Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

augenblicklichen, doch zu ernst und oft ermüdeten Unmuths!
Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben soll. Und
alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres-
den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchstens drei
Tage, dann über den Geiersberg.

Rahel.

Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:


O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieses Blatt Sie so lange
hat warten lassen. Das einliegende war vor acht Tagen geschrieben, und
sollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie
sinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen gesandt, und auf die große
lebenentscheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage selbst
war nicht mehr Zeit dazu, an den sorgenden fühlte ich mich zu unwürdig.
Wie Gentz muß ich sagen: was soll ich mein armes Wort gegen die don-
nernde Musik Ihres Innern austauschen? So blieb ich stumm, bei vie-
len innern Vorwürfen. Mit mir wird es besser. Zwar will mir das
Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und
Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O seien Sie ja
glücklich, machen Sie sich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen
kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Last leben, oder auf eine un-
auständige, gemeingrausame Art endigen, das kann ich nicht, und das
ist doch noch sehr glücklich. Ich habe in dieser Zeit zuweilen an den
Selbstmord gedacht, und immer ist es mir vorgekommen, wie eine ver-
ruchte Rohheit, das heilige Gefaß so blutig, so überlegt zu zerstören.
Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle
ich wohl. Wunderlicher Zustand. Indem ich dies schreibe, wird es mir
klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, so wie
es bloß ein Glück dieser Zeiten ist, daß andre äußerlich anständigere Wege
offen stehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grausamen. -- Die
Bader thun mir sehr wohl. Sie erinnern sich der Mauer zwischen mir
und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof-
jäger ängstete. Die ist zerstört, meine Nerven sind rein und empfänglich
gestimmt, und die Kämpfe gegen die "Herzens-morgue" werden seltner.
Ich verstehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue
mich an ihnen; nur der strengen Wissenschaft bin ich noch nicht gewach-
sen. Adam Müller ist mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor-
nehmen; er selbst weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Gesell, doch

augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths!
Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und
alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres-
den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchſtens drei
Tage, dann über den Geiersberg.

Rahel.

Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:


O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange
hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und
ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie
ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große
lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt
war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig.
Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don-
nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie-
len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das
Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und
Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja
glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen
kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un-
auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das kann ich nicht, und das
iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den
Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver-
ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören.
Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle
ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir
klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie
es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege
offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. — Die
Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir
und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof-
jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich
geſtimmt, und die Kämpfe gegen die „Herzens-morgue“ werden ſeltner.
Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue
mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach-
ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor-
nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0533" n="519"/>
augenblicklichen, doch zu ern&#x017F;t und oft ermüdeten Unmuths!<lb/>
Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben &#x017F;oll. Und<lb/><hi rendition="#g">alles</hi> was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres-<lb/>
den, bin den dritten Tag dort, und bleibe <hi rendition="#g">höch&#x017F;tens</hi> drei<lb/>
Tage, dann über den Geiersberg.</p>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">Rahel.</hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g">Anmerk</hi>. Marwitz antwortete noch hierauf:</p><lb/>
            <div n="3">
              <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag, den 9. Juni 1811.</hi> </dateline><lb/>
              <p>O Verzeihung, meine theure Freundin, daß die&#x017F;es Blatt Sie &#x017F;o lange<lb/>
hat warten la&#x017F;&#x017F;en. Das einliegende war vor acht Tagen ge&#x017F;chrieben, und<lb/>
&#x017F;ollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie<lb/>
&#x017F;innlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen ge&#x017F;andt, und auf die große<lb/>
lebenent&#x017F;cheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
war nicht mehr Zeit dazu, an den &#x017F;orgenden fühlte ich mich zu unwürdig.<lb/>
Wie Gentz muß ich &#x017F;agen: was &#x017F;oll ich mein armes Wort gegen die don-<lb/>
nernde Mu&#x017F;ik Ihres Innern austau&#x017F;chen? So blieb ich &#x017F;tumm, bei vie-<lb/>
len innern Vorwürfen. Mit mir wird es be&#x017F;&#x017F;er. Zwar will mir das<lb/>
Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und<lb/>
Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O &#x017F;eien Sie ja<lb/>
glücklich, machen Sie &#x017F;ich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen<lb/><hi rendition="#g">kann</hi> ich, aber mir zum Ekel, Andern zur La&#x017F;t leben, oder auf eine un-<lb/>
au&#x017F;tändige, gemeingrau&#x017F;ame Art endigen, das <hi rendition="#g">kann</hi> ich nicht, und das<lb/>
i&#x017F;t doch noch &#x017F;ehr glücklich. Ich habe in die&#x017F;er Zeit zuweilen an den<lb/>
Selb&#x017F;tmord gedacht, und immer i&#x017F;t es mir vorgekommen, wie eine ver-<lb/>
ruchte Rohheit, das heilige Gefaß &#x017F;o blutig, &#x017F;o überlegt zu zer&#x017F;tören.<lb/>
Auch <hi rendition="#g">die</hi> kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle<lb/>
ich wohl. Wunderlicher Zu&#x017F;tand. Indem ich dies &#x017F;chreibe, wird es mir<lb/>
klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, &#x017F;o wie<lb/>
es bloß ein Glück die&#x017F;er Zeiten i&#x017F;t, daß andre äußerlich an&#x017F;tändigere Wege<lb/>
offen &#x017F;tehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grau&#x017F;amen. &#x2014; Die<lb/>
Bader thun mir &#x017F;ehr wohl. Sie erinnern &#x017F;ich der Mauer zwi&#x017F;chen mir<lb/>
und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof-<lb/>
jäger äng&#x017F;tete. Die i&#x017F;t zer&#x017F;tört, meine Nerven &#x017F;ind rein und empfänglich<lb/>
ge&#x017F;timmt, und die Kämpfe gegen die &#x201E;Herzens-<hi rendition="#aq">morgue</hi>&#x201C; werden &#x017F;eltner.<lb/>
Ich ver&#x017F;tehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue<lb/>
mich an ihnen; nur der &#x017F;trengen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft bin ich noch nicht gewach-<lb/>
&#x017F;en. Adam Müller i&#x017F;t mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor-<lb/>
nehmen; er &#x017F;elb&#x017F;t weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Ge&#x017F;ell, doch<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[519/0533] augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths! Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres- den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchſtens drei Tage, dann über den Geiersberg. Rahel. Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf: Sonntag, den 9. Juni 1811. O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig. Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don- nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie- len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un- auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das kann ich nicht, und das iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver- ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören. Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. — Die Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof- jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich geſtimmt, und die Kämpfe gegen die „Herzens-morgue“ werden ſeltner. Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach- ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor- nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/533
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/533>, abgerufen am 20.11.2024.