Schreiben Sie nur, und sprechen Sie's heraus! Dies thut dem Geiste, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön- nen Sie's; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Ist einem zum Schweigen zu Muthe, so finde ich das gut; muß einer sprechen, so ist mir, als wäre dies wieder besser: und so ist es auch. Sprechen und sich äußern besonders, ist besser; man entwickelt sich eigenst dadurch, und läßt eben so viele Kon- terfeis, in Zeitfolge, seines Seins; da dies niemanden schadet, so ist es für Studirende gut; dies sollten wir Alle sein, wenn uns die Lagen und Ereignisse nicht beengten; auf die Ver- drießlichen, die da sagen könnten: wozu die Geschichte, Gale- rien von Gemüthsstimmungen, Karakteren und Bemerkungen? -- auf die muß man keine Rücksicht nehmen, und keine an- dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und leicht zu machen: dies sind die Kranken. Wenn es möglich ist, haben Sie keine Gespräche mit dem ehrlichen Kerl, dem Doktor, mehr! Er amüsirt Sie: und setzt Ihnen doch dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen schäd- liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er ist klug genug, um daß sein Antheil reize, und seine blitz- dauernde Einsicht schmeichle, und dumm genug, um daß man sich, gerade wo es schädlich ist, wieder über ihn wegsetzt. Dies alles zusammen nennt' ich gerne schädliches Amusement; auf deutsch, schadenbringendes Hinhalten und Erschwächen.
Es
An Frau von F., in Berlin.
Berlin, den 21. März 1808.
Schreiben Sie nur, und ſprechen Sie’s heraus! Dies thut dem Geiſte, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön- nen Sie’s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Iſt einem zum Schweigen zu Muthe, ſo finde ich das gut; muß einer ſprechen, ſo iſt mir, als wäre dies wieder beſſer: und ſo iſt es auch. Sprechen und ſich äußern beſonders, iſt beſſer; man entwickelt ſich eigenſt dadurch, und läßt eben ſo viele Kon- terfeis, in Zeitfolge, ſeines Seins; da dies niemanden ſchadet, ſo iſt es für Studirende gut; dies ſollten wir Alle ſein, wenn uns die Lagen und Ereigniſſe nicht beengten; auf die Ver- drießlichen, die da ſagen könnten: wozu die Geſchichte, Gale- rien von Gemüthsſtimmungen, Karakteren und Bemerkungen? — auf die muß man keine Rückſicht nehmen, und keine an- dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und leicht zu machen: dies ſind die Kranken. Wenn es möglich iſt, haben Sie keine Geſpräche mit dem ehrlichen Kerl, dem Doktor, mehr! Er amüſirt Sie: und ſetzt Ihnen doch dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen ſchäd- liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er iſt klug genug, um daß ſein Antheil reize, und ſeine blitz- dauernde Einſicht ſchmeichle, und dumm genug, um daß man ſich, gerade wo es ſchädlich iſt, wieder über ihn wegſetzt. Dies alles zuſammen nennt’ ich gerne ſchädliches Amuſement; auf deutſch, ſchadenbringendes Hinhalten und Erſchwächen.
Es
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[336/0350]
An Frau von F., in Berlin.
Berlin, den 21. März 1808.
Schreiben Sie nur, und ſprechen Sie’s heraus! Dies thut
dem Geiſte, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön-
nen Sie’s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Iſt einem
zum Schweigen zu Muthe, ſo finde ich das gut; muß einer
ſprechen, ſo iſt mir, als wäre dies wieder beſſer: und ſo iſt
es auch. Sprechen und ſich äußern beſonders, iſt beſſer; man
entwickelt ſich eigenſt dadurch, und läßt eben ſo viele Kon-
terfeis, in Zeitfolge, ſeines Seins; da dies niemanden ſchadet,
ſo iſt es für Studirende gut; dies ſollten wir Alle ſein, wenn
uns die Lagen und Ereigniſſe nicht beengten; auf die Ver-
drießlichen, die da ſagen könnten: wozu die Geſchichte, Gale-
rien von Gemüthsſtimmungen, Karakteren und Bemerkungen?
— auf die muß man keine Rückſicht nehmen, und keine an-
dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und
leicht zu machen: dies ſind die Kranken. Wenn es möglich
iſt, haben Sie keine Geſpräche mit dem ehrlichen Kerl,
dem Doktor, mehr! Er amüſirt Sie: und ſetzt Ihnen doch
dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen ſchäd-
liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er
iſt klug genug, um daß ſein Antheil reize, und ſeine blitz-
dauernde Einſicht ſchmeichle, und dumm genug, um daß man
ſich, gerade wo es ſchädlich iſt, wieder über ihn wegſetzt. Dies
alles zuſammen nennt’ ich gerne ſchädliches Amuſement; auf
deutſch, ſchadenbringendes Hinhalten und Erſchwächen.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/350>, abgerufen am 20.11.2024.
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