Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und ohne wirkliche Erscheinung, aus Krankhaftigkeit,
Mangel, Stierheit. Kurz, ich freue mich etwas, daß auch
nur ein bischen Vegetation auf einem Orte zu sehen ist, den
ich seit fünf (und mehreren Jahren eigentlich --) als den
Schauplatz von Verwüstungen kenne; von dem ich leben
soll, mein Herz. Aber dieser kleine Bosheits-Trost, läßt und
giebt er mir nicht auch den Rückblick auf ewige und erneute
Trauer? Davon wollt' ich schweigen.

Mit dem Schicksal bin ich nicht "ausgesöhnter:" ich
denke schon länger, es giebt keins. Es giebt ein Univer-
sum, in dem entwicklen wir uns; und es ist ganz gleich, wel-
ches Schicksal wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen sind;
die Entwickelung ist unser Schicksal. Kein Zahnweh! und
der Rest sind wir alles selbst. --



An Frau von F., in Berlin.


Es ist schon stockfinstre Nacht, mit Licht und allem, und
noch nicht gar lange, daß mir Ihr Brief überreicht wurde.
Da es zum Kommen zu spät ist, so will ich Ihnen doch durch
einige Zeilen, und wo möglich Punkt für Punkt, antworten.
Ja, ich bitte Sie, liebe Freundin, denken Sie "an die weni-
gen Wochen, da ich zufrieden mit Ihnen war." Nicht deß-
halb, weil ich zufrieden mit Ihnen war, sondern, weil Sie
vergnügt waren, mich in die Seele hinein freuten; weil jene
Zeit Ihnen Bürge ist, daß Sie, daß man vergnügt sein kann,
wenn man nicht körperliche Leiden hat; das andere Trauer

und ohne wirkliche Erſcheinung, aus Krankhaftigkeit,
Mangel, Stierheit. Kurz, ich freue mich etwas, daß auch
nur ein bischen Vegetation auf einem Orte zu ſehen iſt, den
ich ſeit fünf (und mehreren Jahren eigentlich —) als den
Schauplatz von Verwüſtungen kenne; von dem ich leben
ſoll, mein Herz. Aber dieſer kleine Bosheits-Troſt, läßt und
giebt er mir nicht auch den Rückblick auf ewige und erneute
Trauer? Davon wollt’ ich ſchweigen.

Mit dem Schickſal bin ich nicht „ausgeſöhnter:“ ich
denke ſchon länger, es giebt keins. Es giebt ein Univer-
ſum, in dem entwicklen wir uns; und es iſt ganz gleich, wel-
ches Schickſal wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen ſind;
die Entwickelung iſt unſer Schickſal. Kein Zahnweh! und
der Reſt ſind wir alles ſelbſt. —



An Frau von F., in Berlin.


Es iſt ſchon ſtockfinſtre Nacht, mit Licht und allem, und
noch nicht gar lange, daß mir Ihr Brief überreicht wurde.
Da es zum Kommen zu ſpät iſt, ſo will ich Ihnen doch durch
einige Zeilen, und wo möglich Punkt für Punkt, antworten.
Ja, ich bitte Sie, liebe Freundin, denken Sie „an die weni-
gen Wochen, da ich zufrieden mit Ihnen war.“ Nicht deß-
halb, weil ich zufrieden mit Ihnen war, ſondern, weil Sie
vergnügt waren, mich in die Seele hinein freuten; weil jene
Zeit Ihnen Bürge iſt, daß Sie, daß man vergnügt ſein kann,
wenn man nicht körperliche Leiden hat; das andere Trauer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0313" n="299"/>
und ohne <hi rendition="#g">wirkliche Er&#x017F;cheinung</hi>, aus Krankhaftigkeit,<lb/>
Mangel, Stierheit. Kurz, ich freue mich etwas, daß auch<lb/>
nur ein bischen Vegetation auf einem Orte zu &#x017F;ehen i&#x017F;t, den<lb/>
ich &#x017F;eit fünf (und mehreren Jahren eigentlich &#x2014;) als den<lb/>
Schauplatz von Verwü&#x017F;tungen kenne; von dem ich <hi rendition="#g">leben</hi><lb/>
&#x017F;oll, mein <hi rendition="#g">Herz</hi>. Aber die&#x017F;er kleine Bosheits-Tro&#x017F;t, läßt und<lb/>
giebt er mir nicht auch den Rückblick auf ewige und <hi rendition="#g">erneute</hi><lb/>
Trauer? Davon wollt&#x2019; ich <hi rendition="#g">&#x017F;chweigen</hi>.</p><lb/>
            <p>Mit dem Schick&#x017F;al bin ich nicht &#x201E;ausge&#x017F;öhnter:&#x201C; ich<lb/>
denke &#x017F;chon <hi rendition="#g">länger</hi>, es giebt keins. Es giebt ein Univer-<lb/>
&#x017F;um, in dem entwicklen wir uns; und es i&#x017F;t ganz gleich, wel-<lb/>
ches Schick&#x017F;al wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen &#x017F;ind;<lb/>
die Entwickelung <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> un&#x017F;er Schick&#x017F;al. Kein <hi rendition="#g">Zahn</hi>weh! und<lb/>
der Re&#x017F;t &#x017F;ind wir alles &#x017F;elb&#x017F;t. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von F., in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 17. September 1806.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t &#x017F;chon &#x017F;tockfin&#x017F;tre Nacht, mit Licht und allem, und<lb/>
noch nicht gar lange, daß mir Ihr Brief überreicht wurde.<lb/>
Da es zum Kommen zu &#x017F;pät i&#x017F;t, &#x017F;o will ich Ihnen doch durch<lb/>
einige Zeilen, und wo möglich Punkt für Punkt, antworten.<lb/>
Ja, ich bitte Sie, liebe Freundin, denken Sie &#x201E;an die weni-<lb/>
gen Wochen, da ich zufrieden mit Ihnen war.&#x201C; Nicht deß-<lb/>
halb, weil ich zufrieden mit Ihnen war, &#x017F;ondern, weil Sie<lb/>
vergnügt waren, mich in die Seele hinein freuten; weil jene<lb/>
Zeit Ihnen Bürge i&#x017F;t, daß Sie, daß man vergnügt &#x017F;ein <hi rendition="#g">kann</hi>,<lb/>
wenn man nicht körperliche Leiden hat; das andere Trauer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0313] und ohne wirkliche Erſcheinung, aus Krankhaftigkeit, Mangel, Stierheit. Kurz, ich freue mich etwas, daß auch nur ein bischen Vegetation auf einem Orte zu ſehen iſt, den ich ſeit fünf (und mehreren Jahren eigentlich —) als den Schauplatz von Verwüſtungen kenne; von dem ich leben ſoll, mein Herz. Aber dieſer kleine Bosheits-Troſt, läßt und giebt er mir nicht auch den Rückblick auf ewige und erneute Trauer? Davon wollt’ ich ſchweigen. Mit dem Schickſal bin ich nicht „ausgeſöhnter:“ ich denke ſchon länger, es giebt keins. Es giebt ein Univer- ſum, in dem entwicklen wir uns; und es iſt ganz gleich, wel- ches Schickſal wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen ſind; die Entwickelung iſt unſer Schickſal. Kein Zahnweh! und der Reſt ſind wir alles ſelbſt. — An Frau von F., in Berlin. Berlin, den 17. September 1806. Es iſt ſchon ſtockfinſtre Nacht, mit Licht und allem, und noch nicht gar lange, daß mir Ihr Brief überreicht wurde. Da es zum Kommen zu ſpät iſt, ſo will ich Ihnen doch durch einige Zeilen, und wo möglich Punkt für Punkt, antworten. Ja, ich bitte Sie, liebe Freundin, denken Sie „an die weni- gen Wochen, da ich zufrieden mit Ihnen war.“ Nicht deß- halb, weil ich zufrieden mit Ihnen war, ſondern, weil Sie vergnügt waren, mich in die Seele hinein freuten; weil jene Zeit Ihnen Bürge iſt, daß Sie, daß man vergnügt ſein kann, wenn man nicht körperliche Leiden hat; das andere Trauer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/313
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/313>, abgerufen am 30.12.2024.