Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Varnhagen, in Prag.


-- In meiner Unseligkeit hab' ich dir vergessen gestern
zu sagen, daß vorgestern Frau von Fouque bei mir war. De
but en blanc
; schon sehr liebenswürdig: sie brachte mir ihren
Sohn mit. Und ich fand sie ganz vortrefflich. Sie ließ sich
von Hanne zu mir führen, die sie von Nennhausen kennt,
und fand Marwitz bei mir. Wir frühstückten. Wie sie nur
in's Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Gesell-
schaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es ist eine
femme consommee; und ich habe an die dreißig Gutmüthig-
keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten.
Marwitz kannte sie: wie schön behandelte sie ihn, und Hanne;
wie allerliebst, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes
Benehmen; lieb möchte ich sagen. Kein Gedanke von dem
Stolze, den man ihr anschielt, nämlich nacherzählt. Jedoch
sagt Hanne, sie sei hier nicht dieselbe gewesen. Marwitz fand
sie auch sehr gut. Heute ist sie zu Hause gereist: ich werde
Fouque'n schreiben und ihm gratuliren. Schön werden die
Augen, wenn sie sie in die Höhe schlägt, das thut sie im
Eifer oft. Daß sie kam, ist schon unbefangen: Fouque z. B.
nannte sie mir in Briefen nie. Mir geht's sonderbar; sonst
werden die Autoren besucht; ich bin ein elender Leser, und die
Schreibenden suchen mich auf. -- Wahrhaftig, ich glaube, ich
verstehe die Kunst zu schweigen; mit der Feder, wie manche
geschickt mit dem Maule! --



An Varnhagen, in Prag.


— In meiner Unſeligkeit hab’ ich dir vergeſſen geſtern
zu ſagen, daß vorgeſtern Frau von Fouqué bei mir war. De
but en blanc
; ſchon ſehr liebenswürdig: ſie brachte mir ihren
Sohn mit. Und ich fand ſie ganz vortrefflich. Sie ließ ſich
von Hanne zu mir führen, die ſie von Nennhauſen kennt,
und fand Marwitz bei mir. Wir frühſtückten. Wie ſie nur
in’s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Geſell-
ſchaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es iſt eine
femme consommée; und ich habe an die dreißig Gutmüthig-
keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten.
Marwitz kannte ſie: wie ſchön behandelte ſie ihn, und Hanne;
wie allerliebſt, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes
Benehmen; lieb möchte ich ſagen. Kein Gedanke von dem
Stolze, den man ihr anſchielt, nämlich nacherzählt. Jedoch
ſagt Hanne, ſie ſei hier nicht dieſelbe geweſen. Marwitz fand
ſie auch ſehr gut. Heute iſt ſie zu Hauſe gereiſt: ich werde
Fouqué’n ſchreiben und ihm gratuliren. Schön werden die
Augen, wenn ſie ſie in die Höhe ſchlägt, das thut ſie im
Eifer oft. Daß ſie kam, iſt ſchon unbefangen: Fouqué z. B.
nannte ſie mir in Briefen nie. Mir geht’s ſonderbar; ſonſt
werden die Autoren beſucht; ich bin ein elender Leſer, und die
Schreibenden ſuchen mich auf. — Wahrhaftig, ich glaube, ich
verſtehe die Kunſt zu ſchweigen; mit der Feder, wie manche
geſchickt mit dem Maule! —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0482" n="468"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Prag.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Montag, den 19. März 1810.</hi> </dateline><lb/>
          <p>&#x2014; In meiner Un&#x017F;eligkeit hab&#x2019; ich dir verge&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;tern<lb/>
zu &#x017F;agen, daß vorge&#x017F;tern Frau von Fouqu<hi rendition="#aq">é</hi> bei mir war. <hi rendition="#aq">De<lb/>
but en blanc</hi>; &#x017F;chon &#x017F;ehr liebenswürdig: &#x017F;ie brachte mir ihren<lb/>
Sohn mit. Und ich fand &#x017F;ie ganz vortrefflich. Sie ließ &#x017F;ich<lb/>
von Hanne zu mir führen, die &#x017F;ie von Nennhau&#x017F;en kennt,<lb/>
und fand Marwitz bei mir. Wir früh&#x017F;tückten. Wie &#x017F;ie nur<lb/>
in&#x2019;s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es i&#x017F;t eine<lb/><hi rendition="#aq">femme consommée</hi>; und ich habe an die dreißig Gutmüthig-<lb/>
keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten.<lb/>
Marwitz kannte &#x017F;ie: wie &#x017F;chön behandelte &#x017F;ie ihn, und Hanne;<lb/>
wie allerlieb&#x017F;t, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes<lb/>
Benehmen; lieb möchte ich &#x017F;agen. Kein Gedanke von dem<lb/>
Stolze, den man ihr an&#x017F;chielt, nämlich nacherzählt. Jedoch<lb/>
&#x017F;agt Hanne, &#x017F;ie &#x017F;ei hier nicht die&#x017F;elbe <choice><sic>gewe&#x017F;eu</sic><corr>gewe&#x017F;en</corr></choice>. Marwitz fand<lb/>
&#x017F;ie auch &#x017F;ehr gut. Heute i&#x017F;t &#x017F;ie zu Hau&#x017F;e gerei&#x017F;t: ich werde<lb/>
Fouqu<hi rendition="#aq">é</hi>&#x2019;n &#x017F;chreiben und ihm gratuliren. Schön werden die<lb/>
Augen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ie in die Höhe &#x017F;chlägt, das thut &#x017F;ie im<lb/>
Eifer oft. Daß &#x017F;ie kam, i&#x017F;t &#x017F;chon unbefangen: Fouqu<hi rendition="#aq">é</hi> z. B.<lb/>
nannte <hi rendition="#g">&#x017F;ie mir</hi> in Briefen <hi rendition="#g">nie</hi>. Mir geht&#x2019;s &#x017F;onderbar; &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
werden die Autoren be&#x017F;ucht; ich bin ein elender Le&#x017F;er, und die<lb/>
Schreibenden &#x017F;uchen mich auf. &#x2014; Wahrhaftig, ich glaube, ich<lb/>
ver&#x017F;tehe die Kun&#x017F;t zu &#x017F;chweigen; mit der Feder, wie manche<lb/>
ge&#x017F;chickt mit dem Maule! &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0482] An Varnhagen, in Prag. Montag, den 19. März 1810. — In meiner Unſeligkeit hab’ ich dir vergeſſen geſtern zu ſagen, daß vorgeſtern Frau von Fouqué bei mir war. De but en blanc; ſchon ſehr liebenswürdig: ſie brachte mir ihren Sohn mit. Und ich fand ſie ganz vortrefflich. Sie ließ ſich von Hanne zu mir führen, die ſie von Nennhauſen kennt, und fand Marwitz bei mir. Wir frühſtückten. Wie ſie nur in’s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Geſell- ſchaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es iſt eine femme consommée; und ich habe an die dreißig Gutmüthig- keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten. Marwitz kannte ſie: wie ſchön behandelte ſie ihn, und Hanne; wie allerliebſt, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes Benehmen; lieb möchte ich ſagen. Kein Gedanke von dem Stolze, den man ihr anſchielt, nämlich nacherzählt. Jedoch ſagt Hanne, ſie ſei hier nicht dieſelbe geweſen. Marwitz fand ſie auch ſehr gut. Heute iſt ſie zu Hauſe gereiſt: ich werde Fouqué’n ſchreiben und ihm gratuliren. Schön werden die Augen, wenn ſie ſie in die Höhe ſchlägt, das thut ſie im Eifer oft. Daß ſie kam, iſt ſchon unbefangen: Fouqué z. B. nannte ſie mir in Briefen nie. Mir geht’s ſonderbar; ſonſt werden die Autoren beſucht; ich bin ein elender Leſer, und die Schreibenden ſuchen mich auf. — Wahrhaftig, ich glaube, ich verſtehe die Kunſt zu ſchweigen; mit der Feder, wie manche geſchickt mit dem Maule! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/482
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/482>, abgerufen am 21.12.2024.