erblicken lassen, wie mich selbst (wie ist hier nicht anstatt "als"; ich erblicke auch nichts, soll es heißen); denn wahr- haftig mir selbst macht's Mühe mich deutlich zu denken. Die Hauptursache, warum ich nicht schrieb, sind Meister, die Horen, und die Messe; über die ersten kann man -- außer Bücher -- nicht schreiben, -- und mit niemand möcht' ich lie- ber darüber sprechen, als mit Ihnen, -- und die Messe wollt' ich als nichts Ungewisses berühren; weil das bei mir Hölle, Teufel, und alle schlechten Erfindungen der Dinge sind, die alles erfunden haben, und die wälze ich so leicht nicht auf einen Andern.
Den 22. März.
Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort "Andern" trat die Liman und Wessely in die Stube, und aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig mitnehmen; sie will nur in einem halben Wagen fahren; -- kurz die Einrichtung der paar Umstände, unter denen ich keuche, ist so, daß auf alles, nur auf mich keine, Rücksicht ge- nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie par exemple liege, solche Mienen macht. Ich bin krank. Nun sag' ich's selbst; und kann gar nicht wieder gesund werden, als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde, also muß ich's selbst thun, und wie mit Gewalt. Denken Sie sich die Pflege! denn ich bin krank durch gene, durch Zwang, so lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn ich auch nur immer dagegen handeln seh. Ich verstell mich, artig bin ich, daß man vernünftig sein muß, weiß ich; aber
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erblicken laſſen, wie mich ſelbſt (wie iſt hier nicht anſtatt „als“; ich erblicke auch nichts, ſoll es heißen); denn wahr- haftig mir ſelbſt macht’s Mühe mich deutlich zu denken. Die Haupturſache, warum ich nicht ſchrieb, ſind Meiſter, die Horen, und die Meſſe; über die erſten kann man — außer Bücher — nicht ſchreiben, — und mit niemand möcht’ ich lie- ber darüber ſprechen, als mit Ihnen, — und die Meſſe wollt’ ich als nichts Ungewiſſes berühren; weil das bei mir Hölle, Teufel, und alle ſchlechten Erfindungen der Dinge ſind, die alles erfunden haben, und die wälze ich ſo leicht nicht auf einen Andern.
Den 22. März.
Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort „Andern“ trat die Liman und Weſſely in die Stube, und aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig mitnehmen; ſie will nur in einem halben Wagen fahren; — kurz die Einrichtung der paar Umſtände, unter denen ich keuche, iſt ſo, daß auf alles, nur auf mich keine, Rückſicht ge- nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie par exemple liege, ſolche Mienen macht. Ich bin krank. Nun ſag’ ich’s ſelbſt; und kann gar nicht wieder geſund werden, als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde, alſo muß ich’s ſelbſt thun, und wie mit Gewalt. Denken Sie ſich die Pflege! denn ich bin krank durch gêne, durch Zwang, ſo lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn ich auch nur immer dagegen handeln ſeh. Ich verſtell mich, artig bin ich, daß man vernünftig ſein muß, weiß ich; aber
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erblicken laſſen, wie mich ſelbſt (wie iſt hier nicht anſtatt
„als“; ich erblicke auch nichts, ſoll es heißen); denn wahr-
haftig mir ſelbſt macht’s Mühe mich deutlich zu denken.
Die Haupturſache, warum ich nicht ſchrieb, ſind Meiſter, die
Horen, und die Meſſe; über die erſten kann man — außer
Bücher — nicht ſchreiben, — und mit niemand möcht’ ich lie-
ber darüber ſprechen, als mit Ihnen, — und die Meſſe wollt’
ich als nichts Ungewiſſes berühren; weil das bei mir Hölle,
Teufel, und alle ſchlechten Erfindungen der Dinge ſind, die
alles erfunden haben, und die wälze ich ſo leicht nicht auf
einen Andern.
Den 22. März.
Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort
„Andern“ trat die Liman und Weſſely in die Stube, und
aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig
mitnehmen; ſie will nur in einem halben Wagen fahren; —
kurz die Einrichtung der paar Umſtände, unter denen ich
keuche, iſt ſo, daß auf alles, nur auf mich keine, Rückſicht ge-
nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie
par exemple liege, ſolche Mienen macht. Ich bin krank. Nun
ſag’ ich’s ſelbſt; und kann gar nicht wieder geſund werden,
als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde,
alſo muß ich’s ſelbſt thun, und wie mit Gewalt. Denken
Sie ſich die Pflege! denn ich bin krank durch gêne, durch
Zwang, ſo lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn
ich auch nur immer dagegen handeln ſeh. Ich verſtell mich,
artig bin ich, daß man vernünftig ſein muß, weiß ich; aber
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/145>, abgerufen am 20.11.2024.
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