"Außer meinem Leben könnt Ihr mir nichts nehmen, was mir gleichgültiger ist," antwortet Hamlet dem Olden- holm, als der ihm sagt: "Ich will Abschied von Euch nehmen, gnädigster Herr." So etwas ungefähr hab' ich Lust Ihnen zu antworten, darauf daß Sie mein Urtheil Humboldten ge- zeigt haben; denn auf nichts in der Welt hab' ich weniger Anspruch zu machen, als auf ein litterarisches ("um dieses armselige Wort beizubehalten," sagt Oldenholm zu seiner Tochter, als sie ihm von Hamlet's Zuneigung sprach) gutes oder rechtes Urtheil. Also nichts kann mir schmeichelhafter sein, als wenn man ein solches von mir billigt, und auch nichts gleichgültiger, als wenn man ein solches von mir zeigt. Wenn ich aber dieses Zeigen für so wichtig, als Sie es tha- ten, gehalten hätte, so würde ich's im Leben nicht gethan haben, denn was in der Welt hätte von der andern Seite den Kalkül richtig machen können, wenn Sie bei mir wirklich so viel verloren hätten, als sie sich einbilderisch vorstellten? Mein Urtheil "war so richtig und gründlich, daß es so viel Würdige als möglich wissen mußten," gut! aber so erforder- lich scheint mir das doch nicht, um so viel auf's Spiel zu setzen. Sie haben aber auch gewiß dabei gewußt, wie ich's nehmen kann; und darum nur thaten Sie's. Genug davon: denn ich finde, man kann mit einem Briefe, worin ein Urtheil über ein Kunstwerk steht, machen was man will; und alles
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 10. December 1794.
„Außer meinem Leben könnt Ihr mir nichts nehmen, was mir gleichgültiger iſt,“ antwortet Hamlet dem Olden- holm, als der ihm ſagt: „Ich will Abſchied von Euch nehmen, gnädigſter Herr.“ So etwas ungefähr hab’ ich Luſt Ihnen zu antworten, darauf daß Sie mein Urtheil Humboldten ge- zeigt haben; denn auf nichts in der Welt hab’ ich weniger Anſpruch zu machen, als auf ein litterariſches („um dieſes armſelige Wort beizubehalten,“ ſagt Oldenholm zu ſeiner Tochter, als ſie ihm von Hamlet’s Zuneigung ſprach) gutes oder rechtes Urtheil. Alſo nichts kann mir ſchmeichelhafter ſein, als wenn man ein ſolches von mir billigt, und auch nichts gleichgültiger, als wenn man ein ſolches von mir zeigt. Wenn ich aber dieſes Zeigen für ſo wichtig, als Sie es tha- ten, gehalten hätte, ſo würde ich’s im Leben nicht gethan haben, denn was in der Welt hätte von der andern Seite den Kalkül richtig machen können, wenn Sie bei mir wirklich ſo viel verloren hätten, als ſie ſich einbilderiſch vorſtellten? Mein Urtheil „war ſo richtig und gründlich, daß es ſo viel Würdige als möglich wiſſen mußten,“ gut! aber ſo erforder- lich ſcheint mir das doch nicht, um ſo viel auf’s Spiel zu ſetzen. Sie haben aber auch gewiß dabei gewußt, wie ich’s nehmen kann; und darum nur thaten Sie’s. Genug davon: denn ich finde, man kann mit einem Briefe, worin ein Urtheil über ein Kunſtwerk ſteht, machen was man will; und alles
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[117/0131]
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 10. December 1794.
„Außer meinem Leben könnt Ihr mir nichts nehmen,
was mir gleichgültiger iſt,“ antwortet Hamlet dem Olden-
holm, als der ihm ſagt: „Ich will Abſchied von Euch nehmen,
gnädigſter Herr.“ So etwas ungefähr hab’ ich Luſt Ihnen
zu antworten, darauf daß Sie mein Urtheil Humboldten ge-
zeigt haben; denn auf nichts in der Welt hab’ ich weniger
Anſpruch zu machen, als auf ein litterariſches („um dieſes
armſelige Wort beizubehalten,“ ſagt Oldenholm zu ſeiner
Tochter, als ſie ihm von Hamlet’s Zuneigung ſprach) gutes
oder rechtes Urtheil. Alſo nichts kann mir ſchmeichelhafter
ſein, als wenn man ein ſolches von mir billigt, und auch
nichts gleichgültiger, als wenn man ein ſolches von mir zeigt.
Wenn ich aber dieſes Zeigen für ſo wichtig, als Sie es tha-
ten, gehalten hätte, ſo würde ich’s im Leben nicht gethan
haben, denn was in der Welt hätte von der andern Seite
den Kalkül richtig machen können, wenn Sie bei mir wirklich
ſo viel verloren hätten, als ſie ſich einbilderiſch vorſtellten?
Mein Urtheil „war ſo richtig und gründlich, daß es ſo viel
Würdige als möglich wiſſen mußten,“ gut! aber ſo erforder-
lich ſcheint mir das doch nicht, um ſo viel auf’s Spiel zu
ſetzen. Sie haben aber auch gewiß dabei gewußt, wie ich’s
nehmen kann; und darum nur thaten Sie’s. Genug davon:
denn ich finde, man kann mit einem Briefe, worin ein Urtheil
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/131>, abgerufen am 20.11.2024.
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