Ich sehe Schede's und Schleiermachers, die mir gut sind. Brentano ist noch hier.
Dienstag, den 26. December 1809.
Nun kommt mir Josephinens Schicksal erst groß vor. Kinder einer Ehe, wo sie unter dem Volke stand, wie im Traum Könige werden zu sehen; selbst zur ersten Frau der Erde ge- krönt zu werden; mit der größten Macht beschützt; den klei- nen Sorgen entrückt, nur noch unmittelbar unter der Gewalt des Himmels stehend; den ganzen irdischen Olymp als schmeichlende Diener unter sich; Königstöchter wie zu ihrem Hof gehörig gebückt und in Entfernung von sich gehalten, nur durch Gnade und als Vorzug zu sich gerufen; sicher ge- macht durch gewonnene Schlachten und besiegte Nationen. -- Dann aufgeschüttelt, doch wie aus einem Traum. Der Ge- mahl, der Sohn, die Tochter, bleiben Könige! Und auch das fabelhafte Glück ihrer Kinder, muß ihr Erniedrigung, Herab- setzung däuchten! Eine kleine Fürstin, Tochter eines kleinen Herrn, kann einen Sohn gebären, der Frankreichs Thron be- steigt. Wie wird man dem entgegenjauchzen, den erziehen, ihm schmeichlen, ihn fürchten, schonen, hegen! Die Kanonen- schüsse, die seine Geburt ankündigen, müssen Josephine zur Niobe versteinern. Die machen die Kronen ihrer Kinder zu unscheinbaren Ordenszierden höherer Vasallen; die donnern ihre Generation in die Vergangenheit. -- Nun kann ich mit ihr fühlen, da das Schicksal große Vorkehrungen zu großem Unglück für sie unternommen hat. Unglücklicher ist sie, als eine geborne Königin: die entstieg ihrem Schicksal gleich, wie
Ich ſehe Schede’s und Schleiermachers, die mir gut ſind. Brentano iſt noch hier.
Dienstag, den 26. December 1809.
Nun kommt mir Joſephinens Schickſal erſt groß vor. Kinder einer Ehe, wo ſie unter dem Volke ſtand, wie im Traum Könige werden zu ſehen; ſelbſt zur erſten Frau der Erde ge- krönt zu werden; mit der größten Macht beſchützt; den klei- nen Sorgen entrückt, nur noch unmittelbar unter der Gewalt des Himmels ſtehend; den ganzen irdiſchen Olymp als ſchmeichlende Diener unter ſich; Königstöchter wie zu ihrem Hof gehörig gebückt und in Entfernung von ſich gehalten, nur durch Gnade und als Vorzug zu ſich gerufen; ſicher ge- macht durch gewonnene Schlachten und beſiegte Nationen. — Dann aufgeſchüttelt, doch wie aus einem Traum. Der Ge- mahl, der Sohn, die Tochter, bleiben Könige! Und auch das fabelhafte Glück ihrer Kinder, muß ihr Erniedrigung, Herab- ſetzung däuchten! Eine kleine Fürſtin, Tochter eines kleinen Herrn, kann einen Sohn gebären, der Frankreichs Thron be- ſteigt. Wie wird man dem entgegenjauchzen, den erziehen, ihm ſchmeichlen, ihn fürchten, ſchonen, hegen! Die Kanonen- ſchüſſe, die ſeine Geburt ankündigen, müſſen Joſephine zur Niobe verſteinern. Die machen die Kronen ihrer Kinder zu unſcheinbaren Ordenszierden höherer Vaſallen; die donnern ihre Generation in die Vergangenheit. — Nun kann ich mit ihr fühlen, da das Schickſal große Vorkehrungen zu großem Unglück für ſie unternommen hat. Unglücklicher iſt ſie, als eine geborne Königin: die entſtieg ihrem Schickſal gleich, wie
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Ich ſehe Schede’s und Schleiermachers, die mir gut ſind.
Brentano iſt noch hier.
Dienstag, den 26. December 1809.
Nun kommt mir Joſephinens Schickſal erſt groß vor.
Kinder einer Ehe, wo ſie unter dem Volke ſtand, wie im Traum
Könige werden zu ſehen; ſelbſt zur erſten Frau der Erde ge-
krönt zu werden; mit der größten Macht beſchützt; den klei-
nen Sorgen entrückt, nur noch unmittelbar unter der Gewalt
des Himmels ſtehend; den ganzen irdiſchen Olymp als
ſchmeichlende Diener unter ſich; Königstöchter wie zu ihrem
Hof gehörig gebückt und in Entfernung von ſich gehalten,
nur durch Gnade und als Vorzug zu ſich gerufen; ſicher ge-
macht durch gewonnene Schlachten und beſiegte Nationen. —
Dann aufgeſchüttelt, doch wie aus einem Traum. Der Ge-
mahl, der Sohn, die Tochter, bleiben Könige! Und auch das
fabelhafte Glück ihrer Kinder, muß ihr Erniedrigung, Herab-
ſetzung däuchten! Eine kleine Fürſtin, Tochter eines kleinen
Herrn, kann einen Sohn gebären, der Frankreichs Thron be-
ſteigt. Wie wird man dem entgegenjauchzen, den erziehen,
ihm ſchmeichlen, ihn fürchten, ſchonen, hegen! Die Kanonen-
ſchüſſe, die ſeine Geburt ankündigen, müſſen Joſephine zur
Niobe verſteinern. Die machen die Kronen ihrer Kinder zu
unſcheinbaren Ordenszierden höherer Vaſallen; die donnern
ihre Generation in die Vergangenheit. — Nun kann ich mit
ihr fühlen, da das Schickſal große Vorkehrungen zu großem
Unglück für ſie unternommen hat. Unglücklicher iſt ſie, als
eine geborne Königin: die entſtieg ihrem Schickſal gleich, wie
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/470>, abgerufen am 20.11.2024.
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