der bis in's tiefste Herz frappirt. Und jetzt bin ich so weit, daß mir das für manches äußere Glück steht; es äußere sich in Schmerz oder Glück.
Als ich nach Frankreich reiste, glaubte ich nicht wiederzu- kommen, und siegelte jedes Menschen Briefe ein, und machte seine Aufschrift. Als ich wiederkam, ging ich auf einen Bo- den, der an meine Wohnung gränzte, und fand einen einzel- nen Brief, von einem Portugiesen Navarro, und ein Stück Band, wovon ich Ihnen die Hälfte geschickt habe. Auf dem Schloßplatz sah ich Sie zuerst, einen weißen Strohhut hatte ich auf, der mit einem Gaze-Tuch zu beiden Backen herunter gebunden war, und dies Band war darauf. Verwahrt hatte ich's nicht; aber der Zufall, ich erkannt' es gleich. Sie sind der einzige Mensch, bei dem ich weiß was ich an hatte, als ich ihn zuerst sah. Verliebt war ich nie in Sie: nun traue einer auf Zeichen. Adieu! Schicken Sie, Liebster, Bester, gleich gleich! Bokelmann den Brief. Nichts ist mir wichti- ger! Ich habe alle seine doch nun gelesen. Schreiben Sie mir gleich, Bokelmann, ich bitte Sie.
R. L.
Werden Sie antworten, Veit? Schicken Sie mir Ihre Addresse noch einmal. Künftig einmal einen ganzen Brief über Stieglitz.
An den Grafen L.
December 1802.
-- Nun weiß ich es. Die Erde ist ein schlechter Pla- net, sagt Fr. Schlegel. -- Lebte man doch in einem gütigen
der bis in’s tiefſte Herz frappirt. Und jetzt bin ich ſo weit, daß mir das für manches äußere Glück ſteht; es äußere ſich in Schmerz oder Glück.
Als ich nach Frankreich reiſte, glaubte ich nicht wiederzu- kommen, und ſiegelte jedes Menſchen Briefe ein, und machte ſeine Aufſchrift. Als ich wiederkam, ging ich auf einen Bo- den, der an meine Wohnung gränzte, und fand einen einzel- nen Brief, von einem Portugieſen Navarro, und ein Stück Band, wovon ich Ihnen die Hälfte geſchickt habe. Auf dem Schloßplatz ſah ich Sie zuerſt, einen weißen Strohhut hatte ich auf, der mit einem Gaze-Tuch zu beiden Backen herunter gebunden war, und dies Band war darauf. Verwahrt hatte ich’s nicht; aber der Zufall, ich erkannt’ es gleich. Sie ſind der einzige Menſch, bei dem ich weiß was ich an hatte, als ich ihn zuerſt ſah. Verliebt war ich nie in Sie: nun traue einer auf Zeichen. Adieu! Schicken Sie, Liebſter, Beſter, gleich gleich! Bokelmann den Brief. Nichts iſt mir wichti- ger! Ich habe alle ſeine doch nun geleſen. Schreiben Sie mir gleich, Bokelmann, ich bitte Sie.
R. L.
Werden Sie antworten, Veit? Schicken Sie mir Ihre Addreſſe noch einmal. Künftig einmal einen ganzen Brief über Stieglitz.
An den Grafen L.
December 1802.
— Nun weiß ich es. Die Erde iſt ein ſchlechter Pla- net, ſagt Fr. Schlegel. — Lebte man doch in einem gütigen
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der bis in’s tiefſte Herz frappirt. Und jetzt bin ich ſo weit,
daß mir das für manches äußere Glück ſteht; es äußere ſich
in Schmerz oder Glück.
Als ich nach Frankreich reiſte, glaubte ich nicht wiederzu-
kommen, und ſiegelte jedes Menſchen Briefe ein, und machte
ſeine Aufſchrift. Als ich wiederkam, ging ich auf einen Bo-
den, der an meine Wohnung gränzte, und fand einen einzel-
nen Brief, von einem Portugieſen Navarro, und ein Stück
Band, wovon ich Ihnen die Hälfte geſchickt habe. Auf dem
Schloßplatz ſah ich Sie zuerſt, einen weißen Strohhut hatte
ich auf, der mit einem Gaze-Tuch zu beiden Backen herunter
gebunden war, und dies Band war darauf. Verwahrt hatte
ich’s nicht; aber der Zufall, ich erkannt’ es gleich. Sie ſind
der einzige Menſch, bei dem ich weiß was ich an hatte, als
ich ihn zuerſt ſah. Verliebt war ich nie in Sie: nun traue
einer auf Zeichen. Adieu! Schicken Sie, Liebſter, Beſter,
gleich gleich! Bokelmann den Brief. Nichts iſt mir wichti-
ger! Ich habe alle ſeine doch nun geleſen. Schreiben Sie
mir gleich, Bokelmann, ich bitte Sie.
R. L.
Werden Sie antworten, Veit? Schicken Sie mir Ihre
Addreſſe noch einmal. Künftig einmal einen ganzen Brief
über Stieglitz.
An den Grafen L.
December 1802.
— Nun weiß ich es. Die Erde iſt ein ſchlechter Pla-
net, ſagt Fr. Schlegel. — Lebte man doch in einem gütigen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/269>, abgerufen am 20.11.2024.
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