, ſorgenloſeſten Aufrichtig- keit über alle Gegenſtände, und dieſ’ giebt ſeinem Benehmen und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. — Mich dünkt, er hat mehr Verſtand als je. Oder hab’ ich mehr. Wir beide ſind auch ganz weich, ganz leiſe, ganz milde, ganz wahr, und ganz weit, weit vorwärts in unſern Äußerungen mit einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin Cuſtine: eben ſo. —
An Varnhagen, in Mannheim.
Karlsruhe, den 19. Oktober 1816. Morgens 10. Uhr.
— — Ich habe alle Beſuche endlich ſitzen laſſen, mich angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo alle Thüren zu, und keine Klingel waren!! — — Sie machte mir einen unverſtändlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie hatte mir aber die vortrefflichſten, in des hannöverſchen Ge- ſandten Loge ſehr gute, verſchafft; vordere im erſten Rang. Nachher ſollte ſie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber ſie ließ mir abſagen: ſie läge ſchon mit Migraine. Dore ſah
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0428"n="420"/>
ihn ſchon ſo geſchält. Er beherrſchte ganz allein, und nöthig,<lb/>
und mild das Geſpräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes<lb/>
aufkommen: iſt in gleichem Ton mit Hausleuten, Gäſten und<lb/>
Kindern; ſagte unaufhörlich komiſch-Frappantes, aber nicht<lb/>
wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in<lb/>
deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; dieſe alte Überzeu-<lb/>
gung der Dinge hat bei ihm eine <hirendition="#g">wieder</hi> neue Wendung<lb/>
genommen; er iſt von der tiefſten, ſorgenloſeſten Aufrichtig-<lb/>
keit über <hirendition="#g">alle</hi> Gegenſtände, und dieſ’ giebt ſeinem Benehmen<lb/>
und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. — Mich dünkt,<lb/>
er hat mehr Verſtand als je. Oder hab’<hirendition="#g">ich</hi> mehr. Wir<lb/>
beide ſind auch ganz weich, ganz leiſe, ganz milde, ganz wahr,<lb/>
und ganz weit, weit vorwärts in unſern Äußerungen mit<lb/>
einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin<lb/>
Cuſtine: eben ſo. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Mannheim.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Karlsruhe, den 19. Oktober 1816.<lb/>
Morgens 10. Uhr.</hi></dateline><lb/><p>—— Ich habe alle Beſuche endlich ſitzen laſſen, mich<lb/>
angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo<lb/>
alle Thüren zu, und <hirendition="#g">keine</hi> Klingel waren!! —— Sie machte<lb/>
mir einen unverſtändlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie<lb/>
hatte mir aber die vortrefflichſten, in des hannöverſchen Ge-<lb/>ſandten Loge ſehr gute, verſchafft; vordere im erſten Rang.<lb/>
Nachher ſollte ſie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber<lb/>ſie ließ mir abſagen: ſie läge ſchon mit Migraine. Dore ſah<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[420/0428]
ihn ſchon ſo geſchält. Er beherrſchte ganz allein, und nöthig,
und mild das Geſpräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes
aufkommen: iſt in gleichem Ton mit Hausleuten, Gäſten und
Kindern; ſagte unaufhörlich komiſch-Frappantes, aber nicht
wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in
deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; dieſe alte Überzeu-
gung der Dinge hat bei ihm eine wieder neue Wendung
genommen; er iſt von der tiefſten, ſorgenloſeſten Aufrichtig-
keit über alle Gegenſtände, und dieſ’ giebt ſeinem Benehmen
und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. — Mich dünkt,
er hat mehr Verſtand als je. Oder hab’ ich mehr. Wir
beide ſind auch ganz weich, ganz leiſe, ganz milde, ganz wahr,
und ganz weit, weit vorwärts in unſern Äußerungen mit
einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin
Cuſtine: eben ſo. —
An Varnhagen, in Mannheim.
Karlsruhe, den 19. Oktober 1816.
Morgens 10. Uhr.
— — Ich habe alle Beſuche endlich ſitzen laſſen, mich
angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo
alle Thüren zu, und keine Klingel waren!! — — Sie machte
mir einen unverſtändlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie
hatte mir aber die vortrefflichſten, in des hannöverſchen Ge-
ſandten Loge ſehr gute, verſchafft; vordere im erſten Rang.
Nachher ſollte ſie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber
ſie ließ mir abſagen: ſie läge ſchon mit Migraine. Dore ſah
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/428>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.