Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lich sieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe sie. Ein Göt-
terbalg! --

Ich lese keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er-
fahr' ich doch: die Gesinnungen kenn' ich! Eine Mühle, die
klappert, ist mir lieber.


-- Ich bin aber nicht unwohl, und viel gesünder als in
Wien. Sehr lustig; und die Unterhaltung des ganzen Hau-
ses und all seiner Gäste, in deren Gegenwart es nur möglich
ist mit der Sprache zu präludiren! Mein ganzes Thun,
Dasein und Äußern amüsirt ununterbrochen, bis zum Lachen
und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und selbst-
meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die
Einzige, die da meint. Auch hab' ich vorgestern, bei nicht
leerem Gastzimmer, laut die französische Nation vertheidigen
dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu-
frieden: und lächelten der Neuheit, die sie sich nicht selbst aus-
zudenken brauchten; unsere flammende Wirthin sagte, als
ich schwieg, beifallsvoll: "Reden Sie immerweg! wir wollen
Alle lieber zuhören und schweigen!" Mir wieder ein Beweis,
mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön-
nen, wenn sie rechtschaffen genug sind, und besonders eine
Meinung haben: die am meisten fehlt. Ich sprach wider die
eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Persönlichkeit noch
Eitelkeit bewogen: die Sache wie sie ist, war für mich; un-
widerlegbar; und ich opferte sogar das Wohlgefallen an dem,
was ich vortragen und behaupten konnte, entschlossen denen
auf, für die ich sprechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in

lich ſieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe ſie. Ein Göt-
terbalg! —

Ich leſe keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er-
fahr’ ich doch: die Geſinnungen kenn’ ich! Eine Mühle, die
klappert, iſt mir lieber.


— Ich bin aber nicht unwohl, und viel geſünder als in
Wien. Sehr luſtig; und die Unterhaltung des ganzen Hau-
ſes und all ſeiner Gäſte, in deren Gegenwart es nur möglich
iſt mit der Sprache zu präludiren! Mein ganzes Thun,
Daſein und Äußern amüſirt ununterbrochen, bis zum Lachen
und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und ſelbſt-
meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die
Einzige, die da meint. Auch hab’ ich vorgeſtern, bei nicht
leerem Gaſtzimmer, laut die franzöſiſche Nation vertheidigen
dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu-
frieden: und lächelten der Neuheit, die ſie ſich nicht ſelbſt aus-
zudenken brauchten; unſere flammende Wirthin ſagte, als
ich ſchwieg, beifallsvoll: „Reden Sie immerweg! wir wollen
Alle lieber zuhören und ſchweigen!“ Mir wieder ein Beweis,
mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön-
nen, wenn ſie rechtſchaffen genug ſind, und beſonders eine
Meinung haben: die am meiſten fehlt. Ich ſprach wider die
eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Perſönlichkeit noch
Eitelkeit bewogen: die Sache wie ſie iſt, war für mich; un-
widerlegbar; und ich opferte ſogar das Wohlgefallen an dem,
was ich vortragen und behaupten konnte, entſchloſſen denen
auf, für die ich ſprechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0316" n="308"/>
lich &#x017F;ieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe &#x017F;ie. Ein Göt-<lb/>
terbalg! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Ich le&#x017F;e keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er-<lb/>
fahr&#x2019; ich doch: die Ge&#x017F;innungen kenn&#x2019; ich! Eine Mühle, die<lb/>
klappert, i&#x017F;t mir lieber.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 11. Juli.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Ich bin aber <hi rendition="#g">nicht</hi> unwohl, und viel ge&#x017F;ünder als in<lb/>
Wien. Sehr lu&#x017F;tig; und die Unterhaltung des ganzen Hau-<lb/>
&#x017F;es und all &#x017F;einer Gä&#x017F;te, in deren Gegenwart es nur möglich<lb/>
i&#x017F;t mit der Sprache zu <hi rendition="#g">präludiren!</hi> Mein ganzes Thun,<lb/>
Da&#x017F;ein und Äußern amü&#x017F;irt ununterbrochen, bis zum Lachen<lb/>
und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und &#x017F;elb&#x017F;t-<lb/>
meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die<lb/>
Einzige, die da meint. Auch hab&#x2019; ich vorge&#x017F;tern, bei nicht<lb/>
leerem Ga&#x017F;tzimmer, laut die franzö&#x017F;i&#x017F;che Nation vertheidigen<lb/>
dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu-<lb/>
frieden: und lächelten der Neuheit, die &#x017F;ie &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t aus-<lb/>
zudenken brauchten; un&#x017F;ere flammende <hi rendition="#g">Wirthin</hi> &#x017F;agte, als<lb/>
ich &#x017F;chwieg, beifallsvoll: &#x201E;Reden Sie immerweg! wir wollen<lb/>
Alle lieber zuhören und &#x017F;chweigen!&#x201C; Mir wieder ein Beweis,<lb/>
mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön-<lb/>
nen, wenn &#x017F;ie recht&#x017F;chaffen genug &#x017F;ind, und be&#x017F;onders eine<lb/>
Meinung haben: die am mei&#x017F;ten fehlt. Ich &#x017F;prach wider die<lb/>
eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Per&#x017F;önlichkeit noch<lb/>
Eitelkeit bewogen: die Sache wie &#x017F;ie i&#x017F;t, war <hi rendition="#g">für</hi> mich; un-<lb/>
widerlegbar; und ich opferte &#x017F;ogar das Wohlgefallen an dem,<lb/>
was ich vortragen und behaupten konnte, ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en denen<lb/>
auf, für die ich &#x017F;prechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0316] lich ſieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe ſie. Ein Göt- terbalg! — Ich leſe keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er- fahr’ ich doch: die Geſinnungen kenn’ ich! Eine Mühle, die klappert, iſt mir lieber. Den 11. Juli. — Ich bin aber nicht unwohl, und viel geſünder als in Wien. Sehr luſtig; und die Unterhaltung des ganzen Hau- ſes und all ſeiner Gäſte, in deren Gegenwart es nur möglich iſt mit der Sprache zu präludiren! Mein ganzes Thun, Daſein und Äußern amüſirt ununterbrochen, bis zum Lachen und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und ſelbſt- meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die Einzige, die da meint. Auch hab’ ich vorgeſtern, bei nicht leerem Gaſtzimmer, laut die franzöſiſche Nation vertheidigen dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu- frieden: und lächelten der Neuheit, die ſie ſich nicht ſelbſt aus- zudenken brauchten; unſere flammende Wirthin ſagte, als ich ſchwieg, beifallsvoll: „Reden Sie immerweg! wir wollen Alle lieber zuhören und ſchweigen!“ Mir wieder ein Beweis, mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön- nen, wenn ſie rechtſchaffen genug ſind, und beſonders eine Meinung haben: die am meiſten fehlt. Ich ſprach wider die eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Perſönlichkeit noch Eitelkeit bewogen: die Sache wie ſie iſt, war für mich; un- widerlegbar; und ich opferte ſogar das Wohlgefallen an dem, was ich vortragen und behaupten konnte, entſchloſſen denen auf, für die ich ſprechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/316
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/316>, abgerufen am 21.11.2024.