wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte mich nicht wehren: nur denken und in die Brust aufnehmen. -- Lieber Freund! Ich büße es selbst, daß ich dich hoffen und wieder entsagen lassen muß. Aber Einer von uns muß handlen wie es ihm genehm ist. Ich will es sein. Sei dies meine Delikatesse. --
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. den 8. September 1815. Freitag Mittag halb 3 Uhr.
Dies ist den Brief werth. Nun wirst du selbst dich freuen, daß ich noch hier war. Guter theurer August. Goethe war diesen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies ist mein Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch so schlecht, als Einer, dem sein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiser König den Ritterschlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm mich sehr schlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht sprechen! O! wie weissagte meine Seele gestern, als ich dir schrieb, ich hätte den größten Geschmack, und müßte mich immer so ge- schmacklos, so ungraziös betragen: immer selbst so erscheinen! Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umstände, Ereig- nisse, reichten sich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich durch Überwältigung hinein zu stürzen. Höre nur! Als vor- gestern und gestern keine Antwort von Goethe kam, beschäftigte es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kronische Krankheit; (und noch Einmal sei dir diese größte Liebeserklärung gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-
wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte mich nicht wehren: nur denken und in die Bruſt aufnehmen. — Lieber Freund! Ich büße es ſelbſt, daß ich dich hoffen und wieder entſagen laſſen muß. Aber Einer von uns muß handlen wie es ihm genehm iſt. Ich will es ſein. Sei dies meine Delikateſſe. —
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. den 8. September 1815. Freitag Mittag halb 3 Uhr.
Dies iſt den Brief werth. Nun wirſt du ſelbſt dich freuen, daß ich noch hier war. Guter theurer Auguſt. Goethe war dieſen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies iſt mein Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch ſo ſchlecht, als Einer, dem ſein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiſer König den Ritterſchlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm mich ſehr ſchlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht ſprechen! O! wie weiſſagte meine Seele geſtern, als ich dir ſchrieb, ich hätte den größten Geſchmack, und müßte mich immer ſo ge- ſchmacklos, ſo ungraziös betragen: immer ſelbſt ſo erſcheinen! Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umſtände, Ereig- niſſe, reichten ſich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich durch Überwältigung hinein zu ſtürzen. Höre nur! Als vor- geſtern und geſtern keine Antwort von Goethe kam, beſchäftigte es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroniſche Krankheit; (und noch Einmal ſei dir dieſe größte Liebeserklärung gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-
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wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte
mich nicht wehren: nur denken und in die Bruſt aufnehmen.
— Lieber Freund! Ich büße es ſelbſt, daß ich dich hoffen
und wieder entſagen laſſen muß. Aber Einer von uns muß
handlen wie es ihm genehm iſt. Ich will es ſein. Sei dies
meine Delikateſſe. —
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. den 8. September 1815.
Freitag Mittag halb 3 Uhr.
Dies iſt den Brief werth. Nun wirſt du ſelbſt dich freuen,
daß ich noch hier war. Guter theurer Auguſt. Goethe war
dieſen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies iſt mein
Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch ſo ſchlecht, als Einer,
dem ſein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiſer König
den Ritterſchlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm
mich ſehr ſchlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht ſprechen!
O! wie weiſſagte meine Seele geſtern, als ich dir ſchrieb, ich
hätte den größten Geſchmack, und müßte mich immer ſo ge-
ſchmacklos, ſo ungraziös betragen: immer ſelbſt ſo erſcheinen!
Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umſtände, Ereig-
niſſe, reichten ſich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich
durch Überwältigung hinein zu ſtürzen. Höre nur! Als vor-
geſtern und geſtern keine Antwort von Goethe kam, beſchäftigte
es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroniſche
Krankheit; (und noch Einmal ſei dir dieſe größte Liebeserklärung
gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/337>, abgerufen am 21.11.2024.
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