würde verwunden, und nicht ändern. Ihr Brief aber war so naiv, daß er mir Hoffnung machte, Eingang bei Ihnen zu finden: und, mir selbst unverhofft, ist gleich dieser da! Ich habe Ihnen noch nie so über Sie gesprochen: aber wenn Sie jede Zeile durchgehn, die ich Ihnen je schrieb, so wird dieser Brief immer als Text zum Grunde liegen. Ihn trug ich immer in der Seele; nur schmeichelte ich zuweilen, wo ich nicht verletzen wollte, und oft kam ich der Wunde doch hart und nah an! Dies ist mein Unrecht; und Ihnen nicht be- kannt, in seiner Erscheinung oft so gefällig, und dann wieder so unleidlich! Es soll wo möglich alles anders werden: näm- lich besser, wahrer, unter uns. --
An Frau von F., in Dresden.
Berlin, Mittwoch, den 18. September 1810.
Ich fürchte, Liebe, mein Brief, den ich den letzten Sonn- abend abschickte, wird wieder Ihren Zorn erregen, und darum schreib' ich diesen, obgleich ich nicht weiß, wie ich ihn abfassen soll. Ich sagte schon dein Prinzen Louis: "Was soll ich Ih- nen sagen, oder vielmehr ich habe Ihnen gar nichts zu sagen, wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit sagen soll!" Und so wahr ich lebe! es geht mir mit Ihnen auch so. Sie scheinen mir übel genommen zu haben, daß ich von "verwirren" sprach. Sie thun das jedesmal, wenn ich dazu stimme, worüber Sie sich Jahre lang bitter anklagen. Ich will es nicht mehr thun: überhaupt alles beitragen, daß Ihnen Berlin nicht ein solcher Gräuel sei. Auch ich habe nichts was mich freut, worauf ich
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würde verwunden, und nicht ändern. Ihr Brief aber war ſo naiv, daß er mir Hoffnung machte, Eingang bei Ihnen zu finden: und, mir ſelbſt unverhofft, iſt gleich dieſer da! Ich habe Ihnen noch nie ſo über Sie geſprochen: aber wenn Sie jede Zeile durchgehn, die ich Ihnen je ſchrieb, ſo wird dieſer Brief immer als Text zum Grunde liegen. Ihn trug ich immer in der Seele; nur ſchmeichelte ich zuweilen, wo ich nicht verletzen wollte, und oft kam ich der Wunde doch hart und nah an! Dies iſt mein Unrecht; und Ihnen nicht be- kannt, in ſeiner Erſcheinung oft ſo gefällig, und dann wieder ſo unleidlich! Es ſoll wo möglich alles anders werden: näm- lich beſſer, wahrer, unter uns. —
An Frau von F., in Dresden.
Berlin, Mittwoch, den 18. September 1810.
Ich fürchte, Liebe, mein Brief, den ich den letzten Sonn- abend abſchickte, wird wieder Ihren Zorn erregen, und darum ſchreib’ ich dieſen, obgleich ich nicht weiß, wie ich ihn abfaſſen ſoll. Ich ſagte ſchon dein Prinzen Louis: „Was ſoll ich Ih- nen ſagen, oder vielmehr ich habe Ihnen gar nichts zu ſagen, wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit ſagen ſoll!“ Und ſo wahr ich lebe! es geht mir mit Ihnen auch ſo. Sie ſcheinen mir übel genommen zu haben, daß ich von „verwirren“ ſprach. Sie thun das jedesmal, wenn ich dazu ſtimme, worüber Sie ſich Jahre lang bitter anklagen. Ich will es nicht mehr thun: überhaupt alles beitragen, daß Ihnen Berlin nicht ein ſolcher Gräuel ſei. Auch ich habe nichts was mich freut, worauf ich
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würde verwunden, und nicht ändern. Ihr Brief aber war ſo
naiv, daß er mir Hoffnung machte, Eingang bei Ihnen zu
finden: und, mir ſelbſt unverhofft, iſt gleich dieſer da! Ich
habe Ihnen noch nie ſo über Sie geſprochen: aber wenn Sie
jede Zeile durchgehn, die ich Ihnen je ſchrieb, ſo wird dieſer
Brief immer als Text zum Grunde liegen. Ihn trug ich
immer in der Seele; nur ſchmeichelte ich zuweilen, wo ich
nicht verletzen wollte, und oft kam ich der Wunde doch hart
und nah an! Dies iſt mein Unrecht; und Ihnen nicht be-
kannt, in ſeiner Erſcheinung oft ſo gefällig, und dann wieder
ſo unleidlich! Es ſoll wo möglich alles anders werden: näm-
lich beſſer, wahrer, unter uns. —
An Frau von F., in Dresden.
Berlin, Mittwoch, den 18. September 1810.
Ich fürchte, Liebe, mein Brief, den ich den letzten Sonn-
abend abſchickte, wird wieder Ihren Zorn erregen, und darum
ſchreib’ ich dieſen, obgleich ich nicht weiß, wie ich ihn abfaſſen
ſoll. Ich ſagte ſchon dein Prinzen Louis: „Was ſoll ich Ih-
nen ſagen, oder vielmehr ich habe Ihnen gar nichts zu ſagen,
wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit ſagen ſoll!“ Und ſo wahr
ich lebe! es geht mir mit Ihnen auch ſo. Sie ſcheinen mir
übel genommen zu haben, daß ich von „verwirren“ ſprach.
Sie thun das jedesmal, wenn ich dazu ſtimme, worüber Sie
ſich Jahre lang bitter anklagen. Ich will es nicht mehr thun:
überhaupt alles beitragen, daß Ihnen Berlin nicht ein ſolcher
Gräuel ſei. Auch ich habe nichts was mich freut, worauf ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/497>, abgerufen am 20.11.2024.
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