Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Überreizende der andern Mittel aus seiner Klasse. Sein Sie
nicht zu dankbar. Ich kenne Sie. Mich macht eine zu holde
Aufnahme meiner Selbst, und was ich thue, ganz perplex.
Antworten Sie nicht! --



Aus einem Schreibbuche.


Oft les' ich in diesem Buche; und dann ist mir, als wär'
ich todt, und ein Anderer liest es. -- Jahre lang quält man
sich, um ein kleines, kleines Resultätchen endlich hervorzubrin-
gen. Dies ist die Beute! möcht' ich sagen. Die Mühe aber
ist sie; die Anstrengung, das ehrliche Bestreben, nicht zu ruhen,
bis wir die kleine Beute finden. Wahrlich schwach ist unser
Geist und faul; witklich! Kindheit: mit Licht und Sonnen-
schein werden wir ermuntert und gelockt. Was wir finden,
sei uns eins. Daß wir finden, ist der Punkt.

So ekle ich mich auch, das Meiste, wenn es mir schon
Einmal entfahren ist, zu sagen oder in gutgesetzten Worten
aufzuschreiben. Mich dünkt, es ist so wenig; und es wird zu
nichts, zu kalt, wenn man's erst schreibt, und gar denkt, ich
will es schreiben. Darum kann ich auch gar nicht schreiben,
obgleich ich solche Liebhaberei an schöner Sprache und gutem
Ausdruck habe. Oft möcht' ich lieber ändern, was Andere ge-
sagt haben: da dünkt mich wenigstens nicht dabei, ich ver-
derbe meine redliche Gedanken.

Auch kommt's mir vor, hätt' ich eine Stimmung ausge-
drückt, in Prosa, oder Versen, ich könnte sie nun nie wieder

Überreizende der andern Mittel aus ſeiner Klaſſe. Sein Sie
nicht zu dankbar. Ich kenne Sie. Mich macht eine zu holde
Aufnahme meiner Selbſt, und was ich thue, ganz perplex.
Antworten Sie nicht! —



Aus einem Schreibbuche.


Oft leſ’ ich in dieſem Buche; und dann iſt mir, als wär’
ich todt, und ein Anderer lieſt es. — Jahre lang quält man
ſich, um ein kleines, kleines Reſultätchen endlich hervorzubrin-
gen. Dies iſt die Beute! möcht’ ich ſagen. Die Mühe aber
iſt ſie; die Anſtrengung, das ehrliche Beſtreben, nicht zu ruhen,
bis wir die kleine Beute finden. Wahrlich ſchwach iſt unſer
Geiſt und faul; witklich! Kindheit: mit Licht und Sonnen-
ſchein werden wir ermuntert und gelockt. Was wir finden,
ſei uns eins. Daß wir finden, iſt der Punkt.

So ekle ich mich auch, das Meiſte, wenn es mir ſchon
Einmal entfahren iſt, zu ſagen oder in gutgeſetzten Worten
aufzuſchreiben. Mich dünkt, es iſt ſo wenig; und es wird zu
nichts, zu kalt, wenn man’s erſt ſchreibt, und gar denkt, ich
will es ſchreiben. Darum kann ich auch gar nicht ſchreiben,
obgleich ich ſolche Liebhaberei an ſchöner Sprache und gutem
Ausdruck habe. Oft möcht’ ich lieber ändern, was Andere ge-
ſagt haben: da dünkt mich wenigſtens nicht dabei, ich ver-
derbe meine redliche Gedanken.

Auch kommt’s mir vor, hätt’ ich eine Stimmung ausge-
drückt, in Proſa, oder Verſen, ich könnte ſie nun nie wieder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0294" n="280"/>
Überreizende der andern Mittel aus &#x017F;einer Kla&#x017F;&#x017F;e. Sein Sie<lb/>
nicht zu dankbar. Ich kenne Sie. Mich macht eine <hi rendition="#g">zu</hi> holde<lb/>
Aufnahme meiner Selb&#x017F;t, und was ich thue, ganz perplex.<lb/>
Antworten Sie nicht! &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>Aus einem Schreibbuche.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Den 19. December 1805.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Oft le&#x017F;&#x2019; ich in die&#x017F;em Buche; und dann i&#x017F;t mir, als wär&#x2019;<lb/>
ich todt, und ein Anderer lie&#x017F;t es. &#x2014; Jahre lang quält man<lb/>
&#x017F;ich, um ein kleines, kleines Re&#x017F;ultätchen endlich hervorzubrin-<lb/>
gen. Dies i&#x017F;t die Beute! möcht&#x2019; ich &#x017F;agen. Die Mühe aber<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie; die An&#x017F;trengung, das ehrliche Be&#x017F;treben, nicht zu ruhen,<lb/>
bis wir die kleine Beute finden. Wahrlich &#x017F;chwach i&#x017F;t un&#x017F;er<lb/>
Gei&#x017F;t und faul; <hi rendition="#g">witklich</hi>! Kindheit: mit Licht und Sonnen-<lb/>
&#x017F;chein werden wir ermuntert und gelockt. Was wir finden,<lb/>
&#x017F;ei uns eins. Daß wir finden, i&#x017F;t der Punkt.</p><lb/>
          <p>So ekle ich mich auch, das Mei&#x017F;te, wenn es mir &#x017F;chon<lb/>
Einmal entfahren i&#x017F;t, zu &#x017F;agen oder in gutge&#x017F;etzten Worten<lb/>
aufzu&#x017F;chreiben. Mich dünkt, es i&#x017F;t &#x017F;o wenig; und es wird zu<lb/>
nichts, zu kalt, wenn man&#x2019;s er&#x017F;t &#x017F;chreibt, und gar denkt, ich<lb/>
will es &#x017F;chreiben. Darum kann ich auch gar nicht &#x017F;chreiben,<lb/>
obgleich ich &#x017F;olche Liebhaberei an &#x017F;chöner Sprache und gutem<lb/>
Ausdruck habe. Oft möcht&#x2019; ich lieber ändern, was Andere ge-<lb/>
&#x017F;agt haben: da dünkt mich wenig&#x017F;tens nicht dabei, ich ver-<lb/>
derbe meine redliche Gedanken.</p><lb/>
          <p>Auch kommt&#x2019;s mir vor, hätt&#x2019; ich eine Stimmung ausge-<lb/>
drückt, in Pro&#x017F;a, oder Ver&#x017F;en, ich könnte &#x017F;ie nun nie wieder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0294] Überreizende der andern Mittel aus ſeiner Klaſſe. Sein Sie nicht zu dankbar. Ich kenne Sie. Mich macht eine zu holde Aufnahme meiner Selbſt, und was ich thue, ganz perplex. Antworten Sie nicht! — Aus einem Schreibbuche. Den 19. December 1805. Oft leſ’ ich in dieſem Buche; und dann iſt mir, als wär’ ich todt, und ein Anderer lieſt es. — Jahre lang quält man ſich, um ein kleines, kleines Reſultätchen endlich hervorzubrin- gen. Dies iſt die Beute! möcht’ ich ſagen. Die Mühe aber iſt ſie; die Anſtrengung, das ehrliche Beſtreben, nicht zu ruhen, bis wir die kleine Beute finden. Wahrlich ſchwach iſt unſer Geiſt und faul; witklich! Kindheit: mit Licht und Sonnen- ſchein werden wir ermuntert und gelockt. Was wir finden, ſei uns eins. Daß wir finden, iſt der Punkt. So ekle ich mich auch, das Meiſte, wenn es mir ſchon Einmal entfahren iſt, zu ſagen oder in gutgeſetzten Worten aufzuſchreiben. Mich dünkt, es iſt ſo wenig; und es wird zu nichts, zu kalt, wenn man’s erſt ſchreibt, und gar denkt, ich will es ſchreiben. Darum kann ich auch gar nicht ſchreiben, obgleich ich ſolche Liebhaberei an ſchöner Sprache und gutem Ausdruck habe. Oft möcht’ ich lieber ändern, was Andere ge- ſagt haben: da dünkt mich wenigſtens nicht dabei, ich ver- derbe meine redliche Gedanken. Auch kommt’s mir vor, hätt’ ich eine Stimmung ausge- drückt, in Proſa, oder Verſen, ich könnte ſie nun nie wieder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/294
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/294>, abgerufen am 21.12.2024.