Sie wohnen auf Ehre und Seligkeit zu weit! Ich mag mich noch so sehr zwingen, es kommt doch heraus. Eh' ich nun zu Ihnen käme, verginge mehr, als eine Viertelstunde, kurz, die Zeit verginge auf dem Wege. Von heute ist aber gar die Rede nicht: denn heute verbietet es das Wetter. Davon haben Sie gar keine Idee! von dieser schädlichen -- man fühlt's -- Rauhigkeit. Ich nenne das ein Unwetter, denn es ist eigentlich keines: so war es vor allem Wetter, eine Ungeburt aller Bestandtheile zu einem Wetter -- ich glaube ordentliche Nationen kennen das gar nicht -- die schon organisirte Wesen vernichten. Dies wird Ihnen alles wie Hyperbeln zum Scherz gemacht däuchten -- Gott bewahre! Es sind lauter Schmerzen und Unbehagen, die mein Körper so deutlich leidet, daß es nur ein Schattenriß ist von dem, was ich von diesem grauen Unhold ausstehe; der mir Leben und Freude nimmt, und mich verhindert auch nur ohne Unge- mach über den Flur zu gehen, geschweige ein Fenster aufzu- machen, oder die Straße zu betreten. Glauben Sie nicht, daß mir etwas Besonderes begegnet ist. Nein! Ich habe nur manchmal das edle Bedürfniß, unser Klima in allen seinen Gräueln auszusprechen; und dann dünk' ich mich besser; und bin zufrieden mir bewiesen zu haben, daß ich ein besseres ver- stünde. Tiefer Ernst ist es mir aber, und leiden thue ich auch. -- Ich schicke Ihnen ein wenig vinaigre des quatre voleurs. Er ist mild und aufweckend, und hat durchaus nicht das
An Frau von F., in Berlin.
Sonntag, den 15. December 1805.
Sie wohnen auf Ehre und Seligkeit zu weit! Ich mag mich noch ſo ſehr zwingen, es kommt doch heraus. Eh’ ich nun zu Ihnen käme, verginge mehr, als eine Viertelſtunde, kurz, die Zeit verginge auf dem Wege. Von heute iſt aber gar die Rede nicht: denn heute verbietet es das Wetter. Davon haben Sie gar keine Idee! von dieſer ſchädlichen — man fühlt’s — Rauhigkeit. Ich nenne das ein Unwetter, denn es iſt eigentlich keines: ſo war es vor allem Wetter, eine Ungeburt aller Beſtandtheile zu einem Wetter — ich glaube ordentliche Nationen kennen das gar nicht — die ſchon organiſirte Weſen vernichten. Dies wird Ihnen alles wie Hyperbeln zum Scherz gemacht däuchten — Gott bewahre! Es ſind lauter Schmerzen und Unbehagen, die mein Körper ſo deutlich leidet, daß es nur ein Schattenriß iſt von dem, was ich von dieſem grauen Unhold ausſtehe; der mir Leben und Freude nimmt, und mich verhindert auch nur ohne Unge- mach über den Flur zu gehen, geſchweige ein Fenſter aufzu- machen, oder die Straße zu betreten. Glauben Sie nicht, daß mir etwas Beſonderes begegnet iſt. Nein! Ich habe nur manchmal das edle Bedürfniß, unſer Klima in allen ſeinen Gräueln auszuſprechen; und dann dünk’ ich mich beſſer; und bin zufrieden mir bewieſen zu haben, daß ich ein beſſeres ver- ſtünde. Tiefer Ernſt iſt es mir aber, und leiden thue ich auch. — Ich ſchicke Ihnen ein wenig vinaigre des quatre voleurs. Er iſt mild und aufweckend, und hat durchaus nicht das
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An Frau von F., in Berlin.
Sonntag, den 15. December 1805.
Sie wohnen auf Ehre und Seligkeit zu weit! Ich mag
mich noch ſo ſehr zwingen, es kommt doch heraus. Eh’ ich
nun zu Ihnen käme, verginge mehr, als eine Viertelſtunde,
kurz, die Zeit verginge auf dem Wege. Von heute iſt aber
gar die Rede nicht: denn heute verbietet es das Wetter.
Davon haben Sie gar keine Idee! von dieſer ſchädlichen —
man fühlt’s — Rauhigkeit. Ich nenne das ein Unwetter,
denn es iſt eigentlich keines: ſo war es vor allem Wetter,
eine Ungeburt aller Beſtandtheile zu einem Wetter — ich
glaube ordentliche Nationen kennen das gar nicht — die ſchon
organiſirte Weſen vernichten. Dies wird Ihnen alles wie
Hyperbeln zum Scherz gemacht däuchten — Gott bewahre!
Es ſind lauter Schmerzen und Unbehagen, die mein Körper
ſo deutlich leidet, daß es nur ein Schattenriß iſt von dem,
was ich von dieſem grauen Unhold ausſtehe; der mir Leben
und Freude nimmt, und mich verhindert auch nur ohne Unge-
mach über den Flur zu gehen, geſchweige ein Fenſter aufzu-
machen, oder die Straße zu betreten. Glauben Sie nicht,
daß mir etwas Beſonderes begegnet iſt. Nein! Ich habe nur
manchmal das edle Bedürfniß, unſer Klima in allen ſeinen
Gräueln auszuſprechen; und dann dünk’ ich mich beſſer; und
bin zufrieden mir bewieſen zu haben, daß ich ein beſſeres ver-
ſtünde. Tiefer Ernſt iſt es mir aber, und leiden thue ich auch.
— Ich ſchicke Ihnen ein wenig vinaigre des quatre voleurs.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/293>, abgerufen am 20.11.2024.
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