zu predigen, und sie ihnen predigen kann, ohne sie ihnen lieb zu machen, und grade als Predigt sie ihnen nützlich ohne schön vorzustellen, alles durch Handlungen und Widerwillen am rechten Ort gezeigt, das glaub' ich doch; bis Sie oder einer mir das Gegentheil beweisen. --
Berlin, den 19. Februar 179[4].
-- Von Homer -- o weh! denn es ist ordentlich ein Schmerz, so schön kommt mir die Odyssee vor! -- Wie die Griechen von den Menschen sprechen -- wie sie immer alles Letzte zusammenfassen und es ganz gemein sagen, damit es ganz groß ist und edel klingt -- sie fassen immer alles, so wie es ist, und betrachten und erzählen's nur; den Menschen thun die Götter alles; das Fatum ist über die Götter; eine Macht erlegt die andere, und sie erzählen wie sie's leiden, Haben Sie bemerkt, daß Homer, so oft er von Wasser re- det, immer groß ist, wie Goethe wenn er von den Sternen redet? Dem seine Sternreden sind Ihnen gewiß nicht so ge- genwärtig, wie mir: in Iphigenie Orest, in den kleinen Ge- dichten "an Lida," und noch unendlich oft in seinen besten und geringeren Sachen. --
An Gustav von Brinckmann, in Berlin.
Leipzig, den 20. Mai 1794.
Diese Minute hab' ich Ihren scharmanten Brief ausge- lesen; er ist so scharmant, daß er die Angst, die er mir machte,
zu predigen, und ſie ihnen predigen kann, ohne ſie ihnen lieb zu machen, und grade als Predigt ſie ihnen nützlich ohne ſchön vorzuſtellen, alles durch Handlungen und Widerwillen am rechten Ort gezeigt, das glaub’ ich doch; bis Sie oder einer mir das Gegentheil beweiſen. —
Berlin, den 19. Februar 179[4].
— Von Homer — o weh! denn es iſt ordentlich ein Schmerz, ſo ſchön kommt mir die Odyſſee vor! — Wie die Griechen von den Menſchen ſprechen — wie ſie immer alles Letzte zuſammenfaſſen und es ganz gemein ſagen, damit es ganz groß iſt und edel klingt — ſie faſſen immer alles, ſo wie es iſt, und betrachten und erzählen’s nur; den Menſchen thun die Götter alles; das Fatum iſt über die Götter; eine Macht erlegt die andere, und ſie erzählen wie ſie’s leiden, Haben Sie bemerkt, daß Homer, ſo oft er von Waſſer re- det, immer groß iſt, wie Goethe wenn er von den Sternen redet? Dem ſeine Sternreden ſind Ihnen gewiß nicht ſo ge- genwärtig, wie mir: in Iphigenie Oreſt, in den kleinen Ge- dichten „an Lida,“ und noch unendlich oft in ſeinen beſten und geringeren Sachen. —
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Leipzig, den 20. Mai 1794.
Dieſe Minute hab’ ich Ihren ſcharmanten Brief ausge- leſen; er iſt ſo ſcharmant, daß er die Angſt, die er mir machte,
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zu predigen, und ſie ihnen predigen kann, ohne ſie ihnen lieb
zu machen, und grade als Predigt ſie ihnen nützlich ohne
ſchön vorzuſtellen, alles durch Handlungen und Widerwillen
am rechten Ort gezeigt, das glaub’ ich doch; bis Sie oder
einer mir das Gegentheil beweiſen. —
Berlin, den 19. Februar 1794.
— Von Homer — o weh! denn es iſt ordentlich ein
Schmerz, ſo ſchön kommt mir die Odyſſee vor! — Wie die
Griechen von den Menſchen ſprechen — wie ſie immer alles
Letzte zuſammenfaſſen und es ganz gemein ſagen, damit es
ganz groß iſt und edel klingt — ſie faſſen immer alles, ſo
wie es iſt, und betrachten und erzählen’s nur; den Menſchen
thun die Götter alles; das Fatum iſt über die Götter; eine
Macht erlegt die andere, und ſie erzählen wie ſie’s leiden,
Haben Sie bemerkt, daß Homer, ſo oft er von Waſſer re-
det, immer groß iſt, wie Goethe wenn er von den Sternen
redet? Dem ſeine Sternreden ſind Ihnen gewiß nicht ſo ge-
genwärtig, wie mir: in Iphigenie Oreſt, in den kleinen Ge-
dichten „an Lida,“ und noch unendlich oft in ſeinen beſten
und geringeren Sachen. —
An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.
Leipzig, den 20. Mai 1794.
Dieſe Minute hab’ ich Ihren ſcharmanten Brief ausge-
leſen; er iſt ſo ſcharmant, daß er die Angſt, die er mir machte,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/84>, abgerufen am 20.11.2024.
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