Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ziehung und seines Familienlebens nie los: und sein Leben
war halb lächerlich halb schrecklich anzusehn: für ihn gewiß
meist eine innere Angst und Marter, von Mitteln der Eitel-
keit zur augenblicklichen Ruhe gebracht: ein schwankender Zu-
stand, zu welchem auch Geburt, Schönheit und Geistesgaben
ihm wirkten, und alte verderbte Erziehung, die sonst häufiger
mit großen Vorstellungen und Achtung der Religion und
Sitte zusammenging. Er war ein Exempel ehemaliger ver-
kohrter Franzosenwelt und Erziehung. Er genoß alle ihre
Vortheile, und erlag ihren tiefen Fehlern. --




Das Widerspiel zu den vier Eitlen ist T., welche mit
Wahrheit in einem Briefe an eine Freundin von sich selbst
sagte: "Wenn ich in der Nähe von Fürsten wäre und mit
ihnen lebte, würde ich für die niedrigste Schmeichlerin gehal-
ten werden! Weil ich jedes Menschen Persönlichkeit umgehe,
und bei der größten Meinungsunabhängigkeit nur immer aus
allgemeingeltenden Gründen widerspreche, ein solcher Wider-
spruch wird gar nicht bemerkt, so sehr er auch wirkt; Beifall
und Lab suche ich aber so persönlich zu machen, als möglich.
Dieses Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde
bei hohen Personen sehr auffallen. Meine besten Freunde,
wenn sie dies lesen, werden mir nicht beipflichten, sondern
meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe; ich aber bin
überzeugt, daß dies Gesagte die strengste, in jedem Tage zu
erprobende Wahrheit ist, und bin gar nicht beschämt."



ziehung und ſeines Familienlebens nie los: und ſein Leben
war halb lächerlich halb ſchrecklich anzuſehn: für ihn gewiß
meiſt eine innere Angſt und Marter, von Mitteln der Eitel-
keit zur augenblicklichen Ruhe gebracht: ein ſchwankender Zu-
ſtand, zu welchem auch Geburt, Schönheit und Geiſtesgaben
ihm wirkten, und alte verderbte Erziehung, die ſonſt häufiger
mit großen Vorſtellungen und Achtung der Religion und
Sitte zuſammenging. Er war ein Exempel ehemaliger ver-
kohrter Franzoſenwelt und Erziehung. Er genoß alle ihre
Vortheile, und erlag ihren tiefen Fehlern. —




Das Widerſpiel zu den vier Eitlen iſt T., welche mit
Wahrheit in einem Briefe an eine Freundin von ſich ſelbſt
ſagte: „Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre und mit
ihnen lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehal-
ten werden! Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe,
und bei der größten Meinungsunabhängigkeit nur immer aus
allgemeingeltenden Gründen widerſpreche, ein ſolcher Wider-
ſpruch wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall
und Lab ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich.
Dieſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde
bei hohen Perſonen ſehr auffallen. Meine beſten Freunde,
wenn ſie dies leſen, werden mir nicht beipflichten, ſondern
meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe; ich aber bin
überzeugt, daß dies Geſagte die ſtrengſte, in jedem Tage zu
erprobende Wahrheit iſt, und bin gar nicht beſchämt.“



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0292" n="278"/>
ziehung und &#x017F;eines Familienlebens nie los: und &#x017F;ein Leben<lb/>
war halb lächerlich halb &#x017F;chrecklich anzu&#x017F;ehn: für ihn gewiß<lb/>
mei&#x017F;t eine innere Ang&#x017F;t und Marter, von Mitteln der Eitel-<lb/>
keit zur augenblicklichen Ruhe gebracht: ein &#x017F;chwankender Zu-<lb/>
&#x017F;tand, zu welchem auch Geburt, Schönheit und Gei&#x017F;tesgaben<lb/>
ihm wirkten, und alte verderbte Erziehung, die &#x017F;on&#x017F;t häufiger<lb/>
mit großen Vor&#x017F;tellungen und Achtung der Religion und<lb/>
Sitte zu&#x017F;ammenging. Er war ein Exempel ehemaliger ver-<lb/>
kohrter Franzo&#x017F;enwelt und Erziehung. Er genoß alle ihre<lb/>
Vortheile, und erlag ihren tiefen Fehlern. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">1805.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Das Wider&#x017F;piel zu den vier Eitlen i&#x017F;t T., welche mit<lb/>
Wahrheit in einem Briefe an eine Freundin von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;Wenn ich in der Nähe von Für&#x017F;ten wäre und mit<lb/>
ihnen lebte, würde ich für die niedrig&#x017F;te Schmeichlerin gehal-<lb/>
ten werden! Weil ich jedes Men&#x017F;chen Per&#x017F;önlichkeit umgehe,<lb/>
und bei der größten Meinungsunabhängigkeit nur immer aus<lb/>
allgemeingeltenden Gründen wider&#x017F;preche, ein &#x017F;olcher Wider-<lb/>
&#x017F;pruch wird gar nicht bemerkt, &#x017F;o &#x017F;ehr er auch wirkt; Beifall<lb/>
und Lab &#x017F;uche ich aber &#x017F;o per&#x017F;önlich zu machen, als möglich.<lb/>
Die&#x017F;es Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde<lb/>
bei hohen Per&#x017F;onen &#x017F;ehr auffallen. Meine be&#x017F;ten Freunde,<lb/>
wenn &#x017F;ie dies le&#x017F;en, werden mir nicht beipflichten, &#x017F;ondern<lb/>
meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe; ich aber bin<lb/>
überzeugt, daß dies Ge&#x017F;agte die &#x017F;treng&#x017F;te, in jedem Tage zu<lb/>
erprobende Wahrheit i&#x017F;t, und bin gar nicht be&#x017F;chämt.&#x201C;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0292] ziehung und ſeines Familienlebens nie los: und ſein Leben war halb lächerlich halb ſchrecklich anzuſehn: für ihn gewiß meiſt eine innere Angſt und Marter, von Mitteln der Eitel- keit zur augenblicklichen Ruhe gebracht: ein ſchwankender Zu- ſtand, zu welchem auch Geburt, Schönheit und Geiſtesgaben ihm wirkten, und alte verderbte Erziehung, die ſonſt häufiger mit großen Vorſtellungen und Achtung der Religion und Sitte zuſammenging. Er war ein Exempel ehemaliger ver- kohrter Franzoſenwelt und Erziehung. Er genoß alle ihre Vortheile, und erlag ihren tiefen Fehlern. — 1805. Das Widerſpiel zu den vier Eitlen iſt T., welche mit Wahrheit in einem Briefe an eine Freundin von ſich ſelbſt ſagte: „Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre und mit ihnen lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehal- ten werden! Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei der größten Meinungsunabhängigkeit nur immer aus allgemeingeltenden Gründen widerſpreche, ein ſolcher Wider- ſpruch wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und Lab ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Dieſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde bei hohen Perſonen ſehr auffallen. Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir nicht beipflichten, ſondern meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe; ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die ſtrengſte, in jedem Tage zu erprobende Wahrheit iſt, und bin gar nicht beſchämt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/292
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/292>, abgerufen am 21.12.2024.