Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

zen keinen Antheil nehmen, wo man wie von seiner Existenz
überzeugt ist, daß man nicht helfen kann, und also auch gar
keinen Trost finden kann, da bleibt einem doch nichts, als
Antheil, den man sich nicht erwehren kann, und der also nichts
verdient. Was sagen Sie zu meiner moralisch-philosophisch-
ennuyanten Abhandlung? Sie ist mir wirklich mir selbst so
rausgeplatzt, und soll gar für Sie nicht sein, schenken Sie sie
mir. Sie haben wohl gar keine Gesellschaft? -- und die
wäre Ihnen grad sehr gut, dabei könnten Sie gradesitzen,
und brauchten sich nicht tödtlich zu ennuyiren; beim Schrei-
ben und Lesen sitzen Sie krumm und echauffiren sich; oder
sind Sie lieber allein, wenn Sie krank sind? Ich bin so.
Wenn nicht ein förmliches "Es schickt sich" in der Welt her-
umliefe und den Ton angäbe, so wäre ich jetzt bei Ihnen und
früge Sie das, und ich würde gleich sehen, ob ich Sie ennu-
yöre, und da liefe ich weg. So ist's -- einer nach dem an-
dern purzelt auf die Welt; ändert nichts drin, wenigstens
nichts, was er gern will, und geht wieder ab. Ist die Be-
merkung traurig, trivial, oder alt, -- wahr ist sie, buchstäb-
lich wahr, und ihre Ewigkeit macht ihre Wahrheit aus, drum
ist sie traurig, alt und trivial. Adieu. Machen Sie sich nur
nicht zu schwach. Essen Sie wo möglich etwas.



An David Veit, in Göttingen.

-- Ich darf Ihnen doch etwas erzählen? -- denn mein
Brief wird wieder recht lang. Diesen Mittag bei Tische nahm

5 *

zen keinen Antheil nehmen, wo man wie von ſeiner Exiſtenz
überzeugt iſt, daß man nicht helfen kann, und alſo auch gar
keinen Troſt finden kann, da bleibt einem doch nichts, als
Antheil, den man ſich nicht erwehren kann, und der alſo nichts
verdient. Was ſagen Sie zu meiner moraliſch-philoſophiſch-
ennuyanten Abhandlung? Sie iſt mir wirklich mir ſelbſt ſo
rausgeplatzt, und ſoll gar für Sie nicht ſein, ſchenken Sie ſie
mir. Sie haben wohl gar keine Geſellſchaft? — und die
wäre Ihnen grad ſehr gut, dabei könnten Sie gradeſitzen,
und brauchten ſich nicht tödtlich zu ennuyiren; beim Schrei-
ben und Leſen ſitzen Sie krumm und echauffiren ſich; oder
ſind Sie lieber allein, wenn Sie krank ſind? Ich bin ſo.
Wenn nicht ein förmliches „Es ſchickt ſich“ in der Welt her-
umliefe und den Ton angäbe, ſo wäre ich jetzt bei Ihnen und
früge Sie das, und ich würde gleich ſehen, ob ich Sie ennu-
yöre, und da liefe ich weg. So iſt’s — einer nach dem an-
dern purzelt auf die Welt; ändert nichts drin, wenigſtens
nichts, was er gern will, und geht wieder ab. Iſt die Be-
merkung traurig, trivial, oder alt, — wahr iſt ſie, buchſtäb-
lich wahr, und ihre Ewigkeit macht ihre Wahrheit aus, drum
iſt ſie traurig, alt und trivial. Adieu. Machen Sie ſich nur
nicht zu ſchwach. Eſſen Sie wo möglich etwas.



An David Veit, in Göttingen.

— Ich darf Ihnen doch etwas erzählen? — denn mein
Brief wird wieder recht lang. Dieſen Mittag bei Tiſche nahm

5 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0081" n="67"/>
zen</hi> keinen Antheil nehmen, wo man wie von &#x017F;einer Exi&#x017F;tenz<lb/>
überzeugt i&#x017F;t, daß man nicht helfen kann, und al&#x017F;o auch gar<lb/>
keinen Tro&#x017F;t finden kann, da <hi rendition="#g">bleibt</hi> einem doch nichts, als<lb/>
Antheil, den man &#x017F;ich nicht erwehren kann, und der al&#x017F;o nichts<lb/>
verdient. Was &#x017F;agen Sie zu meiner morali&#x017F;ch-philo&#x017F;ophi&#x017F;ch-<lb/>
ennuyanten Abhandlung? Sie i&#x017F;t mir wirklich mir &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
rausgeplatzt, und &#x017F;oll gar für Sie nicht &#x017F;ein, &#x017F;chenken Sie &#x017F;ie<lb/>
mir. Sie haben wohl gar keine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft? &#x2014; und die<lb/>
wäre Ihnen grad &#x017F;ehr gut, dabei könnten Sie grade&#x017F;itzen,<lb/>
und brauchten &#x017F;ich nicht <hi rendition="#g">tödtlich</hi> zu ennuyiren; beim Schrei-<lb/>
ben und Le&#x017F;en &#x017F;itzen Sie krumm und echauffiren &#x017F;ich; oder<lb/>
&#x017F;ind Sie lieber allein, wenn Sie krank &#x017F;ind? Ich bin &#x017F;o.<lb/>
Wenn nicht ein förmliches &#x201E;Es &#x017F;chickt &#x017F;ich&#x201C; in der Welt her-<lb/>
umliefe und den Ton angäbe, &#x017F;o wäre ich jetzt bei Ihnen und<lb/>
früge Sie das, und ich würde gleich &#x017F;ehen, ob ich Sie ennu-<lb/>
yöre, und da liefe ich weg. So i&#x017F;t&#x2019;s &#x2014; einer nach dem an-<lb/>
dern purzelt auf die Welt; ändert nichts drin, wenig&#x017F;tens<lb/>
nichts, was er gern will, und geht wieder ab. I&#x017F;t die Be-<lb/>
merkung traurig, trivial, oder alt, &#x2014; wahr i&#x017F;t &#x017F;ie, buch&#x017F;täb-<lb/>
lich wahr, und ihre Ewigkeit macht ihre Wahrheit aus, drum<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie traurig, alt und trivial. Adieu. Machen Sie &#x017F;ich nur<lb/>
nicht zu &#x017F;chwach. E&#x017F;&#x017F;en Sie wo möglich etwas.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An David Veit, in Göttingen.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 18. Februar 1794.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Ich darf Ihnen doch etwas erzählen? &#x2014; denn mein<lb/>
Brief wird wieder recht lang. Die&#x017F;en Mittag bei Ti&#x017F;che nahm<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0081] zen keinen Antheil nehmen, wo man wie von ſeiner Exiſtenz überzeugt iſt, daß man nicht helfen kann, und alſo auch gar keinen Troſt finden kann, da bleibt einem doch nichts, als Antheil, den man ſich nicht erwehren kann, und der alſo nichts verdient. Was ſagen Sie zu meiner moraliſch-philoſophiſch- ennuyanten Abhandlung? Sie iſt mir wirklich mir ſelbſt ſo rausgeplatzt, und ſoll gar für Sie nicht ſein, ſchenken Sie ſie mir. Sie haben wohl gar keine Geſellſchaft? — und die wäre Ihnen grad ſehr gut, dabei könnten Sie gradeſitzen, und brauchten ſich nicht tödtlich zu ennuyiren; beim Schrei- ben und Leſen ſitzen Sie krumm und echauffiren ſich; oder ſind Sie lieber allein, wenn Sie krank ſind? Ich bin ſo. Wenn nicht ein förmliches „Es ſchickt ſich“ in der Welt her- umliefe und den Ton angäbe, ſo wäre ich jetzt bei Ihnen und früge Sie das, und ich würde gleich ſehen, ob ich Sie ennu- yöre, und da liefe ich weg. So iſt’s — einer nach dem an- dern purzelt auf die Welt; ändert nichts drin, wenigſtens nichts, was er gern will, und geht wieder ab. Iſt die Be- merkung traurig, trivial, oder alt, — wahr iſt ſie, buchſtäb- lich wahr, und ihre Ewigkeit macht ihre Wahrheit aus, drum iſt ſie traurig, alt und trivial. Adieu. Machen Sie ſich nur nicht zu ſchwach. Eſſen Sie wo möglich etwas. An David Veit, in Göttingen. Berlin, den 18. Februar 1794. — Ich darf Ihnen doch etwas erzählen? — denn mein Brief wird wieder recht lang. Dieſen Mittag bei Tiſche nahm 5 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/81
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/81>, abgerufen am 20.11.2024.