Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte
mich nicht wehren: nur denken und in die Brust aufnehmen.
-- Lieber Freund! Ich büße es selbst, daß ich dich hoffen
und wieder entsagen lassen muß. Aber Einer von uns muß
handlen wie es ihm genehm ist. Ich will es sein. Sei dies
meine Delikatesse. --



An Varnhagen, in Paris.


Dies ist den Brief werth. Nun wirst du selbst dich freuen,
daß ich noch hier war. Guter theurer August. Goethe war
diesen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies ist mein
Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch so schlecht, als Einer,
dem sein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiser König
den Ritterschlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm
mich sehr schlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht sprechen!
O! wie weissagte meine Seele gestern, als ich dir schrieb, ich
hätte den größten Geschmack, und müßte mich immer so ge-
schmacklos, so ungraziös betragen: immer selbst so erscheinen!
Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umstände, Ereig-
nisse, reichten sich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich
durch Überwältigung hinein zu stürzen. Höre nur! Als vor-
gestern und gestern keine Antwort von Goethe kam, beschäftigte
es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kronische
Krankheit; (und noch Einmal sei dir diese größte Liebeserklärung
gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-

wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte
mich nicht wehren: nur denken und in die Bruſt aufnehmen.
Lieber Freund! Ich büße es ſelbſt, daß ich dich hoffen
und wieder entſagen laſſen muß. Aber Einer von uns muß
handlen wie es ihm genehm iſt. Ich will es ſein. Sei dies
meine Delikateſſe. —



An Varnhagen, in Paris.


Dies iſt den Brief werth. Nun wirſt du ſelbſt dich freuen,
daß ich noch hier war. Guter theurer Auguſt. Goethe war
dieſen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies iſt mein
Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch ſo ſchlecht, als Einer,
dem ſein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiſer König
den Ritterſchlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm
mich ſehr ſchlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht ſprechen!
O! wie weiſſagte meine Seele geſtern, als ich dir ſchrieb, ich
hätte den größten Geſchmack, und müßte mich immer ſo ge-
ſchmacklos, ſo ungraziös betragen: immer ſelbſt ſo erſcheinen!
Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umſtände, Ereig-
niſſe, reichten ſich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich
durch Überwältigung hinein zu ſtürzen. Höre nur! Als vor-
geſtern und geſtern keine Antwort von Goethe kam, beſchäftigte
es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroniſche
Krankheit; (und noch Einmal ſei dir dieſe größte Liebeserklärung
gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0337" n="329"/>
wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich <hi rendition="#g">konnte</hi><lb/>
mich nicht wehren: nur denken und in die Bru&#x017F;t aufnehmen.<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">Lieber</hi> Freund! Ich büße es &#x017F;elb&#x017F;t, daß ich dich hoffen<lb/>
und wieder ent&#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en muß. Aber <hi rendition="#g">Einer</hi> von uns muß<lb/>
handlen wie es ihm genehm i&#x017F;t. Ich will es &#x017F;ein. Sei dies<lb/>
meine Delikate&#x017F;&#x017F;e. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Paris.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Frankfurt a. M. den 8. September 1815.<lb/>
Freitag Mittag halb 3 Uhr.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Dies i&#x017F;t den Brief werth. Nun wir&#x017F;t du &#x017F;elb&#x017F;t dich freuen,<lb/>
daß ich noch hier war. Guter theurer Augu&#x017F;t. Goethe war<lb/>
die&#x017F;en Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies i&#x017F;t mein<lb/>
Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch &#x017F;o &#x017F;chlecht, als Einer,<lb/>
dem &#x017F;ein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, wei&#x017F;er König<lb/>
den Ritter&#x017F;chlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm<lb/>
mich &#x017F;ehr &#x017F;chlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht &#x017F;prechen!<lb/>
O! wie wei&#x017F;&#x017F;agte meine Seele ge&#x017F;tern, als ich dir &#x017F;chrieb, ich<lb/>
hätte den größten Ge&#x017F;chmack, und müßte mich immer &#x017F;o ge-<lb/>
&#x017F;chmacklos, &#x017F;o ungraziös betragen: immer &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o er&#x017F;cheinen!<lb/>
Und ich kann <hi rendition="#g">wieder</hi> nicht dafür; zwanzig Um&#x017F;tände, Ereig-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, reichten &#x017F;ich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich<lb/>
durch Überwältigung hinein zu &#x017F;türzen. Höre nur! Als vor-<lb/>
ge&#x017F;tern und ge&#x017F;tern keine Antwort von Goethe kam, be&#x017F;chäftigte<lb/>
es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroni&#x017F;che<lb/>
Krankheit; (und noch Einmal &#x017F;ei dir die&#x017F;e größte Liebeserklärung<lb/>
gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0337] wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte mich nicht wehren: nur denken und in die Bruſt aufnehmen. — Lieber Freund! Ich büße es ſelbſt, daß ich dich hoffen und wieder entſagen laſſen muß. Aber Einer von uns muß handlen wie es ihm genehm iſt. Ich will es ſein. Sei dies meine Delikateſſe. — An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. den 8. September 1815. Freitag Mittag halb 3 Uhr. Dies iſt den Brief werth. Nun wirſt du ſelbſt dich freuen, daß ich noch hier war. Guter theurer Auguſt. Goethe war dieſen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies iſt mein Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch ſo ſchlecht, als Einer, dem ſein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiſer König den Ritterſchlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm mich ſehr ſchlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht ſprechen! O! wie weiſſagte meine Seele geſtern, als ich dir ſchrieb, ich hätte den größten Geſchmack, und müßte mich immer ſo ge- ſchmacklos, ſo ungraziös betragen: immer ſelbſt ſo erſcheinen! Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umſtände, Ereig- niſſe, reichten ſich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich durch Überwältigung hinein zu ſtürzen. Höre nur! Als vor- geſtern und geſtern keine Antwort von Goethe kam, beſchäftigte es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroniſche Krankheit; (und noch Einmal ſei dir dieſe größte Liebeserklärung gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/337
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/337>, abgerufen am 21.11.2024.