Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

erblicken lassen, wie mich selbst (wie ist hier nicht anstatt
"als"; ich erblicke auch nichts, soll es heißen); denn wahr-
haftig mir selbst macht's Mühe mich deutlich zu denken.
Die Hauptursache, warum ich nicht schrieb, sind Meister, die
Horen, und die Messe; über die ersten kann man -- außer
Bücher -- nicht schreiben, -- und mit niemand möcht' ich lie-
ber darüber sprechen, als mit Ihnen, -- und die Messe wollt'
ich als nichts Ungewisses berühren; weil das bei mir Hölle,
Teufel, und alle schlechten Erfindungen der Dinge sind, die
alles erfunden haben, und die wälze ich so leicht nicht auf
einen Andern.


Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort
"Andern" trat die Liman und Wessely in die Stube, und
aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig
mitnehmen; sie will nur in einem halben Wagen fahren; --
kurz die Einrichtung der paar Umstände, unter denen ich
keuche, ist so, daß auf alles, nur auf mich keine, Rücksicht ge-
nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie
par exemple liege, solche Mienen macht. Ich bin krank. Nun
sag' ich's selbst; und kann gar nicht wieder gesund werden,
als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde,
also muß ich's selbst thun, und wie mit Gewalt. Denken
Sie sich die Pflege! denn ich bin krank durch gene, durch
Zwang, so lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn
ich auch nur immer dagegen handeln seh. Ich verstell mich,
artig bin ich, daß man vernünftig sein muß, weiß ich; aber

9 *

erblicken laſſen, wie mich ſelbſt (wie iſt hier nicht anſtatt
„als“; ich erblicke auch nichts, ſoll es heißen); denn wahr-
haftig mir ſelbſt macht’s Mühe mich deutlich zu denken.
Die Haupturſache, warum ich nicht ſchrieb, ſind Meiſter, die
Horen, und die Meſſe; über die erſten kann man — außer
Bücher — nicht ſchreiben, — und mit niemand möcht’ ich lie-
ber darüber ſprechen, als mit Ihnen, — und die Meſſe wollt’
ich als nichts Ungewiſſes berühren; weil das bei mir Hölle,
Teufel, und alle ſchlechten Erfindungen der Dinge ſind, die
alles erfunden haben, und die wälze ich ſo leicht nicht auf
einen Andern.


Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort
„Andern“ trat die Liman und Weſſely in die Stube, und
aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig
mitnehmen; ſie will nur in einem halben Wagen fahren; —
kurz die Einrichtung der paar Umſtände, unter denen ich
keuche, iſt ſo, daß auf alles, nur auf mich keine, Rückſicht ge-
nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie
par exemple liege, ſolche Mienen macht. Ich bin krank. Nun
ſag’ ich’s ſelbſt; und kann gar nicht wieder geſund werden,
als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde,
alſo muß ich’s ſelbſt thun, und wie mit Gewalt. Denken
Sie ſich die Pflege! denn ich bin krank durch gêne, durch
Zwang, ſo lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn
ich auch nur immer dagegen handeln ſeh. Ich verſtell mich,
artig bin ich, daß man vernünftig ſein muß, weiß ich; aber

9 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0145" n="131"/>
erblicken la&#x017F;&#x017F;en, wie mich &#x017F;elb&#x017F;t (wie i&#x017F;t hier nicht an&#x017F;tatt<lb/>
&#x201E;als&#x201C;; ich erblicke auch nichts, &#x017F;oll es heißen); denn wahr-<lb/>
haftig mir &#x017F;elb&#x017F;t macht&#x2019;s Mühe mich <hi rendition="#g">deutlich</hi> zu denken.<lb/>
Die Hauptur&#x017F;ache, warum ich nicht &#x017F;chrieb, &#x017F;ind Mei&#x017F;ter, die<lb/>
Horen, und die Me&#x017F;&#x017F;e; über die er&#x017F;ten kann man &#x2014; außer<lb/>
Bücher &#x2014; nicht &#x017F;chreiben, &#x2014; und mit niemand möcht&#x2019; ich lie-<lb/>
ber darüber &#x017F;prechen, als mit Ihnen, &#x2014; und die Me&#x017F;&#x017F;e wollt&#x2019;<lb/>
ich als nichts Ungewi&#x017F;&#x017F;es berühren; weil das bei mir Hölle,<lb/>
Teufel, und alle &#x017F;chlechten Erfindungen der Dinge &#x017F;ind, die<lb/>
alles erfunden haben, und die wälze ich &#x017F;o leicht nicht auf<lb/>
einen Andern.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 22. März.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort<lb/>
&#x201E;Andern&#x201C; trat die Liman und We&#x017F;&#x017F;ely in die Stube, und<lb/>
aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig<lb/>
mitnehmen; &#x017F;ie will nur in einem halben Wagen fahren; &#x2014;<lb/>
kurz die Einrichtung der paar Um&#x017F;tände, unter denen ich<lb/>
keuche, i&#x017F;t &#x017F;o, daß auf alles, nur auf mich keine, Rück&#x017F;icht ge-<lb/>
nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie<lb/><hi rendition="#aq">par exemple</hi> liege, &#x017F;olche Mienen macht. Ich bin krank. Nun<lb/>
&#x017F;ag&#x2019; ich&#x2019;s &#x017F;elb&#x017F;t; und kann gar nicht wieder ge&#x017F;und werden,<lb/>
als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde,<lb/>
al&#x017F;o muß ich&#x2019;s &#x017F;elb&#x017F;t thun, und wie mit Gewalt. Denken<lb/>
Sie &#x017F;ich die Pflege! denn ich bin krank durch <hi rendition="#aq">gêne,</hi> durch<lb/>
Zwang, &#x017F;o lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn<lb/>
ich auch nur immer dagegen handeln &#x017F;eh. Ich ver&#x017F;tell mich,<lb/>
artig bin ich, daß man vernünftig &#x017F;ein muß, weiß ich; aber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0145] erblicken laſſen, wie mich ſelbſt (wie iſt hier nicht anſtatt „als“; ich erblicke auch nichts, ſoll es heißen); denn wahr- haftig mir ſelbſt macht’s Mühe mich deutlich zu denken. Die Haupturſache, warum ich nicht ſchrieb, ſind Meiſter, die Horen, und die Meſſe; über die erſten kann man — außer Bücher — nicht ſchreiben, — und mit niemand möcht’ ich lie- ber darüber ſprechen, als mit Ihnen, — und die Meſſe wollt’ ich als nichts Ungewiſſes berühren; weil das bei mir Hölle, Teufel, und alle ſchlechten Erfindungen der Dinge ſind, die alles erfunden haben, und die wälze ich ſo leicht nicht auf einen Andern. Den 22. März. Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort „Andern“ trat die Liman und Weſſely in die Stube, und aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig mitnehmen; ſie will nur in einem halben Wagen fahren; — kurz die Einrichtung der paar Umſtände, unter denen ich keuche, iſt ſo, daß auf alles, nur auf mich keine, Rückſicht ge- nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie par exemple liege, ſolche Mienen macht. Ich bin krank. Nun ſag’ ich’s ſelbſt; und kann gar nicht wieder geſund werden, als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde, alſo muß ich’s ſelbſt thun, und wie mit Gewalt. Denken Sie ſich die Pflege! denn ich bin krank durch gêne, durch Zwang, ſo lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn ich auch nur immer dagegen handeln ſeh. Ich verſtell mich, artig bin ich, daß man vernünftig ſein muß, weiß ich; aber 9 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/145
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/145>, abgerufen am 30.12.2024.