Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von seiner
Gesinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh-
rern Mitgliedern in einer Familie, lästig, leer und affektirt:
schickt sich nur gut bei Fürsten, wo alles in's Große und Feier-
liche getrieben werden kann, und ohnehin eine schöne Stufe
höher steht, als im wirklichen, ich möchte sagen, gemeinen
Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein
Geburtstag ist; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor
Pfingsten geboren war, und so nahm ich, seit nur wenigen
Jahren, dieses grüne Fest in meinen Gedanken dafür an. Aber
ich kann sagen bloß aus und in Leidwesen: als mir die Zeit
anfing zu sehr zu schwinden, und mir doch ohne Leben die
Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürsten,
dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich selbst
vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu schlie-
ßen hatte, in der so genannten erworbenen Vernünftigkeit,
eigentlich aber Muthgebrochenheit. So steht's mit dem Ge-
burtstag; so wird der von den andern Tagen angesehen; und
diese mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da-
mit abgeben. --



An Wilhelm Neumann, in Koblenz.


Karlsruhe ist ein schöner unbequemer Ort: die Unbequem-
lichkeit liegt in der Prätension eines großen, ohne dessen Res-
sourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beschränkt-

ſein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von ſeiner
Geſinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh-
rern Mitgliedern in einer Familie, läſtig, leer und affektirt:
ſchickt ſich nur gut bei Fürſten, wo alles in’s Große und Feier-
liche getrieben werden kann, und ohnehin eine ſchöne Stufe
höher ſteht, als im wirklichen, ich möchte ſagen, gemeinen
Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein
Geburtstag iſt; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor
Pfingſten geboren war, und ſo nahm ich, ſeit nur wenigen
Jahren, dieſes grüne Feſt in meinen Gedanken dafür an. Aber
ich kann ſagen bloß aus und in Leidweſen: als mir die Zeit
anfing zu ſehr zu ſchwinden, und mir doch ohne Leben die
Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürſten,
dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich ſelbſt
vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu ſchlie-
ßen hatte, in der ſo genannten erworbenen Vernünftigkeit,
eigentlich aber Muthgebrochenheit. So ſteht’s mit dem Ge-
burtstag; ſo wird der von den andern Tagen angeſehen; und
dieſe mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da-
mit abgeben. —



An Wilhelm Neumann, in Koblenz.


Karlsruhe iſt ein ſchöner unbequemer Ort: die Unbequem-
lichkeit liegt in der Prätenſion eines großen, ohne deſſen Reſ-
ſourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beſchränkt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0417" n="409"/>
&#x017F;ein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von &#x017F;einer<lb/>
Ge&#x017F;innung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh-<lb/>
rern Mitgliedern in einer Familie, lä&#x017F;tig, leer und affektirt:<lb/>
&#x017F;chickt &#x017F;ich nur gut bei Für&#x017F;ten, wo alles in&#x2019;s Große und Feier-<lb/>
liche getrieben werden kann, und ohnehin eine &#x017F;chöne Stufe<lb/>
höher &#x017F;teht, als im wirklichen, ich möchte &#x017F;agen, gemeinen<lb/>
Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein<lb/>
Geburtstag i&#x017F;t; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor<lb/>
Pfing&#x017F;ten geboren war, und &#x017F;o nahm ich, &#x017F;eit nur wenigen<lb/>
Jahren, die&#x017F;es grüne Fe&#x017F;t in meinen Gedanken dafür an. Aber<lb/>
ich kann &#x017F;agen bloß aus und in Leidwe&#x017F;en: als mir die Zeit<lb/>
anfing zu &#x017F;ehr zu &#x017F;chwinden, und mir doch ohne Leben die<lb/>
Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfür&#x017F;ten,<lb/>
dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu &#x017F;chlie-<lb/>
ßen hatte, in der &#x017F;o genannten erworbenen Vernünftigkeit,<lb/>
eigentlich aber Muthgebrochenheit. So &#x017F;teht&#x2019;s mit dem Ge-<lb/>
burtstag; &#x017F;o wird der von den andern Tagen ange&#x017F;ehen; und<lb/>
die&#x017F;e mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da-<lb/>
mit abgeben. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Wilhelm Neumann, in Koblenz.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Karlsruhe, den 23. Juli 1816.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Karlsruhe i&#x017F;t ein &#x017F;chöner unbequemer Ort: die Unbequem-<lb/>
lichkeit liegt in der Präten&#x017F;ion eines großen, ohne de&#x017F;&#x017F;en Re&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Be&#x017F;chränkt-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0417] ſein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von ſeiner Geſinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh- rern Mitgliedern in einer Familie, läſtig, leer und affektirt: ſchickt ſich nur gut bei Fürſten, wo alles in’s Große und Feier- liche getrieben werden kann, und ohnehin eine ſchöne Stufe höher ſteht, als im wirklichen, ich möchte ſagen, gemeinen Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein Geburtstag iſt; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor Pfingſten geboren war, und ſo nahm ich, ſeit nur wenigen Jahren, dieſes grüne Feſt in meinen Gedanken dafür an. Aber ich kann ſagen bloß aus und in Leidweſen: als mir die Zeit anfing zu ſehr zu ſchwinden, und mir doch ohne Leben die Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürſten, dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich ſelbſt vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu ſchlie- ßen hatte, in der ſo genannten erworbenen Vernünftigkeit, eigentlich aber Muthgebrochenheit. So ſteht’s mit dem Ge- burtstag; ſo wird der von den andern Tagen angeſehen; und dieſe mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da- mit abgeben. — An Wilhelm Neumann, in Koblenz. Karlsruhe, den 23. Juli 1816. Karlsruhe iſt ein ſchöner unbequemer Ort: die Unbequem- lichkeit liegt in der Prätenſion eines großen, ohne deſſen Reſ- ſourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beſchränkt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/417
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/417>, abgerufen am 21.11.2024.