-- In meiner Unseligkeit hab' ich dir vergessen gestern zu sagen, daß vorgestern Frau von Fouque bei mir war. De but en blanc; schon sehr liebenswürdig: sie brachte mir ihren Sohn mit. Und ich fand sie ganz vortrefflich. Sie ließ sich von Hanne zu mir führen, die sie von Nennhausen kennt, und fand Marwitz bei mir. Wir frühstückten. Wie sie nur in's Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Gesell- schaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es ist eine femme consommee; und ich habe an die dreißig Gutmüthig- keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten. Marwitz kannte sie: wie schön behandelte sie ihn, und Hanne; wie allerliebst, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes Benehmen; lieb möchte ich sagen. Kein Gedanke von dem Stolze, den man ihr anschielt, nämlich nacherzählt. Jedoch sagt Hanne, sie sei hier nicht dieselbe gewesen. Marwitz fand sie auch sehr gut. Heute ist sie zu Hause gereist: ich werde Fouque'n schreiben und ihm gratuliren. Schön werden die Augen, wenn sie sie in die Höhe schlägt, das thut sie im Eifer oft. Daß sie kam, ist schon unbefangen: Fouque z. B. nannte sie mir in Briefen nie. Mir geht's sonderbar; sonst werden die Autoren besucht; ich bin ein elender Leser, und die Schreibenden suchen mich auf. -- Wahrhaftig, ich glaube, ich verstehe die Kunst zu schweigen; mit der Feder, wie manche geschickt mit dem Maule! --
An Varnhagen, in Prag.
Montag, den 19. März 1810.
— In meiner Unſeligkeit hab’ ich dir vergeſſen geſtern zu ſagen, daß vorgeſtern Frau von Fouqué bei mir war. De but en blanc; ſchon ſehr liebenswürdig: ſie brachte mir ihren Sohn mit. Und ich fand ſie ganz vortrefflich. Sie ließ ſich von Hanne zu mir führen, die ſie von Nennhauſen kennt, und fand Marwitz bei mir. Wir frühſtückten. Wie ſie nur in’s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Geſell- ſchaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es iſt eine femme consommée; und ich habe an die dreißig Gutmüthig- keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten. Marwitz kannte ſie: wie ſchön behandelte ſie ihn, und Hanne; wie allerliebſt, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes Benehmen; lieb möchte ich ſagen. Kein Gedanke von dem Stolze, den man ihr anſchielt, nämlich nacherzählt. Jedoch ſagt Hanne, ſie ſei hier nicht dieſelbe geweſen. Marwitz fand ſie auch ſehr gut. Heute iſt ſie zu Hauſe gereiſt: ich werde Fouqué’n ſchreiben und ihm gratuliren. Schön werden die Augen, wenn ſie ſie in die Höhe ſchlägt, das thut ſie im Eifer oft. Daß ſie kam, iſt ſchon unbefangen: Fouqué z. B. nannte ſie mir in Briefen nie. Mir geht’s ſonderbar; ſonſt werden die Autoren beſucht; ich bin ein elender Leſer, und die Schreibenden ſuchen mich auf. — Wahrhaftig, ich glaube, ich verſtehe die Kunſt zu ſchweigen; mit der Feder, wie manche geſchickt mit dem Maule! —
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An Varnhagen, in Prag.
Montag, den 19. März 1810.
— In meiner Unſeligkeit hab’ ich dir vergeſſen geſtern
zu ſagen, daß vorgeſtern Frau von Fouqué bei mir war. De
but en blanc; ſchon ſehr liebenswürdig: ſie brachte mir ihren
Sohn mit. Und ich fand ſie ganz vortrefflich. Sie ließ ſich
von Hanne zu mir führen, die ſie von Nennhauſen kennt,
und fand Marwitz bei mir. Wir frühſtückten. Wie ſie nur
in’s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Geſell-
ſchaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es iſt eine
femme consommée; und ich habe an die dreißig Gutmüthig-
keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten.
Marwitz kannte ſie: wie ſchön behandelte ſie ihn, und Hanne;
wie allerliebſt, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes
Benehmen; lieb möchte ich ſagen. Kein Gedanke von dem
Stolze, den man ihr anſchielt, nämlich nacherzählt. Jedoch
ſagt Hanne, ſie ſei hier nicht dieſelbe geweſen. Marwitz fand
ſie auch ſehr gut. Heute iſt ſie zu Hauſe gereiſt: ich werde
Fouqué’n ſchreiben und ihm gratuliren. Schön werden die
Augen, wenn ſie ſie in die Höhe ſchlägt, das thut ſie im
Eifer oft. Daß ſie kam, iſt ſchon unbefangen: Fouqué z. B.
nannte ſie mir in Briefen nie. Mir geht’s ſonderbar; ſonſt
werden die Autoren beſucht; ich bin ein elender Leſer, und die
Schreibenden ſuchen mich auf. — Wahrhaftig, ich glaube, ich
verſtehe die Kunſt zu ſchweigen; mit der Feder, wie manche
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/482>, abgerufen am 20.11.2024.
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