regt er in schöpferischen Momenten des Lesers vieles an. Halbgesehn hat er vieles. Die Wanderjahre las ich vor vierzehn Tagen, und hätte Ihnen damals viel darüber sagen mögen. --
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Dienstag Morgen 9 Uhr, den 28. Juni 1811. Bei der anhaltendsten Hitze, ohne Regen.
Ich habe Ihren Brief vor mir, und will darauf antwor- ten, als ob Sie mit mir sprächen. So sollten Sie es auch machen! -- dann ist und bleibt eine Korrespondenz lebendig -- und ist nicht so viel Tod im Leben, ist es selbst nicht eigent- lich das Ringen mit ihm, daß man es verbreiten, vermehren soll, wo nur möglich? -- --
Als ich gestern nun beim Zuhausekommen Ihren dicken Brief fand, getraut' ich mir vor Lust beinah nicht ihn zu er- brechen, ich las ihn doch hastig, aber er freute mich nicht. Im Gegentheil, das Herz sank mir; und so ist es noch. Warum soll ich es nicht sagen? Nein, Lieber! So trübe können Sie nicht bleiben. In Friedersdorf nicht. Ich sage es Ihnen noch Einmal, wüßt' ich Sie gut, ich ging es ein, auf immer einen andern Planeten, als den zu bewohnen, wo Sie sind, und Sie einen andern, als wo ich bin. Ich kann Ihr Leben nicht in der Luft erhalten: das ist ausgemacht; dazu gehört Ein- mal ein anderer Wurf, ein anderes Ereigniß. Aber so dürfen Sie nicht vereinsamen, auch ein halbes Jahr nicht, auch kei- nen Sommer durch. In Friedersdorf ist keine Gesellschaft für Sie; und die müssen Sie haben; lebendigen, alles anregenden Umgang. Könnten Sie irgend ein strenges Studium vollsüh-
regt er in ſchöpferiſchen Momenten des Leſers vieles an. Halbgeſehn hat er vieles. Die Wanderjahre las ich vor vierzehn Tagen, und hätte Ihnen damals viel darüber ſagen mögen. —
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Dienstag Morgen 9 Uhr, den 28. Juni 1811. Bei der anhaltendſten Hitze, ohne Regen.
Ich habe Ihren Brief vor mir, und will darauf antwor- ten, als ob Sie mit mir ſprächen. So ſollten Sie es auch machen! — dann iſt und bleibt eine Korreſpondenz lebendig — und iſt nicht ſo viel Tod im Leben, iſt es ſelbſt nicht eigent- lich das Ringen mit ihm, daß man es verbreiten, vermehren ſoll, wo nur möglich? — —
Als ich geſtern nun beim Zuhauſekommen Ihren dicken Brief fand, getraut’ ich mir vor Luſt beinah nicht ihn zu er- brechen, ich las ihn doch haſtig, aber er freute mich nicht. Im Gegentheil, das Herz ſank mir; und ſo iſt es noch. Warum ſoll ich es nicht ſagen? Nein, Lieber! So trübe können Sie nicht bleiben. In Friedersdorf nicht. Ich ſage es Ihnen noch Einmal, wüßt’ ich Sie gut, ich ging es ein, auf immer einen andern Planeten, als den zu bewohnen, wo Sie ſind, und Sie einen andern, als wo ich bin. Ich kann Ihr Leben nicht in der Luft erhalten: das iſt ausgemacht; dazu gehört Ein- mal ein anderer Wurf, ein anderes Ereigniß. Aber ſo dürfen Sie nicht vereinſamen, auch ein halbes Jahr nicht, auch kei- nen Sommer durch. In Friedersdorf iſt keine Geſellſchaft für Sie; und die müſſen Sie haben; lebendigen, alles anregenden Umgang. Könnten Sie irgend ein ſtrenges Studium vollſüh-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="3"><p><pbfacs="#f0534"n="520"/>
regt er in ſchöpferiſchen Momenten des Leſers vieles an. Halbgeſehn<lb/>
hat er vieles. Die Wanderjahre las ich vor vierzehn Tagen, und hätte<lb/>
Ihnen damals viel darüber ſagen mögen. —</p></div></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Dienstag Morgen 9 Uhr, den 28. Juni 1811.<lb/>
Bei der anhaltendſten Hitze, ohne Regen.</hi></dateline><lb/><p>Ich habe Ihren Brief vor mir, und will darauf antwor-<lb/>
ten, als ob Sie mit mir ſprächen. So ſollten Sie es auch<lb/>
machen! — dann iſt und bleibt eine Korreſpondenz lebendig —<lb/>
und iſt nicht ſo viel Tod im Leben, iſt es ſelbſt nicht eigent-<lb/>
lich das Ringen mit ihm, daß man es verbreiten, vermehren<lb/>ſoll, wo nur möglich? ——</p><lb/><p>Als ich geſtern nun beim Zuhauſekommen Ihren dicken<lb/>
Brief fand, getraut’ ich mir vor Luſt beinah nicht ihn zu er-<lb/>
brechen, ich las ihn doch haſtig, aber er freute mich nicht. Im<lb/>
Gegentheil, das Herz ſank mir; und ſo iſt es noch. Warum<lb/>ſoll ich es nicht ſagen? Nein, Lieber! So trübe können Sie<lb/>
nicht bleiben. In Friedersdorf nicht. Ich ſage es Ihnen noch<lb/>
Einmal, wüßt’ ich Sie gut, ich ging es ein, auf immer einen<lb/>
andern Planeten, als den zu bewohnen, wo Sie ſind, und<lb/>
Sie einen andern, als wo ich bin. Ich kann Ihr Leben nicht<lb/>
in der Luft erhalten: das iſt ausgemacht; dazu gehört Ein-<lb/>
mal ein anderer Wurf, ein anderes Ereigniß. Aber ſo dürfen<lb/>
Sie nicht vereinſamen, auch ein halbes Jahr nicht, auch kei-<lb/>
nen Sommer durch. In Friedersdorf iſt keine Geſellſchaft für<lb/>
Sie; und die müſſen Sie haben; lebendigen, alles anregenden<lb/>
Umgang. Könnten Sie irgend ein ſtrenges Studium vollſüh-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[520/0534]
regt er in ſchöpferiſchen Momenten des Leſers vieles an. Halbgeſehn
hat er vieles. Die Wanderjahre las ich vor vierzehn Tagen, und hätte
Ihnen damals viel darüber ſagen mögen. —
An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.
Dienstag Morgen 9 Uhr, den 28. Juni 1811.
Bei der anhaltendſten Hitze, ohne Regen.
Ich habe Ihren Brief vor mir, und will darauf antwor-
ten, als ob Sie mit mir ſprächen. So ſollten Sie es auch
machen! — dann iſt und bleibt eine Korreſpondenz lebendig —
und iſt nicht ſo viel Tod im Leben, iſt es ſelbſt nicht eigent-
lich das Ringen mit ihm, daß man es verbreiten, vermehren
ſoll, wo nur möglich? — —
Als ich geſtern nun beim Zuhauſekommen Ihren dicken
Brief fand, getraut’ ich mir vor Luſt beinah nicht ihn zu er-
brechen, ich las ihn doch haſtig, aber er freute mich nicht. Im
Gegentheil, das Herz ſank mir; und ſo iſt es noch. Warum
ſoll ich es nicht ſagen? Nein, Lieber! So trübe können Sie
nicht bleiben. In Friedersdorf nicht. Ich ſage es Ihnen noch
Einmal, wüßt’ ich Sie gut, ich ging es ein, auf immer einen
andern Planeten, als den zu bewohnen, wo Sie ſind, und
Sie einen andern, als wo ich bin. Ich kann Ihr Leben nicht
in der Luft erhalten: das iſt ausgemacht; dazu gehört Ein-
mal ein anderer Wurf, ein anderes Ereigniß. Aber ſo dürfen
Sie nicht vereinſamen, auch ein halbes Jahr nicht, auch kei-
nen Sommer durch. In Friedersdorf iſt keine Geſellſchaft für
Sie; und die müſſen Sie haben; lebendigen, alles anregenden
Umgang. Könnten Sie irgend ein ſtrenges Studium vollſüh-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/534>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.