Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Frau von F., in Berlin.


Schreiben Sie nur, und sprechen Sie's heraus! Dies thut
dem Geiste, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön-
nen Sie's; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Ist einem
zum Schweigen zu Muthe, so finde ich das gut; muß einer
sprechen, so ist mir, als wäre dies wieder besser: und so ist
es auch. Sprechen und sich äußern besonders, ist besser; man
entwickelt sich eigenst dadurch, und läßt eben so viele Kon-
terfeis, in Zeitfolge, seines Seins; da dies niemanden schadet,
so ist es für Studirende gut; dies sollten wir Alle sein, wenn
uns die Lagen und Ereignisse nicht beengten; auf die Ver-
drießlichen, die da sagen könnten: wozu die Geschichte, Gale-
rien von Gemüthsstimmungen, Karakteren und Bemerkungen?
-- auf die muß man keine Rücksicht nehmen, und keine an-
dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und
leicht zu machen: dies sind die Kranken. Wenn es möglich
ist, haben Sie keine Gespräche mit dem ehrlichen Kerl,
dem Doktor, mehr! Er amüsirt Sie: und setzt Ihnen doch
dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen schäd-
liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er
ist klug genug, um daß sein Antheil reize, und seine blitz-
dauernde Einsicht schmeichle, und dumm genug, um daß man
sich, gerade wo es schädlich ist, wieder über ihn wegsetzt. Dies
alles zusammen nennt' ich gerne schädliches Amusement; auf
deutsch, schadenbringendes Hinhalten und Erschwächen.


Es
An Frau von F., in Berlin.


Schreiben Sie nur, und ſprechen Sie’s heraus! Dies thut
dem Geiſte, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön-
nen Sie’s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Iſt einem
zum Schweigen zu Muthe, ſo finde ich das gut; muß einer
ſprechen, ſo iſt mir, als wäre dies wieder beſſer: und ſo iſt
es auch. Sprechen und ſich äußern beſonders, iſt beſſer; man
entwickelt ſich eigenſt dadurch, und läßt eben ſo viele Kon-
terfeis, in Zeitfolge, ſeines Seins; da dies niemanden ſchadet,
ſo iſt es für Studirende gut; dies ſollten wir Alle ſein, wenn
uns die Lagen und Ereigniſſe nicht beengten; auf die Ver-
drießlichen, die da ſagen könnten: wozu die Geſchichte, Gale-
rien von Gemüthsſtimmungen, Karakteren und Bemerkungen?
— auf die muß man keine Rückſicht nehmen, und keine an-
dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und
leicht zu machen: dies ſind die Kranken. Wenn es möglich
iſt, haben Sie keine Geſpräche mit dem ehrlichen Kerl,
dem Doktor, mehr! Er amüſirt Sie: und ſetzt Ihnen doch
dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen ſchäd-
liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er
iſt klug genug, um daß ſein Antheil reize, und ſeine blitz-
dauernde Einſicht ſchmeichle, und dumm genug, um daß man
ſich, gerade wo es ſchädlich iſt, wieder über ihn wegſetzt. Dies
alles zuſammen nennt’ ich gerne ſchädliches Amuſement; auf
deutſch, ſchadenbringendes Hinhalten und Erſchwächen.


Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0350" n="336"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von F., in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 21. März 1808.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Schreiben Sie nur, und &#x017F;prechen Sie&#x2019;s heraus! Dies thut<lb/>
dem Gei&#x017F;te, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön-<lb/>
nen Sie&#x2019;s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. I&#x017F;t einem<lb/>
zum Schweigen zu Muthe, &#x017F;o finde ich das gut; muß einer<lb/>
&#x017F;prechen, &#x017F;o i&#x017F;t mir, als wäre dies wieder be&#x017F;&#x017F;er: und &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
es auch. Sprechen und &#x017F;ich äußern be&#x017F;onders, i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er; man<lb/>
entwickelt &#x017F;ich eigen&#x017F;t dadurch, und läßt eben &#x017F;o viele Kon-<lb/>
terfeis, in Zeitfolge, &#x017F;eines Seins; da dies niemanden &#x017F;chadet,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es für Studirende gut; dies &#x017F;ollten wir Alle &#x017F;ein, wenn<lb/>
uns die Lagen und Ereigni&#x017F;&#x017F;e nicht beengten; auf die Ver-<lb/>
drießlichen, die da &#x017F;agen könnten: wozu die Ge&#x017F;chichte, Gale-<lb/>
rien von Gemüths&#x017F;timmungen, Karakteren und Bemerkungen?<lb/>
&#x2014; auf die muß man keine Rück&#x017F;icht nehmen, und keine an-<lb/>
dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und<lb/>
leicht zu machen: dies &#x017F;ind die Kranken. Wenn es möglich<lb/>
i&#x017F;t, haben Sie keine Ge&#x017F;präche mit dem <hi rendition="#g">ehrlichen Kerl</hi>,<lb/>
dem Doktor, mehr! Er amü&#x017F;irt Sie: und &#x017F;etzt Ihnen doch<lb/>
dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen &#x017F;chäd-<lb/>
liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er<lb/>
i&#x017F;t klug genug, um daß &#x017F;ein Antheil reize, und &#x017F;eine blitz-<lb/>
dauernde Ein&#x017F;icht &#x017F;chmeichle, und dumm genug, um daß man<lb/>
&#x017F;ich, gerade wo es &#x017F;chädlich i&#x017F;t, wieder über ihn weg&#x017F;etzt. Dies<lb/>
alles zu&#x017F;ammen nennt&#x2019; ich gerne &#x017F;chädliches Amu&#x017F;ement; auf<lb/>
deut&#x017F;ch, &#x017F;chadenbringendes Hinhalten und Er&#x017F;chwächen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0350] An Frau von F., in Berlin. Berlin, den 21. März 1808. Schreiben Sie nur, und ſprechen Sie’s heraus! Dies thut dem Geiſte, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön- nen Sie’s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Iſt einem zum Schweigen zu Muthe, ſo finde ich das gut; muß einer ſprechen, ſo iſt mir, als wäre dies wieder beſſer: und ſo iſt es auch. Sprechen und ſich äußern beſonders, iſt beſſer; man entwickelt ſich eigenſt dadurch, und läßt eben ſo viele Kon- terfeis, in Zeitfolge, ſeines Seins; da dies niemanden ſchadet, ſo iſt es für Studirende gut; dies ſollten wir Alle ſein, wenn uns die Lagen und Ereigniſſe nicht beengten; auf die Ver- drießlichen, die da ſagen könnten: wozu die Geſchichte, Gale- rien von Gemüthsſtimmungen, Karakteren und Bemerkungen? — auf die muß man keine Rückſicht nehmen, und keine an- dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und leicht zu machen: dies ſind die Kranken. Wenn es möglich iſt, haben Sie keine Geſpräche mit dem ehrlichen Kerl, dem Doktor, mehr! Er amüſirt Sie: und ſetzt Ihnen doch dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen ſchäd- liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er iſt klug genug, um daß ſein Antheil reize, und ſeine blitz- dauernde Einſicht ſchmeichle, und dumm genug, um daß man ſich, gerade wo es ſchädlich iſt, wieder über ihn wegſetzt. Dies alles zuſammen nennt’ ich gerne ſchädliches Amuſement; auf deutſch, ſchadenbringendes Hinhalten und Erſchwächen. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/350
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/350>, abgerufen am 20.11.2024.