Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunst in die Gebiete der Wirklich- keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder- finden; -- aber die poetischen Schmerzen sind, in die Prosa des Lebens übersetzt, rechte wahre Schmerzen. -- Vor der Muse ist der Teufel schön und die Parze, aber sie wohnet nur in uns, und der Teufel so oft außer uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.
Leben Sie froh unter einem Volke, das sie besser fassen werden, als dieses Sie.
Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der längste. --
J. P. F. Richter.
2.
Berlin, den 9. Jänner 1801.
Mit Zuneigung und Freudigkeit hab' ich Ihren Brief an mich und Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris gelesen, und mit herzlichen Wünschen für Ihre rasche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög' Ihr Herz nicht verkannt werden, auch nicht von -- Ihnen! Mögen die Menschen, da Sie oft, glaub' ich, ohne Orthographie handeln so wie schreiben, dar- über den geistigen Werth nicht übersehen! -- Aber gerade, wenn die Seele am schönsten spricht und tönt, wird sie Andern unsichtbar, wie die Saite verschwindet, wenn sie tönt. -- Jedes Blättchen, und noch mehr jedes Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude sei mit Ihnen!
Richter.
An Varnhagen, in Tübingen.
Freitag früh um 10 Uhr, den 18. November 1808.
Gestern Abend habe ich den Sigurd gelesen. -- Lange, lange nicht hat mir etwas so gefallen! So schön kam es mir vor, so fest, so eigen, so ächt, so still ersonnen, frisch mit Ge- sundheit ausgeführt: so wenig Überflüssiges gesagt darin: zu- sammenhängend und neu, von einem neuen Menschen endlich glücklich gefertigt. Indem ich's las, freut' ich mich immer schon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches ich dir aus vollem Herzen spenden würde. Seine Runen kamen mir bis in den innersten Sinn, mit ihren Reden, und
I. 24
Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunſt in die Gebiete der Wirklich- keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder- finden; — aber die poetiſchen Schmerzen ſind, in die Proſa des Lebens überſetzt, rechte wahre Schmerzen. — Vor der Muſe iſt der Teufel ſchön und die Parze, aber ſie wohnet nur in uns, und der Teufel ſo oft außer uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.
Leben Sie froh unter einem Volke, das ſie beſſer faſſen werden, als dieſes Sie.
Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der längſte. —
J. P. F. Richter.
2.
Berlin, den 9. Jänner 1801.
Mit Zuneigung und Freudigkeit hab’ ich Ihren Brief an mich und Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris geleſen, und mit herzlichen Wünſchen für Ihre raſche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög’ Ihr Herz nicht verkannt werden, auch nicht von — Ihnen! Mögen die Menſchen, da Sie oft, glaub’ ich, ohne Orthographie handeln ſo wie ſchreiben, dar- über den geiſtigen Werth nicht überſehen! — Aber gerade, wenn die Seele am ſchönſten ſpricht und tönt, wird ſie Andern unſichtbar, wie die Saite verſchwindet, wenn ſie tönt. — Jedes Blättchen, und noch mehr jedes Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude ſei mit Ihnen!
Richter.
An Varnhagen, in Tübingen.
Freitag früh um 10 Uhr, den 18. November 1808.
Geſtern Abend habe ich den Sigurd geleſen. — Lange, lange nicht hat mir etwas ſo gefallen! So ſchön kam es mir vor, ſo feſt, ſo eigen, ſo ächt, ſo ſtill erſonnen, friſch mit Ge- ſundheit ausgeführt: ſo wenig Überflüſſiges geſagt darin: zu- ſammenhängend und neu, von einem neuen Menſchen endlich glücklich gefertigt. Indem ich’s las, freut’ ich mich immer ſchon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches ich dir aus vollem Herzen ſpenden würde. Seine Runen kamen mir bis in den innerſten Sinn, mit ihren Reden, und
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Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunſt in die Gebiete der Wirklich-
keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder-
finden; — aber die poetiſchen Schmerzen ſind, in die Proſa des Lebens
überſetzt, rechte wahre Schmerzen. — Vor der Muſe iſt der Teufel ſchön
und die Parze, aber ſie wohnet nur in uns, und der Teufel ſo oft außer
uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.
Leben Sie froh unter einem Volke, das ſie beſſer faſſen werden, als
dieſes Sie.
Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der
längſte. —
J. P. F. Richter.
2.
Berlin, den 9. Jänner 1801.
Mit Zuneigung und Freudigkeit hab’ ich Ihren Brief an mich und
Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris geleſen, und mit herzlichen
Wünſchen für Ihre raſche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög’ Ihr Herz
nicht verkannt werden, auch nicht von — Ihnen! Mögen die Menſchen,
da Sie oft, glaub’ ich, ohne Orthographie handeln ſo wie ſchreiben, dar-
über den geiſtigen Werth nicht überſehen! — Aber gerade, wenn die Seele
am ſchönſten ſpricht und tönt, wird ſie Andern unſichtbar, wie die Saite
verſchwindet, wenn ſie tönt. — Jedes Blättchen, und noch mehr jedes
Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude ſei mit Ihnen!
Richter.
An Varnhagen, in Tübingen.
Freitag früh um 10 Uhr, den 18. November 1808.
Geſtern Abend habe ich den Sigurd geleſen. — Lange,
lange nicht hat mir etwas ſo gefallen! So ſchön kam es mir
vor, ſo feſt, ſo eigen, ſo ächt, ſo ſtill erſonnen, friſch mit Ge-
ſundheit ausgeführt: ſo wenig Überflüſſiges geſagt darin: zu-
ſammenhängend und neu, von einem neuen Menſchen endlich
glücklich gefertigt. Indem ich’s las, freut’ ich mich immer
ſchon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches
ich dir aus vollem Herzen ſpenden würde. Seine Runen
kamen mir bis in den innerſten Sinn, mit ihren Reden, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/383>, abgerufen am 20.11.2024.
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