wie mir sein muß, immer zu sehen, und zu denken, daß mir nur Gnade vor Recht ergeht. Soll ich das als Löwe oder als Hündchen ertragen? Aber Sie haben doch Recht: von beiden ist in meiner Natur; ein Blick des Menschen zähmt das vergeßliche Hündchen: und so werd' ich morgen an Ihrer Thüre bellen: schlafen Sie wohl, und machen Sie's Einmal mit mir ab! --
An Moritz Robert, in Hamburg.
Donnerstag Mittag, den 19. Juli 1810.
Shakspeare läßt Einen, ich weiß nicht in welcher Tra- gödie, der nach einem Kranken gefragt wird, antworten: "Tod und Leben zanken sich um ihn." Sie zerrten an mir. Leben riß mich aus Todesgluth, zerbrochen, verwundet heraus. Kaum noch, Bruder, halt' ich die Feder. Fünf Wochen hatte ich den Keuchhusten und Brustkrampf: ohne Luft. Alle Tage ein an- der Mittel. Kurz alle, außer Aderlaß. Endlich bekam ich mit ewigem Erbrechen ein kaltes Fieber. Viermal erkannt' ich's nur. Noch sechsmal ließ mich's Böhm als Krisis haben. Zwanzig Stunden jedesmal. Alles Geld zu wenig. Dir, mein Freund, dank' ich, daß ich's hatte; dir, daß die Sorge mich nicht umbrachte. Nach dir schrie ich in der höchsten Noth. In Agonieen; und glaubte dich weit, in Frankreich. Zu sterben glaubt' ich gewiß. Ich habe viel gebetet und ge- weint. Mein Herz war entzwei; da den Hauptkrampf, da Senfpflaster u. s. w. Nun muß ich mich sechs Wochen vor Luft sequestriren; in Angst leben, daß das Fieber kommt; in
wie mir ſein muß, immer zu ſehen, und zu denken, daß mir nur Gnade vor Recht ergeht. Soll ich das als Löwe oder als Hündchen ertragen? Aber Sie haben doch Recht: von beiden iſt in meiner Natur; ein Blick des Menſchen zähmt das vergeßliche Hündchen: und ſo werd’ ich morgen an Ihrer Thüre bellen: ſchlafen Sie wohl, und machen Sie’s Einmal mit mir ab! —
An Moritz Robert, in Hamburg.
Donnerstag Mittag, den 19. Juli 1810.
Shakſpeare läßt Einen, ich weiß nicht in welcher Tra- gödie, der nach einem Kranken gefragt wird, antworten: „Tod und Leben zanken ſich um ihn.“ Sie zerrten an mir. Leben riß mich aus Todesgluth, zerbrochen, verwundet heraus. Kaum noch, Bruder, halt’ ich die Feder. Fünf Wochen hatte ich den Keuchhuſten und Bruſtkrampf: ohne Luft. Alle Tage ein an- der Mittel. Kurz alle, außer Aderlaß. Endlich bekam ich mit ewigem Erbrechen ein kaltes Fieber. Viermal erkannt’ ich’s nur. Noch ſechsmal ließ mich’s Böhm als Kriſis haben. Zwanzig Stunden jedesmal. Alles Geld zu wenig. Dir, mein Freund, dank’ ich, daß ich’s hatte; dir, daß die Sorge mich nicht umbrachte. Nach dir ſchrie ich in der höchſten Noth. In Agonieen; und glaubte dich weit, in Frankreich. Zu ſterben glaubt’ ich gewiß. Ich habe viel gebetet und ge- weint. Mein Herz war entzwei; da den Hauptkrampf, da Senfpflaſter u. ſ. w. Nun muß ich mich ſechs Wochen vor Luft ſequeſtriren; in Angſt leben, daß das Fieber kommt; in
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nur Gnade vor Recht ergeht. Soll ich das als Löwe oder
als Hündchen ertragen? Aber Sie haben doch Recht: von
beiden iſt in meiner Natur; ein Blick des Menſchen zähmt
das vergeßliche Hündchen: und ſo werd’ ich morgen an Ihrer
Thüre bellen: ſchlafen Sie wohl, und machen Sie’s Einmal
mit mir ab! —
An Moritz Robert, in Hamburg.
Donnerstag Mittag, den 19. Juli 1810.
Shakſpeare läßt Einen, ich weiß nicht in welcher Tra-
gödie, der nach einem Kranken gefragt wird, antworten: „Tod
und Leben zanken ſich um ihn.“ Sie zerrten an mir. Leben
riß mich aus Todesgluth, zerbrochen, verwundet heraus. Kaum
noch, Bruder, halt’ ich die Feder. Fünf Wochen hatte ich den
Keuchhuſten und Bruſtkrampf: ohne Luft. Alle Tage ein an-
der Mittel. Kurz alle, außer Aderlaß. Endlich bekam ich
mit ewigem Erbrechen ein kaltes Fieber. Viermal erkannt’
ich’s nur. Noch ſechsmal ließ mich’s Böhm als Kriſis haben.
Zwanzig Stunden jedesmal. Alles Geld zu wenig. Dir,
mein Freund, dank’ ich, daß ich’s hatte; dir, daß die Sorge
mich nicht umbrachte. Nach dir ſchrie ich in der höchſten
Noth. In Agonieen; und glaubte dich weit, in Frankreich.
Zu ſterben glaubt’ ich gewiß. Ich habe viel gebetet und ge-
weint. Mein Herz war entzwei; da den Hauptkrampf, da
Senfpflaſter u. ſ. w. Nun muß ich mich ſechs Wochen vor
Luft ſequeſtriren; in Angſt leben, daß das Fieber kommt; in
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/488>, abgerufen am 21.12.2024.
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