ihm ganz nahe, die scharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei- sen; aus dem grünen, frischen, lebendigen Thal hat Sie der Schicksals- sturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich ist, der Mensch ferne, aber Gott nahe. --
-- Reinhardts inneres Wesen besteht in einer Unpersönlichkeit, in einer reinen unschuldigen Offenheit, welche um so liebenswürdiger ist, da sie gar nicht auf einer schwachen Negativität, sondern auf einem eben so fest bestimmten, wie sanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte, daß er sie verstehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging, viele Ihrer Briefe vorgelesen. Sie begeisterten ihn durchaus, und er faßte sie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür- lich gleich, ob er Sie gesehn und wie? Er lobte Sie sehr, auf Tiefen sei das Gespräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menschen gesehn, der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt ergriffe. --
Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unsre Versassung sich beziehende Dinge habe ich gelesen. Auf Sanssouci war ich lange nicht, es ist jotzt dort stürmisch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüsche es lebendiger machen, und die Marmorhalle vor dem Hause mir ernste, vornehme, rührende und schwer- müthige Gedanken erweckt.
An Fonque, in Nennhausen.
Freitag, 2 Uhr Mittag den 29. November 1811.
Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin- derte mich Schriftzüge zu machen, was seit einer großen Ner- venkrankheit mir immer schwer wird, und auch immer das Erste wird, was ich unterlassen muß; diese Schwierigkeit geht dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; sonst hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog, erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be- kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieser Antwort will
ihm ganz nahe, die ſcharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei- ſen; aus dem grünen, friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſals- ſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch ferne, aber Gott nahe. —
— Reinhardts inneres Weſen beſteht in einer Unperſönlichkeit, in einer reinen unſchuldigen Offenheit, welche um ſo liebenswürdiger iſt, da ſie gar nicht auf einer ſchwachen Negativität, ſondern auf einem eben ſo feſt beſtimmten, wie ſanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte, daß er ſie verſtehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging, viele Ihrer Briefe vorgeleſen. Sie begeiſterten ihn durchaus, und er faßte ſie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür- lich gleich, ob er Sie geſehn und wie? Er lobte Sie ſehr, auf Tiefen ſei das Geſpräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menſchen geſehn, der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt ergriffe. —
Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unſre Verſaſſung ſich beziehende Dinge habe ich geleſen. Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jotzt dort ſtürmiſch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen, und die Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, vornehme, rührende und ſchwer- müthige Gedanken erweckt.
An Fonqué, in Nennhauſen.
Freitag, 2 Uhr Mittag den 29. November 1811.
Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin- derte mich Schriftzüge zu machen, was ſeit einer großen Ner- venkrankheit mir immer ſchwer wird, und auch immer das Erſte wird, was ich unterlaſſen muß; dieſe Schwierigkeit geht dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; ſonſt hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog, erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be- kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieſer Antwort will
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[552/0566]
ihm ganz nahe, die ſcharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei-
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ſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch
ferne, aber Gott nahe. —
— Reinhardts inneres Weſen beſteht in einer Unperſönlichkeit, in
einer reinen unſchuldigen Offenheit, welche um ſo liebenswürdiger iſt, da
ſie gar nicht auf einer ſchwachen Negativität, ſondern auf einem eben ſo
feſt beſtimmten, wie ſanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte,
daß er ſie verſtehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging,
viele Ihrer Briefe vorgeleſen. Sie begeiſterten ihn durchaus, und er faßte
ſie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür-
lich gleich, ob er Sie geſehn und wie? Er lobte Sie ſehr, auf Tiefen ſei
das Geſpräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menſchen geſehn,
der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt
ergriffe. —
Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unſre Verſaſſung ſich beziehende
Dinge habe ich geleſen. Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jotzt
dort ſtürmiſch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende
See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen, und die
Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, vornehme, rührende und ſchwer-
müthige Gedanken erweckt.
An Fonqué, in Nennhauſen.
Freitag, 2 Uhr Mittag den 29. November 1811.
Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin-
derte mich Schriftzüge zu machen, was ſeit einer großen Ner-
venkrankheit mir immer ſchwer wird, und auch immer das
Erſte wird, was ich unterlaſſen muß; dieſe Schwierigkeit geht
dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; ſonſt
hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/566>, abgerufen am 20.11.2024.
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