Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

eine dahin neigende Natur, so würde ich mich zum Gegentheil
zwingen; sondern, ich kann mich nicht beschränken, und könnte
diese meine Natur nicht bezwingen. -- Lieber, ich habe alle
meine Papiere durchsucht, und kann keine Gedichte von dir
finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch
keine! --

Ich denke ich soll wahnsinnig werden für Glück, wie
Goethe immer in die hohe Kammer geht, "die Gewitter ab-
zuwarten". In meiner tiefsten Kindheit that ich das auch
schon, und noch berücksichtige ich alle Quartiere danach, ob
man zu einem Gewitter viel Himmel sieht. Jetzt hab' ich
Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem
Menschen deutet, das weiß ich; und seine Konstitution kenne
ich auch. Erinnerst du dich des Gewitters in Charlottenburg,
wo du mit Markus und Bribes ankamst? da fürchtete sich die
Schwägerin, und ich wurde ganz grausam: ich hasse die Leute,
die sich vor Gewitter fürchten. Adieu! Nostitz wird über Ber-
lin quer-ein schimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!



An Varnhagen, in Prag.


Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichst antworten,
alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht
ertragen: lesen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir
besonders davon ein leiser Versuch ganze Nächte, und Aus-
gehen durch die Kälte dasselbe; ich bin wohl öfters ganz ver-

eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil
zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte
dieſe meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle
meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir
finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch
keine! —

Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie
Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab-
zuwarten“. In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch
ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob
man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab’ ich
Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem
Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne
ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg,
wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die
Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute,
die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber-
lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!



An Varnhagen, in Prag.


Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten,
alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht
ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir
beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus-
gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0021" n="13"/>
eine dahin neigende Natur, &#x017F;o würde ich mich zum Gegentheil<lb/>
zwingen; &#x017F;ondern, ich <hi rendition="#g">kann</hi> mich nicht be&#x017F;chränken, und könnte<lb/><hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> meine Natur nicht bezwingen. &#x2014; Lieber, ich habe alle<lb/>
meine Papiere durch&#x017F;ucht, und kann keine Gedichte von dir<lb/>
finden. Ich möchte vergehen! aber <hi rendition="#g">machen kann</hi> ich doch<lb/>
keine! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Ich denke ich &#x017F;oll wahn&#x017F;innig werden für Glück, wie<lb/>
Goethe immer in die hohe Kammer geht, &#x201E;die Gewitter ab-<lb/>
zuwarten&#x201C;. In meiner tief&#x017F;ten Kindheit that ich das auch<lb/>
&#x017F;chon, und noch berück&#x017F;ichtige ich alle Quartiere danach, ob<lb/>
man zu einem Gewitter viel Himmel &#x017F;ieht. Jetzt hab&#x2019; ich<lb/>
Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem<lb/>
Men&#x017F;chen deutet, das weiß ich; und &#x017F;eine Kon&#x017F;titution kenne<lb/>
ich auch. Erinner&#x017F;t du dich des Gewitters in Charlottenburg,<lb/>
wo du mit Markus und Bribes ankam&#x017F;t? da fürchtete &#x017F;ich die<lb/>
Schwägerin, und ich wurde ganz grau&#x017F;am: ich ha&#x017F;&#x017F;e die Leute,<lb/>
die &#x017F;ich vor Gewitter fürchten. Adieu! No&#x017F;titz wird über Ber-<lb/>
lin quer-ein &#x017F;chimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Prag.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#right">Donnerstag, den 30. Januar 1812.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlich&#x017F;t antworten,<lb/>
alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht<lb/>
ertragen: le&#x017F;en aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir<lb/>
be&#x017F;onders <hi rendition="#g">dav</hi>on ein lei&#x017F;er Ver&#x017F;uch ganze Nächte, und Aus-<lb/>
gehen durch die Kälte da&#x017F;&#x017F;elbe; ich bin wohl öfters ganz ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0021] eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte dieſe meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch keine! — Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab- zuwarten“. In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab’ ich Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg, wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute, die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber- lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl! An Varnhagen, in Prag. Donnerstag, den 30. Januar 1812. Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten, alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus- gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/21
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/21>, abgerufen am 03.12.2024.