zwar gestern, aber es ist keine Antwort auf den Brief, den ich bei euch einlegte: und Lady Herz antwortet mir gar nicht. -- Lebt wohl! Grüßt die schönen Menschen, besonders die Unzel- mann. Auch Gualtieri vielmal. --
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 15. November 1794.
Mit einer Art von Angstthau auf der Stirne setz' ich mich diesmal hin Ihnen zu schreiben -- denn ich will wieder so aufrichtig sein, daß es eine Schande ist; und Ihnen meine Meinung über zwei Rezensionen sagen, die ellenlang werden wird; und wozu ich noch keine Worte habe. Vorige Woche habe ich die berühmte Schiller'sche Rezension über Matthis- sons Gedichte gelesen -- die ich eigentlich Ideen über die Dichtkunst nennen würde -- (lachen Sie mich nicht aus). O Laokoon, o Lessing! hab' ich nur denken können. Wenn der was Allgemeines sagte, so bestimmte er was, setzte er was fest, (freilich hat er sich zu todt geärgert!) -- wenn der rezensirte, tadelte er, wenn er tadelte, gab er die Ursachen an. Ich habe die Rezension nicht mehr zur Hand, ich kann Ihnen also keine Stellen mehr anführen, über die ich etwas wußte, als ich sie las. Man macht so viel Lärm von dieser Rezen- sion, und als ob sie so schwer wäre; ich habe eben keine so hagelneue Ideen darin gesunden. Die Vergleichung der Dicht- kunst mit der Mahlerei, und also auch die fernere Anwen- dung des Landschaftsmahlers und Geschichtsmahlers, ist mir gar nicht aufgefallen, und ist, dünkt mich, hundertmal in Les-
zwar geſtern, aber es iſt keine Antwort auf den Brief, den ich bei euch einlegte: und Lady Herz antwortet mir gar nicht. — Lebt wohl! Grüßt die ſchönen Menſchen, beſonders die Unzel- mann. Auch Gualtieri vielmal. —
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 15. November 1794.
Mit einer Art von Angſtthau auf der Stirne ſetz’ ich mich diesmal hin Ihnen zu ſchreiben — denn ich will wieder ſo aufrichtig ſein, daß es eine Schande iſt; und Ihnen meine Meinung über zwei Rezenſionen ſagen, die ellenlang werden wird; und wozu ich noch keine Worte habe. Vorige Woche habe ich die berühmte Schiller’ſche Rezenſion über Matthiſ- ſons Gedichte geleſen — die ich eigentlich Ideen über die Dichtkunſt nennen würde — (lachen Sie mich nicht aus). O Laokoon, o Leſſing! hab’ ich nur denken können. Wenn der was Allgemeines ſagte, ſo beſtimmte er was, ſetzte er was feſt, (freilich hat er ſich zu todt geärgert!) — wenn der rezenſirte, tadelte er, wenn er tadelte, gab er die Urſachen an. Ich habe die Rezenſion nicht mehr zur Hand, ich kann Ihnen alſo keine Stellen mehr anführen, über die ich etwas wußte, als ich ſie las. Man macht ſo viel Lärm von dieſer Rezen- ſion, und als ob ſie ſo ſchwer wäre; ich habe eben keine ſo hagelneue Ideen darin geſunden. Die Vergleichung der Dicht- kunſt mit der Mahlerei, und alſo auch die fernere Anwen- dung des Landſchaftsmahlers und Geſchichtsmahlers, iſt mir gar nicht aufgefallen, und iſt, dünkt mich, hundertmal in Leſ-
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zwar geſtern, aber es iſt keine Antwort auf den Brief, den ich
bei euch einlegte: und Lady Herz antwortet mir gar nicht. —
Lebt wohl! Grüßt die ſchönen Menſchen, beſonders die Unzel-
mann. Auch Gualtieri vielmal. —
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 15. November 1794.
Mit einer Art von Angſtthau auf der Stirne ſetz’ ich mich
diesmal hin Ihnen zu ſchreiben — denn ich will wieder ſo
aufrichtig ſein, daß es eine Schande iſt; und Ihnen meine
Meinung über zwei Rezenſionen ſagen, die ellenlang werden
wird; und wozu ich noch keine Worte habe. Vorige Woche
habe ich die berühmte Schiller’ſche Rezenſion über Matthiſ-
ſons Gedichte geleſen — die ich eigentlich Ideen über die
Dichtkunſt nennen würde — (lachen Sie mich nicht aus).
O Laokoon, o Leſſing! hab’ ich nur denken können. Wenn
der was Allgemeines ſagte, ſo beſtimmte er was, ſetzte er
was feſt, (freilich hat er ſich zu todt geärgert!) — wenn der
rezenſirte, tadelte er, wenn er tadelte, gab er die Urſachen an.
Ich habe die Rezenſion nicht mehr zur Hand, ich kann Ihnen
alſo keine Stellen mehr anführen, über die ich etwas wußte,
als ich ſie las. Man macht ſo viel Lärm von dieſer Rezen-
ſion, und als ob ſie ſo ſchwer wäre; ich habe eben keine ſo
hagelneue Ideen darin geſunden. Die Vergleichung der Dicht-
kunſt mit der Mahlerei, und alſo auch die fernere Anwen-
dung des Landſchaftsmahlers und Geſchichtsmahlers, iſt mir
gar nicht aufgefallen, und iſt, dünkt mich, hundertmal in Leſ-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/114>, abgerufen am 20.11.2024.
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