Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

hen; unerkannt, das ist das größte Unheil! Die Seele ge-
biert auch: mit Liebe und Schmerzen; aber vielfältig, und
ohne Bande; sie bleibt nicht zum Unterpfand zurück; sie
läßt alles zurück --, und ich hoffe, ich fühle, auch die Fähig-
keit zu Erdendingen -- Clabaudagen im höhern Sinn -- und
die Gemeinschaft mit ihnen. Ich könnte noch lange so fort
schreiben, zum Glück ist das Papier zu Ende! --



An Frau von F., in Berlin.


Lesen Sie diesen Brief, als käme er erst in acht Tagen
an. Ich hatte ihn gestern geschrieben. Es ist ein
guter.

Obgleich Sprechen und Schreiben zu gar nichts hilft, so
sollte man gar nicht aufhören zu sprechen und zu schreiben!
Diesen finstern Satz, wovon jede Hälfte nur für sich allein
wahr ist, nur zum Scherz! Ich bin diesen Morgen nicht
deutlich gewesen; und Sie haben mich auch nicht recht ver-
standen. Mir ist das, wovon die Rede war, zu wichtig, auch
ist es auf einen Punkt gekommen, wo es deutlich werden
muß -- um so mehr, da vom nunmehrigen Halbverstehn nur
ein Falschverstehn entstehen müßte, -- um es nicht nach allen
meinen Kräften und meiner besten Einsicht mit Ihnen zu
verfolgen.

Was wir eigentlich unter dem Worte Mensch verstehen,
ist doch die Kreatur, welche mit ihres Gleichen in vernünfti-
ger Verbindung steht, in einem Verhältnisse mit Bewußtsein,

21 *

hen; unerkannt, das iſt das größte Unheil! Die Seele ge-
biert auch: mit Liebe und Schmerzen; aber vielfältig, und
ohne Bande; ſie bleibt nicht zum Unterpfand zurück; ſie
läßt alles zurück —, und ich hoffe, ich fühle, auch die Fähig-
keit zu Erdendingen — Clabaudagen im höhern Sinn — und
die Gemeinſchaft mit ihnen. Ich könnte noch lange ſo fort
ſchreiben, zum Glück iſt das Papier zu Ende! —



An Frau von F., in Berlin.


Leſen Sie dieſen Brief, als käme er erſt in acht Tagen
an. Ich hatte ihn geſtern geſchrieben. Es iſt ein
guter.

Obgleich Sprechen und Schreiben zu gar nichts hilft, ſo
ſollte man gar nicht aufhören zu ſprechen und zu ſchreiben!
Dieſen finſtern Satz, wovon jede Hälfte nur für ſich allein
wahr iſt, nur zum Scherz! Ich bin dieſen Morgen nicht
deutlich geweſen; und Sie haben mich auch nicht recht ver-
ſtanden. Mir iſt das, wovon die Rede war, zu wichtig, auch
iſt es auf einen Punkt gekommen, wo es deutlich werden
muß — um ſo mehr, da vom nunmehrigen Halbverſtehn nur
ein Falſchverſtehn entſtehen müßte, — um es nicht nach allen
meinen Kräften und meiner beſten Einſicht mit Ihnen zu
verfolgen.

Was wir eigentlich unter dem Worte Menſch verſtehen,
iſt doch die Kreatur, welche mit ihres Gleichen in vernünfti-
ger Verbindung ſteht, in einem Verhältniſſe mit Bewußtſein,

21 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0337" n="323"/>
hen; unerkannt, das i&#x017F;t das größte Unheil! Die Seele ge-<lb/>
biert auch: mit Liebe und Schmerzen; aber vielfältig, und<lb/>
ohne Bande; <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> bleibt nicht zum Unterpfand <hi rendition="#g">zurück</hi>; &#x017F;ie<lb/>
läßt alles zurück &#x2014;, und ich hoffe, ich fühle, auch die Fähig-<lb/>
keit zu Erdendingen &#x2014; Clabaudagen im höhern Sinn &#x2014; und<lb/>
die Gemein&#x017F;chaft mit ihnen. Ich könnte noch lange &#x017F;o fort<lb/>
&#x017F;chreiben, zum Glück i&#x017F;t das Papier zu Ende! &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von F., in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 14. December 1807.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Le&#x017F;en Sie die&#x017F;en Brief, als käme er er&#x017F;t in acht Tagen<lb/>
an. Ich hatte ihn ge&#x017F;tern ge&#x017F;chrieben. Es i&#x017F;t ein<lb/><hi rendition="#g">guter</hi>.</hi> </p><lb/>
          <p>Obgleich Sprechen und Schreiben zu gar nichts hilft, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ollte man gar nicht aufhören zu &#x017F;prechen und zu &#x017F;chreiben!<lb/>
Die&#x017F;en fin&#x017F;tern Satz, wovon jede Hälfte nur für &#x017F;ich allein<lb/>
wahr i&#x017F;t, nur zum Scherz! Ich bin die&#x017F;en Morgen nicht<lb/>
deutlich gewe&#x017F;en; und Sie haben mich auch nicht recht ver-<lb/>
&#x017F;tanden. Mir i&#x017F;t das, wovon die Rede war, zu wichtig, auch<lb/>
i&#x017F;t es auf einen Punkt gekommen, wo es deutlich werden<lb/>
muß &#x2014; um &#x017F;o mehr, da vom nunmehrigen Halbver&#x017F;tehn nur<lb/>
ein Fal&#x017F;chver&#x017F;tehn ent&#x017F;tehen müßte, &#x2014; um es nicht nach allen<lb/>
meinen Kräften und meiner be&#x017F;ten Ein&#x017F;icht mit Ihnen zu<lb/>
verfolgen.</p><lb/>
          <p>Was wir eigentlich unter dem Worte <hi rendition="#g">Men&#x017F;ch</hi> ver&#x017F;tehen,<lb/>
i&#x017F;t doch die Kreatur, welche mit ihres Gleichen in vernünfti-<lb/>
ger Verbindung &#x017F;teht, in einem Verhältni&#x017F;&#x017F;e mit Bewußt&#x017F;ein,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0337] hen; unerkannt, das iſt das größte Unheil! Die Seele ge- biert auch: mit Liebe und Schmerzen; aber vielfältig, und ohne Bande; ſie bleibt nicht zum Unterpfand zurück; ſie läßt alles zurück —, und ich hoffe, ich fühle, auch die Fähig- keit zu Erdendingen — Clabaudagen im höhern Sinn — und die Gemeinſchaft mit ihnen. Ich könnte noch lange ſo fort ſchreiben, zum Glück iſt das Papier zu Ende! — An Frau von F., in Berlin. Berlin, den 14. December 1807. Leſen Sie dieſen Brief, als käme er erſt in acht Tagen an. Ich hatte ihn geſtern geſchrieben. Es iſt ein guter. Obgleich Sprechen und Schreiben zu gar nichts hilft, ſo ſollte man gar nicht aufhören zu ſprechen und zu ſchreiben! Dieſen finſtern Satz, wovon jede Hälfte nur für ſich allein wahr iſt, nur zum Scherz! Ich bin dieſen Morgen nicht deutlich geweſen; und Sie haben mich auch nicht recht ver- ſtanden. Mir iſt das, wovon die Rede war, zu wichtig, auch iſt es auf einen Punkt gekommen, wo es deutlich werden muß — um ſo mehr, da vom nunmehrigen Halbverſtehn nur ein Falſchverſtehn entſtehen müßte, — um es nicht nach allen meinen Kräften und meiner beſten Einſicht mit Ihnen zu verfolgen. Was wir eigentlich unter dem Worte Menſch verſtehen, iſt doch die Kreatur, welche mit ihres Gleichen in vernünfti- ger Verbindung ſteht, in einem Verhältniſſe mit Bewußtſein, 21 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/337
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/337>, abgerufen am 20.11.2024.