Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich mir ihn denke, so treten die Thränen mir in's
Auge: alle andere Menschen liebe ich nur mit meinen Kräf-
ten; er lehrt mich mit den seinen lieben. Und ich weiß auch
gar nicht, wie sehr ich noch werde lieben müssen. Wie oft
dacht' ich schon, mehr trägt dein Wesen nicht: und das We-
sen änderte sich. Mein Dichter!



Negerhandel, Krieg, Ehe! -- und sie wundern sich, und
flicken.



Die Menschen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens
nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß sie
sie gar nicht bedürfen, vermissen, und zu genießen verstehen.
Hieraus lassen sich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.




Das Fühlen ist etwas Feineres, als das Denken: das
Denken hat das Vermögen sich selbst zu erklären, das Fühlen
kann das nicht, und ist unsere Gränze, diese Gränze sind wir
selbst; es weiß nur, daß es existirt. Mit Gränzen ließe sich
alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt,
umschließt unser eigenes Wesen, und ist folglich ein Theil
desselben.



Was ist das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht
zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Mensch von ihm
sprechen.




17 *

Wenn ich mir ihn denke, ſo treten die Thränen mir in’s
Auge: alle andere Menſchen liebe ich nur mit meinen Kräf-
ten; er lehrt mich mit den ſeinen lieben. Und ich weiß auch
gar nicht, wie ſehr ich noch werde lieben müſſen. Wie oft
dacht’ ich ſchon, mehr trägt dein Weſen nicht: und das We-
ſen änderte ſich. Mein Dichter!



Negerhandel, Krieg, Ehe! — und ſie wundern ſich, und
flicken.



Die Menſchen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens
nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß ſie
ſie gar nicht bedürfen, vermiſſen, und zu genießen verſtehen.
Hieraus laſſen ſich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.




Das Fühlen iſt etwas Feineres, als das Denken: das
Denken hat das Vermögen ſich ſelbſt zu erklären, das Fühlen
kann das nicht, und iſt unſere Gränze, dieſe Gränze ſind wir
ſelbſt; es weiß nur, daß es exiſtirt. Mit Gränzen ließe ſich
alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt,
umſchließt unſer eigenes Weſen, und iſt folglich ein Theil
deſſelben.



Was iſt das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht
zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Menſch von ihm
ſprechen.




17 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0273" n="259"/>
            <p>Wenn ich mir <hi rendition="#g">ihn</hi> denke, &#x017F;o treten die Thränen mir in&#x2019;s<lb/>
Auge: alle andere Men&#x017F;chen liebe ich nur mit meinen Kräf-<lb/>
ten; er lehrt mich mit den <hi rendition="#g">&#x017F;einen</hi> lieben. Und ich weiß auch<lb/>
gar nicht, wie &#x017F;ehr ich noch werde lieben mü&#x017F;&#x017F;en. Wie oft<lb/>
dacht&#x2019; ich &#x017F;chon, mehr trägt dein We&#x017F;en nicht: und das We-<lb/>
&#x017F;en änderte &#x017F;ich. Mein Dichter!</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Negerhandel, Krieg, Ehe! &#x2014; und &#x017F;ie wundern &#x017F;ich, und<lb/>
flicken.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Die Men&#x017F;chen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens<lb/>
nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ie gar nicht bedürfen, vermi&#x017F;&#x017F;en, und zu genießen ver&#x017F;tehen.<lb/>
Hieraus la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">März 1803.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Das Fühlen i&#x017F;t etwas Feineres, als das Denken: das<lb/>
Denken hat das Vermögen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu erklären, das Fühlen<lb/>
kann das nicht, und i&#x017F;t un&#x017F;ere Gränze, die&#x017F;e Gränze &#x017F;ind wir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t; es weiß nur, daß es exi&#x017F;tirt. Mit Gränzen ließe &#x017F;ich<lb/>
alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt,<lb/>
um&#x017F;chließt un&#x017F;er eigenes We&#x017F;en, und i&#x017F;t folglich ein Theil<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Was i&#x017F;t das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht<lb/>
zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Men&#x017F;ch von ihm<lb/>
&#x017F;prechen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">17 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0273] Wenn ich mir ihn denke, ſo treten die Thränen mir in’s Auge: alle andere Menſchen liebe ich nur mit meinen Kräf- ten; er lehrt mich mit den ſeinen lieben. Und ich weiß auch gar nicht, wie ſehr ich noch werde lieben müſſen. Wie oft dacht’ ich ſchon, mehr trägt dein Weſen nicht: und das We- ſen änderte ſich. Mein Dichter! Negerhandel, Krieg, Ehe! — und ſie wundern ſich, und flicken. Die Menſchen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß ſie ſie gar nicht bedürfen, vermiſſen, und zu genießen verſtehen. Hieraus laſſen ſich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen. März 1803. Das Fühlen iſt etwas Feineres, als das Denken: das Denken hat das Vermögen ſich ſelbſt zu erklären, das Fühlen kann das nicht, und iſt unſere Gränze, dieſe Gränze ſind wir ſelbſt; es weiß nur, daß es exiſtirt. Mit Gränzen ließe ſich alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt, umſchließt unſer eigenes Weſen, und iſt folglich ein Theil deſſelben. Was iſt das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Menſch von ihm ſprechen. 17 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/273
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/273>, abgerufen am 21.12.2024.