alle unsere Spekulationen ein in nichts zerfließendes Blend- werk waren, so bleiben uns dann die wirklichen, brauchbaren Kenntnisse, die uns Andern vor- oder nachstehen machen, und die schon an und für sich genug gewähren, um auch noch unser Vergnügen daraus zu machen. -- Ich bin der erste Ignorant der Welt! der dabei so viel auf Kenntniß hält, und nicht aus erschrockener Unwissenheit, wie die andern, nein, ich weiß was es auf sich hat. Nun kann mir nichts in der Welt mehr helfen, und ich muß mich so aufbrauchen, kann auch an wenig andern Menschen Trost finden, und wenn sie auch von Kenntnissen strotzten, denn was sind sie dabei dumm, weitläufig und pedantisch! Glauben Sie aber ja nicht, daß ich die einzige Zierde meiner Unwissenheit, die Sorglosigkeit darüber, diese einzige Liebenswürdigkeit, verloren habe. -- Apropos! wenn ich französisch schreibe, fällt mir schlechterdings kein deutsches Wort ein.
An Gustav von Brinckmann.
1794.
Man kann auch essen ohne Zähne, starke Bouillons, Weinsuppen, Kompots u. s. w. Wenn Sie nur ganz diesel- ben Tropfen haben, als der Eigensatz ihre sind, ich bilde mir ein, sie müssen Ihnen helfen. Halten Sie sich nur wirklich, beim Schreiben muß man sich so bücken, und das macht ärgere Zahnschmerzen, ich kenne das alles sehr gut. Ich weiß gar nicht, wie Sie das meinen, wenn Sie sich für den Antheil bedanken, den ich an Ihnen nehme, soll man an Schmer-
alle unſere Spekulationen ein in nichts zerfließendes Blend- werk waren, ſo bleiben uns dann die wirklichen, brauchbaren Kenntniſſe, die uns Andern vor- oder nachſtehen machen, und die ſchon an und für ſich genug gewähren, um auch noch unſer Vergnügen daraus zu machen. — Ich bin der erſte Ignorant der Welt! der dabei ſo viel auf Kenntniß hält, und nicht aus erſchrockener Unwiſſenheit, wie die andern, nein, ich weiß was es auf ſich hat. Nun kann mir nichts in der Welt mehr helfen, und ich muß mich ſo aufbrauchen, kann auch an wenig andern Menſchen Troſt finden, und wenn ſie auch von Kenntniſſen ſtrotzten, denn was ſind ſie dabei dumm, weitläufig und pedantiſch! Glauben Sie aber ja nicht, daß ich die einzige Zierde meiner Unwiſſenheit, die Sorgloſigkeit darüber, dieſe einzige Liebenswürdigkeit, verloren habe. — Apropos! wenn ich franzöſiſch ſchreibe, fällt mir ſchlechterdings kein deutſches Wort ein.
An Guſtav von Brinckmann.
1794.
Man kann auch eſſen ohne Zähne, ſtarke Bouillons, Weinſuppen, Kompots u. ſ. w. Wenn Sie nur ganz dieſel- ben Tropfen haben, als der Eigenſatz ihre ſind, ich bilde mir ein, ſie müſſen Ihnen helfen. Halten Sie ſich nur wirklich, beim Schreiben muß man ſich ſo bücken, und das macht ärgere Zahnſchmerzen, ich kenne das alles ſehr gut. Ich weiß gar nicht, wie Sie das meinen, wenn Sie ſich für den Antheil bedanken, den ich an Ihnen nehme, ſoll man an Schmer-
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alle unſere Spekulationen ein in nichts zerfließendes Blend-
werk waren, ſo bleiben uns dann die wirklichen, brauchbaren
Kenntniſſe, die uns Andern vor- oder nachſtehen machen,
und die ſchon an und für ſich genug gewähren, um auch noch
unſer Vergnügen daraus zu machen. — Ich bin der erſte
Ignorant der Welt! der dabei ſo viel auf Kenntniß hält,
und nicht aus erſchrockener Unwiſſenheit, wie die andern, nein,
ich weiß was es auf ſich hat. Nun kann mir nichts in der
Welt mehr helfen, und ich muß mich ſo aufbrauchen, kann
auch an wenig andern Menſchen Troſt finden, und wenn ſie
auch von Kenntniſſen ſtrotzten, denn was ſind ſie dabei dumm,
weitläufig und pedantiſch! Glauben Sie aber ja nicht, daß
ich die einzige Zierde meiner Unwiſſenheit, die Sorgloſigkeit
darüber, dieſe einzige Liebenswürdigkeit, verloren habe. —
Apropos! wenn ich franzöſiſch ſchreibe, fällt mir ſchlechterdings
kein deutſches Wort ein.
An Guſtav von Brinckmann.
1794.
Man kann auch eſſen ohne Zähne, ſtarke Bouillons,
Weinſuppen, Kompots u. ſ. w. Wenn Sie nur ganz dieſel-
ben Tropfen haben, als der Eigenſatz ihre ſind, ich bilde mir
ein, ſie müſſen Ihnen helfen. Halten Sie ſich nur wirklich,
beim Schreiben muß man ſich ſo bücken, und das macht ärgere
Zahnſchmerzen, ich kenne das alles ſehr gut. Ich weiß gar
nicht, wie Sie das meinen, wenn Sie ſich für den Antheil
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/80>, abgerufen am 20.11.2024.
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