ächt. Wie schön gleich geschrieben! da sieht man recht, wenn er sich versenken, isoliren will, was er dann ist. Umgang mit noch lebenden Schriftmenschen, auch nur ihre Bücher, ihre Kri- tiken nun gar! ist ihm todtschädlich. Wie so er mich nur für humoristisch hält! mich dünkt, ich habe nie etwas in seiner Gegenwart gesagt; aber ich weiß schon; weil ich sein Komi- sches so rasend goutire. Und das weiß er. Dazu gehört auch Humor. -- Als ich grade nach Paris reisen wollte, sah ich in der Jägerstraße mit Jean Paul aus dem Fenster und sagte ihm: Ich begreife es gar nicht: ich reise in acht Tagen; und seit ich meiner Reise gewiß bin, werden mir alle die be- kanntesten Gegenstände fremd; ich erkenne die Ecke drüben nicht mehr; sie ist mir wie die fremdeste Straße. Es war wahr. Er sagte ganz in sich gekehrt, und beinahe mit Kopf- schütteln: "das ist eine große Phantasie! Sie haben eine große Phantasie!" Wie so? sagte ich! Er schwieg aber, und ich auch, weil es von mir war. Ich verstand ihn nicht, und verstehe noch nicht was er meinte. Denn es war ja ein Unvermögen und ganz negativ. Meinte er, daß ich mich so los denken konnte, und die neuen Gegenstände mir schon vor- hielt? Antworte mir! --
Anmerk. Von J. P. Richter finden sich aus jener frühen Zeit noch ein paar Briefblättchen vor, die hier stehen mögen. Er schrieb an Rahel:
1.
Berlin, den 6. November 1800.
Geflügelte! -- in jedem Sinn; denn hier hätten Sie noch einige Wintermonate lang Ihre Reiseschwingen zusammengelegt behalten sollen. Mit unbeschreiblichem Interesse hab' ich einige Ihrer Briefe von Ihrer Freundin, die sie so sehr verdient, gelesen; aber mit eben so vielem Schmerz. Sie behandeln das Leben poetisch, und das Leben daher Sie.
Sie
ächt. Wie ſchön gleich geſchrieben! da ſieht man recht, wenn er ſich verſenken, iſoliren will, was er dann iſt. Umgang mit noch lebenden Schriftmenſchen, auch nur ihre Bücher, ihre Kri- tiken nun gar! iſt ihm todtſchädlich. Wie ſo er mich nur für humoriſtiſch hält! mich dünkt, ich habe nie etwas in ſeiner Gegenwart geſagt; aber ich weiß ſchon; weil ich ſein Komi- ſches ſo raſend goutire. Und das weiß er. Dazu gehört auch Humor. — Als ich grade nach Paris reiſen wollte, ſah ich in der Jägerſtraße mit Jean Paul aus dem Fenſter und ſagte ihm: Ich begreife es gar nicht: ich reiſe in acht Tagen; und ſeit ich meiner Reiſe gewiß bin, werden mir alle die be- kannteſten Gegenſtände fremd; ich erkenne die Ecke drüben nicht mehr; ſie iſt mir wie die fremdeſte Straße. Es war wahr. Er ſagte ganz in ſich gekehrt, und beinahe mit Kopf- ſchütteln: „das iſt eine große Phantaſie! Sie haben eine große Phantaſie!“ Wie ſo? ſagte ich! Er ſchwieg aber, und ich auch, weil es von mir war. Ich verſtand ihn nicht, und verſtehe noch nicht was er meinte. Denn es war ja ein Unvermögen und ganz negativ. Meinte er, daß ich mich ſo los denken konnte, und die neuen Gegenſtände mir ſchon vor- hielt? Antworte mir! —
Anmerk. Von J. P. Richter finden ſich aus jener frühen Zeit noch ein paar Briefblättchen vor, die hier ſtehen mögen. Er ſchrieb an Rahel:
1.
Berlin, den 6. November 1800.
Geflügelte! — in jedem Sinn; denn hier hätten Sie noch einige Wintermonate lang Ihre Reiſeſchwingen zuſammengelegt behalten ſollen. Mit unbeſchreiblichem Intereſſe hab’ ich einige Ihrer Briefe von Ihrer Freundin, die ſie ſo ſehr verdient, geleſen; aber mit eben ſo vielem Schmerz. Sie behandeln das Leben poetiſch, und das Leben daher Sie.
Sie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0382"n="368"/>
ächt. Wie ſchön gleich geſchrieben! da ſieht man recht, wenn<lb/>
er ſich verſenken, iſoliren will, was er dann iſt. Umgang mit<lb/>
noch lebenden Schriftmenſchen, auch nur ihre Bücher, ihre Kri-<lb/>
tiken nun gar! iſt ihm todtſchädlich. Wie ſo er mich nur für<lb/>
humoriſtiſch hält! mich dünkt, ich habe nie etwas in ſeiner<lb/>
Gegenwart geſagt; aber ich weiß ſchon; weil ich ſein Komi-<lb/>ſches ſo raſend goutire. Und <hirendition="#g">das</hi> weiß er. Dazu <hirendition="#g">gehört</hi><lb/>
auch Humor. — Als ich grade nach Paris reiſen wollte, ſah<lb/>
ich in der Jägerſtraße mit Jean Paul aus dem Fenſter und<lb/>ſagte ihm: Ich begreife es gar nicht: ich reiſe in acht Tagen;<lb/>
und ſeit ich meiner Reiſe gewiß bin, werden mir alle die be-<lb/>
kannteſten Gegenſtände fremd; ich erkenne die Ecke drüben<lb/>
nicht mehr; ſie iſt mir wie die fremdeſte Straße. Es war<lb/>
wahr. Er ſagte ganz in ſich gekehrt, und beinahe mit Kopf-<lb/>ſchütteln: „das iſt eine große Phantaſie! Sie haben eine<lb/>
große <hirendition="#g">Phantaſie</hi>!“ Wie ſo? ſagte ich! Er ſchwieg aber,<lb/>
und ich auch, weil es von mir war. Ich verſtand ihn nicht,<lb/>
und verſtehe noch nicht was er meinte. Denn es war ja ein<lb/>
Unvermögen und ganz negativ. Meinte er, daß ich mich ſo<lb/>
los denken konnte, und die neuen Gegenſtände mir ſchon vor-<lb/>
hielt? Antworte mir! —</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerk</hi>. Von J. P. Richter finden ſich aus jener frühen Zeit noch<lb/>
ein paar Briefblättchen vor, die hier ſtehen mögen. Er ſchrieb an Rahel:</p><lb/></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#c">1.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 6. November 1800.</hi></dateline><lb/><p>Geflügelte! — in jedem Sinn; denn hier hätten Sie noch einige<lb/>
Wintermonate lang Ihre Reiſeſchwingen zuſammengelegt behalten ſollen.<lb/>
Mit unbeſchreiblichem Intereſſe hab’ ich einige Ihrer Briefe von Ihrer<lb/>
Freundin, die ſie ſo ſehr verdient, geleſen; aber mit eben ſo vielem<lb/>
Schmerz. Sie behandeln das Leben poetiſch, und das Leben daher Sie.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Sie</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[368/0382]
ächt. Wie ſchön gleich geſchrieben! da ſieht man recht, wenn
er ſich verſenken, iſoliren will, was er dann iſt. Umgang mit
noch lebenden Schriftmenſchen, auch nur ihre Bücher, ihre Kri-
tiken nun gar! iſt ihm todtſchädlich. Wie ſo er mich nur für
humoriſtiſch hält! mich dünkt, ich habe nie etwas in ſeiner
Gegenwart geſagt; aber ich weiß ſchon; weil ich ſein Komi-
ſches ſo raſend goutire. Und das weiß er. Dazu gehört
auch Humor. — Als ich grade nach Paris reiſen wollte, ſah
ich in der Jägerſtraße mit Jean Paul aus dem Fenſter und
ſagte ihm: Ich begreife es gar nicht: ich reiſe in acht Tagen;
und ſeit ich meiner Reiſe gewiß bin, werden mir alle die be-
kannteſten Gegenſtände fremd; ich erkenne die Ecke drüben
nicht mehr; ſie iſt mir wie die fremdeſte Straße. Es war
wahr. Er ſagte ganz in ſich gekehrt, und beinahe mit Kopf-
ſchütteln: „das iſt eine große Phantaſie! Sie haben eine
große Phantaſie!“ Wie ſo? ſagte ich! Er ſchwieg aber,
und ich auch, weil es von mir war. Ich verſtand ihn nicht,
und verſtehe noch nicht was er meinte. Denn es war ja ein
Unvermögen und ganz negativ. Meinte er, daß ich mich ſo
los denken konnte, und die neuen Gegenſtände mir ſchon vor-
hielt? Antworte mir! —
Anmerk. Von J. P. Richter finden ſich aus jener frühen Zeit noch
ein paar Briefblättchen vor, die hier ſtehen mögen. Er ſchrieb an Rahel:
1.
Berlin, den 6. November 1800.
Geflügelte! — in jedem Sinn; denn hier hätten Sie noch einige
Wintermonate lang Ihre Reiſeſchwingen zuſammengelegt behalten ſollen.
Mit unbeſchreiblichem Intereſſe hab’ ich einige Ihrer Briefe von Ihrer
Freundin, die ſie ſo ſehr verdient, geleſen; aber mit eben ſo vielem
Schmerz. Sie behandeln das Leben poetiſch, und das Leben daher Sie.
Sie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/382>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.